N. Voeltz: Staatsjubiläum und Friedliche Revolution

Cover
Titel
Staatsjubiläum und Friedliche Revolution. Planung und Scheitern des 40. Jahrestags der DDR 1989


Autor(en)
Voeltz, Nicole
Reihe
Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 31
Erschienen
Anzahl Seiten
311 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ilko-Sascha Kowalczuk, Abt. Bildung und Forschung, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU)

Erwartungsgemäß sind in den letzten Monaten zahlreiche Monographien, noch mehr Sammel-, Tagungs- und Ausstellungsbände und eine nicht mehr überschaubare Anzahl an Artikeln und Kleinschriften zur Freiheitsrevolution von 1989 veröffentlicht worden. Zwanzig Jahre danach, so scheint es wenigstens, ist sie auch zu einem Thema der Historiographie geworden. Man muss keine prophetischen Gaben besitzen, um vorherzusagen, dass angesichts der epochalen Bedeutung von „1989“ diese geschichtswissenschaftliche Beschäftigung noch in ihren Anfängen steckt. Denn noch ist diese Geschichte zuweilen „heiß“ und sie wird hitzig debattiert. Künftige Forschergenerationen werden ihre eigenen Fragen an dieses Ereignis stellen. Sie werden nicht nur methodisch und theoretisch neue Wege einschlagen, sie werden auch neue Perspektiven auf diesen Epochenumbruch entwerfen. Die Gewissheiten von heute in der historischen Einschätzung werden sich in künftigen Debatten als belastbar erweisen müssen.

Innerhalb der Vielzahl der jüngsten Publikationen zu „1989“ aber ragt das Buch von Nicole Völtz schon jetzt heraus. Es sind nicht unbedingt die Thesen, die das Buch so faszinierend erscheinen lassen. Vielmehr besticht ihr origineller Ansatz, die Systemkrise und die Revolution in den pompös geplanten Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 zu fokussieren. Damit entwickelt die Autorin eine Perspektive, die sich von den meisten anderen Publikationen schon vom Ansatz her unterscheidet.

Der Titel legt zunächst eine sehr schmale und enge Analyse nahe. Tatsächlich aber verfolgt die Autorin einen breiten gesellschaftsgeschichtlichen Ansatz. Sie hat ihr Buch in neun Kapitel gegliedert. In den ersten beiden stellt sie den Forschungsstand knapp vor, entwickelt ihre Fragestellungen und bettet diese in allgemeine Forschungen über die Inszenierung von gesellschaftlichen und staatlichen Jubiläen in den letzten 200 Jahren ein. Dies geschieht zielorientiert. Ausführlicher geht sie dann auf die „DDR-Festtagskultur“ und die „Geschichte der Republikjubiläen“ ein. Für die Herrschenden dienten diese Jubiläen zur Selbstvergewisserung, und zugleich sollte öffentlich die Einheit der Gesellschaft, die Kongruenz zwischen Herrschaftspolitik und Bevölkerungswille demonstriert und symbolisiert werden.

Das dritte Kapitel behandelt die DDR-Gesellschaft in den 1980er-Jahren und konzentriert sich dabei auf die Entwicklung der Opposition und die Krise am Ende des Dezenniums. Die nächsten vier Kapitel stellen den Mittelpunkt der Studie dar. Die Autorin zeigt, wie die SED, die Blockparteien und die Massenorganisationen die Feiern zum 40. Jahrestag der DDR vorbereiteten, durchführten – und wie Teile der Gesellschaft ihnen diese Feierlichkeiten gründlich verdarben. Dabei bildeten die offiziösen Feste und Inszenierungen um den 7. Oktober 1989 herum nur den Höhepunkt, denn die Autorin zeigt auf breiter Grundlage, wie praktisch das gesamte Jahr über die Propaganda auf Hochtouren lief.1 Sie zeigt anschaulich, dass Hunderttausende diese mittrugen und mitmachten. Auch wenn die Autorin immer wieder Beispiele für klassisches Mitläufertum aufführt, hätte man sich hier vielleicht einige weitergehende Überlegungen wünschen können. Zugleich aber, und hier liegt eine Stärke der Analyse, zeigt die Autorin, dass nicht nur die Gegenbewegungen (Flucht, Opposition) im Laufe des Jahres 1989 immer mehr anschwollen, vor allem stellt sie heraus, wie die Loyalität und der Legitimitätsglaube innerhalb der bislang staatstragenden und mitmachenden Gesellschaftsgruppen rapide abnahm. Die vielen oppositionellen Gegendemonstrationen am 7. Oktober 1989 erwiesen sich so als Spitze einer Gesellschaftsbewegung, die mit den Flüchtlingsströmen und den neuen Bürgerbewegungen bereits seit Sommer 1989 unübersehbar war, die dann nach dem 7. Oktober aber zu einer politischen und gesellschaftlichen Gegenkraft wurde, die das Regime in einem geradezu atemberaubenden Tempo davon fegte.
Im achten Kapitel analysiert Nicole Völtz die Rezeption der Jubiläumsfeier anhand von MfS- und SED-Unterlagen sowie der bundesdeutschen Medienberichterstattung. Am Schluss steht eine pointierte Zusammenfassung.

Die Untersuchung bietet im Detail eine Reihe überraschender empirischer Befunde. Der hohe Wert der Studie besteht aber in der breiten gesellschaftsgeschichtlichen Anlage, die ökonomische, soziale, kulturelle und künstlerische Prozesse ebenso umfasst wie die Entwicklung der Opposition oder die Reaktionen der Kirchen. Dabei gelingt es der Verfasserin eindrucksvoll, die Absichten der Machthaber ebenso offenzulegen wie deren Ansinnen zu analysieren, Loyalitätsbindungen zu festigen und Integrationsangebote in Form von gesellschaftlicher Massenmobilisierung zu erneuern. Die gesamte Gesellschaft sollte mittels Wettbewerben, kulturellen Angeboten, Propagandaschlachten und notfalls massiven Einschüchterungsversuchen (etwa nach dem Massaker in China zum Beispiel) erreicht und auf Linie gehalten werden. Die Machthaber stießen an Grenzen, weil nicht nur immer größere Teile der Gesellschaft ihre Gefolgschaft verweigerten, sondern weil die Erosion auch die Macht- und Herrschaftsinstitutionen sowie bislang staatsloyale Schichten erreicht und immer stärker handlungsunfähig gemacht hatte.

Natürlich muss man nicht jeder Einschätzung von Nicole Völtz folgen. Wenn sie zum Beispiel schreibt, der FDJ-Fackelzug am Abend des 6. Oktober 1989 in Ost-Berlin geriet zu einer „Manifestation“ für Gorbatschows Reformpolitik (S. 225), so ist dies nicht nur übertrieben, sondern wohl falsch. Zwar haben FDJler dort Gorbatschow hoch leben lassen, und die Organisatoren hatten offenbar erhebliche Arbeit zu leisten, um diese Rufe nicht in Massenrufe umschlagen zu lassen. Aber, die Autorin übersieht, dass sich die Wirkung dieses letzten kommunistischen Massenaufmarsches nicht von der früherer Jahre unterschied: Die Autorin zeigt sehr plastisch, wie genau die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgesucht wurden, welche Probleme bestanden, die Kontingente überhaupt halbwegs zu erfüllen, und welche Ablehnung allerorten sichtbar wurde und sich öffentlich artikulierte. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung hatte sich hier mit 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern „das letzte Aufgebot“ versammelt. Allein die Teilnahme an diesem „letzten Aufgebot“ diskreditierte jeden Einzelnen fast unweigerlich (ganz unabhängig von der individuellen Haltung zur Krise). Natürlich könnte man auch einwenden, dass die Fokussierung auf das Staatsjubiläum die Sicht verenge, wenn die Autorin schließlich meint, gerade die pompösen Feierlichkeiten im ganzen Land angesichts der sich seit Monaten stetig zuspitzenden Gesellschafts- und Staatskrise habe das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht. Aber die gut begründete, instruktive und sehr überzeugende Darstellung, die empirisch breit, aber nie ausufernd argumentiert, lässt diese pointierte These nicht im luftleeren Raum stehen. So hat Nicole Völtz ein wichtiges – zudem sehr gut geschriebenes – Buch vorgelegt, dem schon dadurch Anerkennung und Wirkung gewünscht sei, indem es nicht nur rezipiert, sondern auch intensiv debattiert wird. Es wird, da bin ich mir ziemlich sicher, einen wichtigen Platz auch in den künftigen Debatten über „1989“ einnehmen.

Anmerkung:
1 Zwei wichtige Bücher hat die Autorin in diesem Zusammenhang allerdings nicht in ihrer Analyse berücksichtigt: Jürgen Hofmann, Ein neues Deutschland soll es sein. Zur Frage nach der Nation in der Geschichte der DDR und der Politik der SED, Ost-Berlin 1989. Allerdings hat sie von diesem Autor ein anderes Werk von 1983 aufgeführt, das als Dissertation B der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED verteidigt wurde, aber in dieser Form unveröffentlicht blieb (was die Autorin nicht erwähnt) und dem Buch von 1989 zugrunde lag. Noch wichtiger aber war das in hoher Auflage verbreitete, vom FDJ-Zentralrat bestellte Propagandawerk: Joachim Heise / Jürgen Hofmann, Fragen an die Geschichte der DDR, Berlin 1988, das als geschichtsideologische Interpretation gerade für jüngere Menschen, insbesondere „Jugendfunktionäre“, die Vorbereitung auf den 40. DDR-Jahrestag begleiten sollte.

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