P. Goff: The Blackwell Companion to Religion in America

Titel
The Blackwell Companion to Religion in America.


Autor(en)
Goff, Philip
Reihe
Blackwell Companions to Religion
Erschienen
Chichester 2010: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
752 S.
Preis
€ 133,76
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Krämer, Exzellenzcluster: Religion and Politics, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Religion ist in der deutschsprachigen Kultur- und Geschichtswissenschaft die Entdeckung der vergangenen Jahre.1 Ein gutes Handbuch aus dem anglo-amerikanischen Forschungskontext zum Thema zeigt nun im Hinblick auf Gesellschaft und Geschichte der USA, wie durchgreifend sich Religionsforschungen mit kulturhistorischer Expertise verzahnen lassen. Der „Blackwell Companion to Religion in America“ ist Teil einer renommierten Reihe, in welcher der Wiley-Blackwell Verlag eine breit angelegte Topografie von Religionsgeschichten präsentiert – in gewisser Weise jenseits absoluter Entscheidungsfindung in der Debatte um Säkularisierung oder religiöse Grundierung moderner Gesellschaftsordnungen.2 Die Ausgabe zu Religion in den Vereinigten Staaten ist die neuste der Reihe, in der sich bislang 22 Bände zu so verschiedenen Themen wie „Judaism“, „Political Theology“, „Contemporary Islamic Thought“, „Eastern Christianity“ oder „Nineteenth-Century Theology“ finden. Sieben weitere Bücher der Handbuch-Serie sind in Planung, unter denen erneut interessante Kompendien zu diversen Themen geboten werden. Sowohl über systematische Zusammenstellungen, wie zum Beispiel im geplanten „Companion to Religion and Violence“, als auch über historisch-geografische Eingrenzungen, wie in der Ausgabe zu „Chinese Religions“ sollen Zugänge zum weiten Feld der Religionsforschung geschaffen werden. In Hinblick auf den zu besprechenden Band kann vorweg genommen werden, dass die darin enthaltenen Artikel vielen Kolleg/inn/en, die zum Konnex von Kultur und Religion in Nordamerika arbeiten, gute Dienste leisten dürften.3

Die verschiedenen Texte seien “bibliographic essays […] not so much snapshots of subjects as they are portraits in motion”, skizziert Herausgeber Philip Goff im Vorwort die Anlage des über 700 Seiten starken Handbuchs (S. IX). Nach einer Einleitung, in der Goff auf wenigen Seiten lesenswert Forschungsstand, unterschiedliche Entwicklungslinien und Perspektiven der Religious Studies im Verlauf der US-Historie darlegt, präsentieren die verschiedenen Essays die Forschungsliteratur zu ihren Themen in unterschiedlicher Dichte, führen aber in jedem Fall bis an den aktuellen Stand heran. Es gibt 43 Artikel zu lesen, die zwischen 8 und 22 Textseiten lang sind. Die Beiträge verteilen sich auf zwei Hauptteile. Unter dem Titel „Religion in American Society and Culture“ behandelt der erste dieser übergeordneten Abschnitte für die polit-religiöse Ordnung relevante Topoi auf synchroner Ebene – von A wie „American Revolution“ über „Economics“, „Health“, „Popular Culture“, „Revivals“, „Science“ oder „Theology and Belief“ bis W wie „Women“ – dies ist nur eine Auswahl. Der zweite Hauptteil ist diachron angelegt und belichtet „Traditions and Movements“, wie die Überschrift verspricht. Ebenfalls in alphabetischer Reihung werden hierin verschiedenste Religionstraditionen und Bewegungen vorgestellt, die auf hegemoniale Gesellschaftsordnungen in der Geschichte der Vereinigten Staaten jeweils in unterschiedlichem Maße Einfluss hatten. Der erste Artikel beschäftigt sich mit „American Indians“, in der Folge werden beispielsweise Baptisten als kulturelle Gruppe historisiert oder Forschungen zur „Black Church“ in ihrer gesellschaftspolitischen Rolle beschrieben. Neben zwei zeitlich unterteilten Beiträgen zum Katholizismus finden sich in diesem Part Artikel zum Buddhismus, Evangelikalismus, Judentum, Islam oder dem protestantischen Liberalismus.

Für beide der übergeordneten Teile gilt, dass die kürzeren Texte ihre jeweiligen Themenfelder meist griffiger abstecken. Andererseits fällt auch ein Beispiel ins Auge, welches im Gegenteil zeigt, dass auch die längere Variante eines Handbuchartikels packend und gleichzeitig konzise an einen thematischen Komplex heranführen kann. Unter dem Titel „Sensory Cultures: Material and Visual Religion Reconsidered“ zeigen Sally M. Promey und Shira Brisman auf über 20 Seiten kreativ die Verdichtung von Religion, Medialisierung, Visualisierung und Geschichtlichkeit. Ausgehend von einer Fotoserie, die aus den 1940er-Jahren stammt und einen Kirchenmann aus New Mexico bei der Nutzung eines Radios zeigt, zeichnet der Essay die gesamte Debatte um visuelle und materielle Kultur im Zuge der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart nach (S. 177-199). Dagegen fasst zum Beispiel der Beitrag zum Hinduismus von Khyati Y. Joshi mit nur 8 Seiten Umfang die Geschichte indisch-hinduistischer Immigration in die Vereinigten Staaten kurz und faktisch, wodurch wiederum manche Möglichkeiten des bibliografierenden Essays ungenutzt bleiben (S. 559-567). Hervorzuheben ist, dass in vielen Texten intersektionale Perspektivierungen Niederschlag gefunden haben. Daher existiert zwischen den verschiedenen Texten ein Netz an Bezügen, das wiederum für das Weiterverfolgen der unterschiedlichen Themenstränge sehr vielversprechend ist. Das ist sicher nicht allein Effekt einer regen Forschungsdiskussion um die Zusammenhänge von Kategorien wie race, class, gender usw., die in den vergangenen 20 Jahren intensiv geführt wurde, sondern eben auch Verdienst vieler politischer und religiöser Bewegungen, die in der Geschichte der USA und darüber hinaus auf gesellschaftliche Identitätskonstitutionen und deren Reflexion durch Historisierung Einfluss genommen haben. Dass in verschiedenen Artikeln diese gesellschaftspolitischen Bezüge konturiert worden sind, ist ein großer Gewinn für den Band und seine Leser/innen. Ein Mehrwert einer solchen Darstellung in einem Handbuch liegt in der Vielschichtigkeit und gegenseitigen Anschlussfähigkeit verschiedener Perspektiven.

Die Vernetzung unterschiedlicher Kategorien über die Grenzen der Beiträge hinaus finden sich besonders überzeugend in solchen Texten, die sich auch als medientheoretische Reflexion verstehen. So zeigt Judith Weisenfeld in ihrer Beschäftigung mit „Film“ – immanenter als der etwas knapp geratene Beitrag zum Begriff „Media“ von Robert S. Fortner (S. 206ff) – welche Produktionsmöglichkeiten gesellschaftlicher Ordnung und ihrer Repräsentation das Medium Film im 20. Jahrhundert bot, insbesondere in Bezug auf Glaube und Spiritualität (S. 130-143). Weisenfeld verweist dabei auch auf den Forschungsstrang, der untersucht, wie Images von religiösen Gruppen mit Ethnizität und „Rasse“ in der US-Gesellschaft verwoben waren, über filmische Repräsentation immer wieder hergestellt und Differenzen dabei essentialisiert wurden (S. 140f). Eben die Frage nach intersektionalen Verschränkungen von kulturellen Identitätszuschreibungen und ihre historische Produktion behandelt auch der empfehlenswerte Beitrag zu „Race and Ethnicity“ von Roberto R. Treviño (S. 276-288). Der Beitrag fokussiert zunächst die Zeit nach dem 2. Weltkrieg und führt vor Augen, wie Immigration und Ethnisierung von Identität(en) in den USA zur historisierenden Größe wurde. Über diese wirkungsreiche Entwicklung wurden wiederum verschiedene (neue) „Histories“ in der Geschichte der Vereinigten Staaten möglich und nötig gemacht. Treviño zeigt, wie die kulturellen Verteilungskämpfe in den USA über Geschichtskonstitution und den Zugriff auf eine eigene Geschichte, eigene religiöse Herkunft geführt wurden. Unter anderem am Beispiel der „Nation of Islam“ und „Black Theology“ – die sicher auch einen eigenen Artikel wert gewesen wären – legt der Text die Zusammenhänge äußerst überzeugend dar. Er zeigt aber auch die Zentralität eines weißen Christentums in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg auf, das – bei aller Vielfalt und Anfechtung in der Religionslandschaft – immer wieder zentrifugiert wurde (S. 280ff).

Bezüglich kategorialer Verwobenheit finden sich im Beitrag zu „Class and Labor“ Anknüpfungspunkte zwischen Klasse und Geschlecht (S. 71-83). Zu letzterem sind im knappen Beitrag zu „Family“ (S. 117-126) weitere Bezüge zu finden und selbstverständlich auch im Artikel zu „Gender“ selbst. In diesem Beitrag werden dann zwar die wichtigsten Debatten der vergangenen Jahrzehnte benannt, es bleiben aber durchaus noch Spielräume für durchgreifende Analysen von Vermachtungen religiöser Felder, gerade im Hinblick auf ihre rassistischen Gravuren oder in Bezug auf Männlichkeiten als Ordnungsmuster religiöser beziehungsweise spiritueller Räume (S. 147-158). Zudem hätte ein weiterer Beitrag zu Sexualitäten dem Band gut getan und den Rahmen der streckenweise recht dichotomen Perspektive auf Geschlechterkonstruktionen weiten können. Im zweiten Hauptteil ist dann der Artikel zum Evangelikalismus hervorzuheben, in dem Darren Dochuk ein hegemoniales Zentrum von protestantischer weißer Männlichkeit geprägter Ordnung markiert, was sehr gut gelingt – zumal ihm auch die steten Wechselwirkungen von hegemonialer Ordnung und minorisierten Identitäten nicht aus dem Blick geraten. Von der jüngsten Welle an evangelikalem Politikinterventionismus, die in den 1980er-Jahren zu beobachten ist, gingen auch die aktuellsten Versuche aus, den Evangelikalismus in den USA zu historisieren. Das ist sicher einer der wichtigen Dreh- und Angelpunkte der politischen Religionsgeschichte der USA momentan. Das Erkenntnisinteresse an Intersektionalität von Rassismus, Geschlechterverhältnissen und Evangelikalismus, das in der Reagan-Ära zeitgeschichtlich erwachsen ist, hat unter anderem Arbeiten zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervorgebracht, über die Kulturhistoriker/innen geschichtlich inhärente Wechselwirkungen von race und gender vor dem Hintergrund einer von Evangelikalismus durchdrungener Gesellschaftsordnung, beispielsweise im so genannten Jim Crow-System des Südens, zeigen konnten, wie Dochuk beschreibt (S. 554).

Zu weit würde es führen, die einzelnen Beiträge en Detail für diese oder jene Interpretation, diese oder jene Ausrichtung oder Auslassung zu kritisieren – viele Beiträge bewegen sich auf umkämpften Deutungsterritorien. Der „Companion to Religion in America“ wird etlichen Interessierten ein äußerst nützlicher und kompetenter Begleiter durch die Religionshistorie der USA sein. Die überwiegende Zahl der Texte ist von sehr hoher Qualität, innovativ, anregend geschrieben, reich an Literaturhinweisen. Insbesondere hinsichtlich kulturgeschichtlicher Fragenstellungen sind die von Philip Goff zusammengestellten bibliografischen Essays sehr anschlussfähig. Ein Problem, das allerdings noch keine probate Lösung kennt, ist die regionale und damit thematische Zentrierung auf die Vereinigten Staaten, zumal der Titel unspezifisch von „America“ spricht. Anders ausgedrückt, kann es unter dem Strich als Chance künftiger enzyklopädischer Bemühungen zum Thema Religion gelistet werden, transregionale Geschichte(n) noch stärker zu fokussieren oder aber die Setzungen expliziter zu reflektieren. Ohne dass sich dies von der angemerkten regional-kulturellen Zentrifuge klar trennen ließe, ist hervorzuheben, dass der Herausgeber die temporäre Vorläufigkeit sowie die geschichtliche Position seines „Companion“ innerhalb der Religionsforschung der USA beschreibt und sein Medium auf der diachronen Achse präzise verortet (S. X). In vielen Artikeln sind zudem diachrone wie synchrone Bezüge und Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Regionen, Zeitvorstellungen oder konkurrierenden kulturellen Konzepten eingearbeitet. Und was für die weitere Arbeit im Feld und darüber hinaus noch wichtiger scheint: Der Band überwindet die Suggestion des Faktischen und stellt in bibliografierenden Essays anschlussfähige Narrationen zur Religionsgeschichte Nordamerikas zur Diskussion – eben als „portraits in motion“: sehr empfehlenswert.

Anmerkungen:
1 Einen gewinnbringenden Forschungsüberblick – speziell auch unter Berücksichtigung transatlantischer Wechselwirkungen in der Forschungsnavigation zum Themenfeld der Religionsgeschichte – liefert: Uta Andrea Balbier, „Sag: Wie hast Du's mit der Religion?“ Das Verhältnis von Religion und Politik als Gretchenfrage der Zeitgeschichte, in: H-Soz-u-Kult, 10.11.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2009-11-001> (16.07.2010). Vgl. außerdem Benjamin Ziemann, Sozialgeschichte der Religion. Von der Reformation bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 2009.
2 Christina von Braun u.a. (Hrsg.), Säkularisierung. Bilanz und Perspektiven einer umstrittenen These, Berlin 2007.
3 Wie die Geschichte Nordamerikas als Religionsgeschichte gelesen werden kann, zeigt ein gut lesbares Buch, das vor einiger Zeit auch in deutscher Sprache erschienen ist: Robert Jewett / Ole Wangerin, Mission und Verführung. Amerikas religiöser Weg in vier Jahrhunderten, Göttingen 2008.

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