J. Nowosadtko u.a. (Hrsg.): "Mars und die Musen"

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Titel
"Mars und die Musen". Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit


Herausgeber
Nowosadtko, Jutta; Rogg, Matthias; unter Mitarbeit von Sascha Möbius
Reihe
Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 5
Erschienen
Münster 2008: LIT Verlag
Anzahl Seiten
356 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arne Karsten, Seminar für Geschichte, Bergische Universität Wuppertal

Lange Zeit hat die Militärgeschichte in Deutschland unter den historischen Teildisziplinen ein geradezu verachtetes Mauerblümchendasein geführt: „Der Gegenstand Militär und Krieg galt als so unappetitlich, so wenig seriös, dass die Kunst- und Kulturwissenschaften eine Beschäftigung damit kategorisch ablehnten“ (S. 25), so konstatieren die Herausgeber in ihrer Einleitung; eine vermutlich zutreffende Aussage. Zudem eine höchst aufschlussreiche, nämlich im Hinblick auf die Parameter, nach denen die Geisteswissenschaften die Relevanz ihrer Forschungsthemen bemessen: Sich um das Thema „Krieg“ nicht zu kümmern, weil man ihn schlimm findet, ist so sinnvoll, wie die Krebsforschung einzustellen, weil die Krankheit wenig angenehme Assoziationen hervorruft.

Immerhin, in jüngster Zeit zeigt die über Jahrzehnte hinweg nicht nur in Deutschland brach liegende Militärgeschichte deutliche Zeichen der Wiederbelebung, und dass es sich dabei um eine „neue“ Militärgeschichte handelt, die mit der traditionell-borussischen Helden- und Schlachtengeschichtsschreibung nichts mehr zu tun haben will, wird man begrüßen. Ein schönes Beispiel für die Verbindung von Neuer Militär- mit Neuer Kulturgeschichte stellt der vorliegende Sammelband dar, der auf eine Potsdamer Tagung im September 2003 zurückgeht. In ihrer Einführung zeichnen die Herausgeber das Verhältnis von Kunst und Krieg in der Forschungstradition skizzenhaft, aber anregend nach. Ihrem Plädoyer für eine erneuerte Beschäftigung mit dem Thema „Krieg“ ließe sich vielleicht noch zusätzlicher Schwung verleihen durch den Verweis auf alte, lang verschüttete Traditionen gerade in der deutschen Forschung, etwa auf Hans Delbrück, der 1920 im Vorwort zum vierten Band seiner monumentalen „Geschichte der Kriegskunst“ schrieb: „Denn die Kriegskunst ist eine Kunst wie die Malerei, die Baukunst oder die Pädagogik, und das ganze kulturelle Dasein der Völker wird in hohem Grade bestimmt durch ihre Kriegsverfassungen […].“1

Die Beiträge des Bandes sind in vier Sektionen gegliedert. Im ersten Abschnitt „Literatur“ bietet der Beitrag von Rainer Leng „Zum Verhältnis von Kunst und Krieg in den illustrierten Kriegslehren des 15. und 16. Jahrhunderts“ zunächst einen knappen Überblick zu Kriegsbeschreibungen seit der Antike, ehe er auf grundlegende Wandlungen des Kriegsbildes im Spätmittelalter eingeht: Mit dem Wachsen der Heere wuchs auch der künstlerische Aufwand, der bei Kriegsdarstellungen aller Art betrieben wurde, zumal wenn sie für den Fürstenhof bestimmt waren. Geht es hier – ebenso wie in dem Aufsatz von Iris Becker über „Funktion und Stellenwert von Militärbibliotheken im 18. und 19. Jahrhundert“ – vor allem um die Präsentation von Militaria aus Statusgründen, so analysiert Irmgard Esser „Niederländische Seehelden in der Literatur des 17. Jahrhunderts“, mithin die Art und Weise, wie Männer wie Piet Heyn, Marten Tromp und vor allem Michiel de Ruyter zu Nationalhelden stilisiert wurden. Im Gegensatz zu dieser normenaffirmativen Verwendung der Kriegserzählung steht die Kriegssatire, die laut Dirk Niefanger („Lex mich im Mars. Kriegssatire im 17. Jahrhundert“) aufgrund der weitgehenden „Einigkeit über die moralische Bewertung des Krieges weite artistische Spielräume [eröffnet]“ und sich „für die kritischen Musen als ausgesprochen fruchtbar“ (S. 87) erweist.

Die zweite Sektion „Bildende Kunst“ eröffnen eher allgemeine „Bemerkungen über den Krieg als Thema der Kunst in der Frühen Neuzeit“ von Peter Paret, der vor allem auf das technische Problem der Schlachtendarstellung hinweist. Denn das Ereignis ist für den einzelnen Teilnehmer nicht zu überschauen: „Das Unmögliche, die Schlacht als Ganzes zu erfassen, trifft mit dem Unwissen des Künstlers zusammen und führt zu dem Resultat, dass Gemälde von Schlachten fast immer mehr Schema als Wirklichkeit darstellen“ (S. 102). Das dürfte nicht nur für Schlachten gelten, sondern auch für zahlreiche andere Ereignis-Typen. Wie diese Schemata ausgefüllt werden, untersucht Martina Dlugaiczyk anhand einer „Atempause des Krieges. Der zwölfjährige Waffenstillstand von 1609 und seine Rezeption in der bildenden Kunst“, der geradezu eine „Bilderflut“ hervorgerufen habe. Anhand ausgewählter Beispiele aus dieser Flut rekonstruiert die Autorin die historischen Kommunikationsprozesse und das Entstehen eines Medienereignisses in exemplarischer Weise.

Nicht die Aufgabe der Kunstwerke, sondern die Interessen des Künstlers stehen hingegen im Mittelpunkt der folgenden beiden Beiträge von Beate Engelen („Jacques Callot – Die Belagerung von Breda. Kunst über den Krieg als Apotheose und Sinnbild“) und Ulrich Heinen („Rubens’ Bilddiplomatie im Krieg“). Während Callot als kritisch-aufmerksamer Chronist immer wieder zentrale Probleme des frühneuzeitlichen Kriegswesens thematisiert – vor allem Versorgung, Disziplin und Waffenausbildung –, setzte Rubens seine berühmte, 1637/38 entstandene „Allegorie des Krieges“ nach Ansicht Heinens gezielt als diplomatisches Instrument ein, um für die militärische Intervention des Herzogs Ferdinand II. auf dem niederländischen Kriegsschauplatz des Dreißigjährigen Kriegs zu werben. Ein eindeutiger Beleg dafür, so Heinen, dass sich Rubens nicht „für die politische und historische Naivität eines modernen Pazifismus“ vereinnahmen lasse (S. 178); was übrigens in gleichem Maße für Callot konstatiert werden kann: „Callot verherrlicht den Krieg nicht bedenkenlos, aber er verurteilt ihn auch nicht“ (S. 150).

Vom Krieg als Gegenstand künstlerischer Darstellung zum Krieg als Innovationsfaktor im Bereich der Künste führen die folgenden beiden Aufsätze. Ludolf Pelizaeus untersucht „Subsidien für die Kunst. Der Zusammenhang zwischen Soldatenvermietung und Kunsteinkauf in deutschen Territorien 1714–1756“ mit besonderem Blick auf das Wachstum der Kunstsammlungen in der Landgrafschaft Hessen-Kassel. Daran anschließend gelingt Godehard Janzing in seiner Studie über „Kunstautonomie und Wehrgedanke. Zur Ikonographie des Mars in Preußen“ der überzeugende Nachweis des Zusammenhangs zwischen künstlerischen Traditionsbrüchen, vor allem am Beispiel von Schadows Skulptur des Kriegsgottes Mars, und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Schadows Antikenbegeisterung, so Janzing, fand ihren Widerhall in der Begeisterung des Publikums für das antike Militärwesen, dessen „von Gemeinschaftssinn getragenes Verteidigungsideal […] sowohl in Frankreich als auch in Preußen am Ende des 18. Jahrhunderts verstärkt als Gegenbild zum konstatierten Verfall der Streitkräfte beschworen wurde“ (S. 204).

Im Abschnitt „Architektur“ rekonstruiert Hans-Joachim Kuke in seinem Beitrag über „Kurven und Geschosse. Barockarchitekten in Deutschland und ihr Verhältnis zum Militär“ die Karrieren prominenter Architekten im Reich des 18. Jahrhunderts. Er kommt zu dem Ergebnis, dass nicht nur Balthasar Neumann, sondern auch Künstler wie Maximilian von Welsch, Jean de Bodt, Johann Conrad Schlaun oder Johann Friedrich Eosander als hohe Offiziere oder sogar Generäle fungierten und die „Liaison des Architekten im 18. Jahrhundert mit dem Militär eher die Regel als die Ausnahme war“ (S. 223). Wie auch die Bauaufgaben zwischen Zivil- und Militärbereich fließend ineinander übergingen, zeigt anschaulich und differenziert Heiko Laß in seinen Ausführungen über „Die Jagd, ein Vorspiel des Krieges. Einflüsse der Militärarchitektur auf Jagdschlösser und Jagdbauten in der Frühen Neuzeit“.

Der vierte Abschnitt ist schließlich mit der Militärmusik einem besonders stiefmütterlich behandelten Grenzbereich zwischen Militär- und Kulturgeschichte gewidmet, wie Michael C. Schramm anhand seiner allgemeinen Ausführungen über „Funktionsbestimmte Elemente der Militärmusik von der Frühen Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert“ aufzeigt. Den konkreten Einsatz von Musik im Felde schildert Sascha Möbius („Preußische Militärmusik in den Schlachten des Siebenjährigen Kriegs“), wobei es nicht nur um die Gelegenheiten geht, bei denen Musik gespielt wurde, sondern auch um die Ausstattung der verschiedenen Waffengattungen mit unterschiedlichen Instrumenten. Anselm Gehrhard stellt dagegen die motivgeschichtliche Frage nach dem „Krieg als Vater musikalischer Dinge. Fragen zur Militarisierung der Kunstmusik in den Jahrzehnten um 1800“. Die zentrale Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang mit dem signifikant zunehmenden Auftreten von Elementen der Militärmusik in der „absoluten Kunst“ bleibt dabei jedoch unbeantwortet – vermutlich findet der Sachverhalt seine Erklärung in der levée en masse, mit der die Kriegsdiensterfahrung nicht mehr auf Angehörige der Unterschichten beschränkt blieb, sondern auch bürgerliche Kreise erreichte und damit in all ihren Erscheinungsformen wenn nicht hof- so doch (musik-)theaterfähig wurde. Werner Friedrich Kümmel schließlich („Zur psychologischen Funktion militärischer Musik in der Frühen Neuzeit“) zeichnet noch einmal einen weiten Bogen des Einsatzes von Musik in kriegerischen Zusammenhängen anhand einer Fülle von Fallbeispielen nach.

Leider endet der Sammelband ohne Zusammenfassung, Bibliographie und Register, was den Eindruck einer gewissen Disparatheit, der angesichts der Bandbreite der vorgestellten Themen ohnehin kaum vermeidbar ist, noch verstärkt. Doch soll diese Feststellung nicht den positiven Gesamteindruck trüben, dass hier ein Band vorliegt, der die zu neuem Leben erwachte Militärgeschichte in vielfacher Hinsicht stimulieren kann.

Anmerkung:
1 Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Bd. 4: Neuzeit, Berlin 1920, S. X.

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