H. Douteil: Die Concordantiae Caritatis des Ulrich von Lilienfeld

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Titel
Die Concordantiae Caritatis des Ulrich von Lilienfeld. Edition des Codex Campililiensis 151 (um 1355) und Übersetzung


Autor(en)
Douteil, Herbert
Herausgeber
Suntrup, Rudolf; Angenendt, Arnold; Honemann, Volker
Erschienen
Münster 2010: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
2 Teilbände, 557 und 695 S.
Preis
€ 159,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Linda Maria Koldau, Institut for Aestetiske Fag, Aarhus Universitet

„Ein Schatz wird gehoben“ – das Motto der Verlagswerbung wird in Medienhinweisen auf die neu erschienene Edition der Concordantiae caritatis (CC) des Ulrich von Lilienfeld gerne zitiert. Freilich handelt es sich nicht um einen Werbeslogan: Mit eben diesen Worten eröffnen die Herausgeber Rudolf Suntrup, Arnold Angenendt und Volker Honemann ihr Vorwort. Die Ausgabe ist ein Schatz in doppelter Hinsicht: Die prachtvoll ausgestattete Pergamenthandschrift, um 1355 im Zisterzienserkloster Lilienfeld entstanden, gilt als krönender Abschluss der großen typologischen Text-Bild-Zyklen, als eines der bedeutendsten Zeugnisse spätmittelalterlicher Kultur und Frömmigkeit. Mit der Einbeziehung naturallegorischer Deutungen eröffnet sie dabei auch neue Wege. Ein Schatz ist jedoch auch die Edition selbst: Rudolf Suntrups Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte (Bd. I, S. XI–XIV) liest sich wie eine suspense novel aus der aktuellen Wissenschaft. Denn eigentlich lag die Edition bereits 1979 vor; die Akademische Druck- und Verlagsanstalt in Graz wollte den Codex Campililiensis 151 in der Reihe „Codices selecti“ als Faksimile mit wissenschaftlichem Kommentar herausbringen. Pater Dr. Herbert Douteil, Ordensmitglied der Spiritaner, schrieb diesen Kommentar über fast fünf Jahre hin, in einer Fülle an Wissen und Fachkompetenz, die ihresgleichen sucht. Am Tag nach der Abgabe ging er jedoch nach Brasilien, wo er bis heute in Seelsorge, Lehre und Öffentlichkeitsarbeit tätig ist. Die Herausgabe geriet ins Stocken und blieb liegen, bis der Münsteraner Germanist und Mediävist Rudolf Suntrup 1993 darauf aufmerksam wurde. Sieben Jahre vergingen mit Korrespondenzen und persönlichen Gesprächen. Im Mai 1999 übergab Douteil das Manuskript seiner Edition an Suntrup; am 15. Juli 2000 beschlossen die drei Herausgeber, die Edition der CC gemeinsam auf den Weg zu bringen. 2008 wurden die redaktionellen Arbeiten abgeschlossen; nun ist das Werk in einer wahrhaft prachtvollen Ausgabe erschienen.

Einzelne Aspekte dieser Handschrift wurden in literaturwissenschaftlichen und kunsthistorischen Studien zwar bereits dargestellt1; nun aber ist erstmals eine Würdigung dieses komplexen Werkes in der Gesamtheit seiner theologischen, literarischen, philologischen, künstlerischen und kulturhistorischen Aspekte möglich. Ziel der Herausgeber war es, den Text der CC in seiner Gesamtheit – somit auch mit seinen 1.188 Bildszenen – zugänglich zu machen. Dies bedeutet, dass Douteils Transkription des Originaltextes, seine Übersetzungen des Lateinischen und der umfangreiche Quellenapparat samt mehreren Registern in ein sinnvoll angeordnetes Format zu bringen waren, das die sorgfältig vernetzte Bild-Text-Anordnung des Originals wiedergibt.2 Hinzugefügt wurden neuhochdeutsche Übersetzungen des mittelhochdeutsch-frühneuhochdeutschen Textteils durch Rudolf Suntrup (in Diskussion mit Volker Honemann). Bei diesem Teil handelt es sich um eine Art von allegorisch-didaktischem Bilderkatechismus mit mehreren im Mittelalter üblichen Schemata unter anderem zu Tugenden und Lastern, Moralgeboten und zahlensymbolisch angeordneten Bibelworten (genaue Aufführung Bd. 1, S. XXIXf.).

Die Ausgabe folgt dem Original des Abtes Ulrich von Lilienfeld, das als Codex 151 im Stift Lilienfeld aufbewahrt wird. Ergänzungen wurden aus einer heute in New York liegenden Abschrift vorgenommen. Der Quellennachweis und die Erschließung durch Register, erstellt von Herbert Douteil, sind eine wissenschaftliche Glanzleistung: Der 150-seitige, kleingedruckte Quellenapparat mit detaillierten Angaben zu jeder einzelnen Seite der CC dokumentiert gleichermaßen die enorme Quellenkenntnis Douteils und den Fundus, aus dem Ulrich von Lilienfeld schöpfte. Freilich handelt es sich hierbei weniger um Quellen im modernen wissenschaftlichen Sinn als vielmehr um Similien, um ein „‚Zitieren‘ aus zweiter Hand und aus dem Gedächtnis“ (Bd. 1, S. XVII), entsprechend der Tradition meditativer Lektüre im Mittelalter . Gerade diese Assoziativität bildet jedoch den Schlüssel zum Verständnis nicht nur der CC, sondern jeglicher Quellen aus dem Fundus spätmittelalterlicher Kloster- und Frömmigkeitsliteratur: Die CC, durch diese Edition nun in ihren vielschichtigen Wechselbeziehungen von Wort und Bild, Liturgie, Bibel, Theologie und Naturdeutung fassbar, bieten ein herausragendes Hilfsmittel zur „Dekodierung“ entsprechender literarischer und künstlerischer Quellen aus der mitteleuropäischen Klosterkultur des späten Mittelalters. Eben dies war Douteils Ziel: Edition, Quellenapparat und die Register – hier insbesondere das Register der Bibelstellen und das Register der Namen, Begriffe und Bedeutungen – schließen den „Inhalt dieses bedeutsamen Predigtwerkes für jeden Benutzer jedes Wissenschaftszweiges“ auf (so Douteils ursprüngliche Vorbemerkung zum letztgenannten Register, zitiert auf S. XVIII). Der Faksimile-Teil mit den Bildseiten des Codex (277 Farbtafeln) zeigt beispielhaft die enge Verbindung von Liturgie, Theologie und Bildlichkeit; ohne diese Bildseiten lässt sich die Bedeutung der CC für das Verständnis der spätmittelalterlichen Klosterkultur nicht begreifen.

Inhaltlich stellen die CC eine Sammlung von Predigtentwürfen dar, die in drei Teilen nach dem liturgischen Jahreskreis angeordnet sind: ein Temporale nach der Ordnung der Sonn- und Festtage des Weihnachts- und Osterfestkreises; die besonderen Messen an Heiligenfesten (Sanctorale) und die gemeinsamen Heiligenmessen (Commune Sanctorum).3 Der erste Teil bietet Szenen aus dem Leben Jesu bzw. Parabeln und Gleichnisse aus Jesu Lehre; in den beiden Teilen zur Liturgie der Heiligenfeste sind Märtyrerszenen oder Szenen aus den jeweiligen Heiligenlegenden dargestellt. Das Hauptbild zum einzelnen Predigttext wird auf den Bildseiten in Form eines großen Medaillons dargestellt, textlich ergänzt durch Umschriften und Spruchbänder. Dazu erscheinen jeweils vier alttestamentliche Propheten in kleineren Medaillons (wiederum mit Bibelzitaten), darunter folgen zwei Präfigurationen aus dem Alten Testament. Die typologische Verflechtung wird ergänzt durch jeweils zwei Bilder aus der Naturdeutung mit Tierallegorien, die zum Teil bis auf Aristoteles und Plinius zurückgehen. Auf der gegenüberliegenden Textseite wird der Text-Bild-Inhalt der Verso-Seite auf das Tagesevangelium bezogen und in allen Einzelheiten seiner typologischen Bezüge gedeutet.4

Die Edition ist auf zwei Bände verteilt: Der erste Band gibt – neben der umfangreichen Einführung durch Rudolf Suntrup – sämtliche Textseiten wieder. Linksseitig ist jeweils der lateinische bzw. mittelhochdeutsche Originaltext abgedruckt, auf der gegenüberliegenden Seite folgt in gleicher Formatierung die Übersetzung der einzelnen Abschnitte. Die zugehörigen Bildseiten sind im zweiten Band faksimiliert. Dies ist der einzige und in der Tat bedauerliche Nachteil dieser Edition: Die vielfach in sich verflochtene Einheit von Bild- und Textseite, die gerade das Prinzip der mittelalterlichen Text-Bild-Typologie ausmacht, musste aus editionspraktischen Gründen aufgebrochen werden.5 Der Preis für die Integration der Übersetzung ist ein weitaus umständlicheres Nebeneinander zweier großformatiger Buchbände – eine Herausforderung für überfüllte Wissenschaftlerschreibtische. Ideal wäre ein jeweils ausklappbares Doppelblatt mit den Bildseiten innerhalb der Textedition gewesen, um so das ursprüngliche Gegenüber der CC wiederzugeben – ein verlegerisches Kunststück, das bei einem Buch dieses Umfangs (die beiden Bände umfassen knapp 1300 Seiten) aus praktischen und finanziellen Gründen ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Herbert Douteil und die Herausgeber vermuten, dass die CC – von der sich 40 Abschriften, eine Kurzversion mit 27 Abschriften und ein Auszug mit den Tierallegorien erhalten haben – unterschiedlichen Zwecken im klösterlichen Zusammenhang dienten. Neben der Unterweisung dürfte der bilderreiche Traktat auch zur privaten Meditation innerhalb der Mönchsgemeinschaft benutzt worden sein. Der Charakter eines Lese- und Studienbuchs scheint in dieser umfassenden Edition nach wie vor durch – der „Schatz“ gewährt nicht nur Einblicke in eine hochkomplexe Welt, er wird zudem Forscherinnen und Forschern aus unterschiedlichen Disziplinen auf lange Sicht zu wertvollen Erkenntnissen und Deutungsmöglichkeiten verhelfen. Man kann allen Beteiligten nur dankbar sein, dass er gehoben wurde.

Anmerkungen:
1 Zu nennen ist insbesondere die Studie von Martin Roland, Die Lilienfelder Concordantiae caritatis (Stiftsbibliothek Lilienfeld CLi 151), Graz 2002, die laut Suntrup eine sinnvoll ergänzende Schrift zur zweibändigen wissenschaftlichen Edition darstellt (Bd. 1, S. XIII).
2 Die Formatierung des gesamten Manuskripts übernahm Rudolf Suntrup.
3 Für eine detaillierte Übersicht wird auf die Dissertation von Hedwig Munscheck verwiesen: Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld. Untersuchungen zu Inhalt, Quellen und Verbreitung, mit einer Paraphrasierung von Temporale, Sanktorale und Commune, Frankfurt am Main 2000.
4 Die Reihenfolge der Kommentare folgt in systematischem Schema dem Bildaufbau der Verso-Seite.
5 Die ursprüngliche Sinneinheit von Bildseite (jeweils die Verso-Seite) und ihr gegenüberliegender Textseite wird exemplarisch anhand der ersten Doppelseiten aus dem Codex veranschaulicht (Bd. 2, S. 424–427).

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