M. Kazin u.a. (Hrsg): Encyclopedia of American Political History

Titel
Princeton Encyclopedia of American Political History.


Herausgeber
Kazin, Michael; Edwards, Rebecca; Rothman, Adam
Erschienen
Anzahl Seiten
992 S.
Preis
€ 208,97
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Lenz, Köln

Für ihre „Princeton Encyclopedia of American Political History“ haben Michael Kazin, Rebecca Edwards und Adam Rothman die politische Geschichte erfreulich weit definiert. Dabei soll es eben nicht nur um das gehen, was umgangssprachlich ‚Politik‘ heißt, also darum „who gets elected to office and what they do with the powers granted to them by voters, laws and constitutions“ und den „endless contest of speech making, lawmaking, fundraising, and negotiating in which ambitious actors spend their lives struggling to come out on top“ (Bd. I, S. vii). Vielmehr sollen die zwei Bände auch „popular ideology and consciousness, social movements, war, education, crime, sexuality and the reciprocal influence of mass culture on political thinking and behavior“ (Bd. I, S. viii) abbilden. Dieser Programmatik ihrer „Encyclopedia“ stellen die Herausgeber einen sehr kurzen, aber trotzdem nützlichen Abriss über die Entwicklung historiografischer Schulen in den Vereinigten Staaten bei, der auch erkennen lässt, auf welchen politikhistorischen Fundamenten das Projekt fußt und wie man sich von überkommenen, zu engen Sichtweisen abzuheben versucht.

Inhaltlich gruppieren sich die 187 Einträge der „Princeton Enyclopedia“ in elf verschiedene Themenbereiche. Hier wird nach Periodisierungen; Institutionen; Bewegungen; politischen Parteien; Ideen, Philosophien und Religionen; Krieg und Außenpolitik; den Gründungsdokumenten; Regionen; „ethnic and racial groups“; Streitthemen („issues“) und Massenkultur gefragt. Interessant ist hierbei, dass die Kategorien durchaus auch weit ausgelegt werden: So taucht beispielsweise der Prozess zur Ergänzung der Verfassung („amendment process“) ebenso als Institution auf wie das Amtsenthebungsverfahren („impeachment“) und Meinungsumfragen („public opinion polls“).

Kernstück der „Encyclopedia“ sind die – wenn auch nicht explizit als solche gekennzeichneten – Überblicksartikel über die gliedernden Zeiträume („Periods“), die als sehr gut lesbare Epochenbeschreibungen einerseits den Charakter der betreffenden Perioden herausstellen und andererseits die jeweils großen Streitfragen der jeweiligen Epoche andeuten. Sehr gut wird dabei auch darauf eingegangen, wie die fragliche Periodisierung jeweils zustande kommt und wie sich gegebenenfalls die Forschungsmeinung zu einem Zeitraum entwickelt hat. So erfahren Leser/innen beispielsweise, dass die moderne Forschung das „Gilded Age“ positiver bewertet als das der Name (als ‚vergoldetes‘, aber eben nicht echt goldenes Zeitalter) und die ältere Forschung suggerieren, und auch, dass die (trotzdem) so bezeichnete „Era of Consensus“ zwischen 1952 und 1964 doch eher durch „continued, if at times submerged, political and economic conflict“ (Bd. I, S. 312) gekennzeichnet war. Besonders erfreulich ist in diesem Kontext, dass wirklich zentrale Entwicklungslinien deutlich herausgestellt werden, auch „[a]t the risk of oversimplification“ (Bd. II, S. 529), wie es Maurice Isserman in seinem Artikel über die „New Deal Era, 1932-52“ (die merkwürdiger- und ärgerlicherweise in der thematischen Inhaltsübersicht nicht auftaucht) formuliert: Gerade in dieser Vereinfachung liegt der große Nutzen der Artikel, die einen sehr guten ersten Zugriff ermöglichen, der eben nicht durch übermäßige Detailfülle erschwert wird. Weiterhin ist für all diese Artikel positiv zu vermerken, dass Fragen von „race“ und Gender eben nicht – wie so oft – stiefmütterlich, wie als Nachgedanke behandelt werden, sondern all diese Aspekte durchweg ganz selbstverständlich in die Texte mit eingewoben sind.

Neben den Klassikern, die als Einträge in einem solchen Nachschlagewerk zu erwarten sind – Gründungsdokumente, Parteien und Regierungsinstitutionen – findet sich auch eine Anzahl eher untypischer Einträge. Artikel wie beispielsweise „Transnational Influences on American Politics“, „Transportation and Politics“, „Popular Music and Politics“ eröffnen viele neue Perspektiven, verändern Sichtweisen und zeigen deutlich, dass der Wunsch der Herausgeber/innen nach einer breiten Definition von politischer Geschichte nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern auch in der gesamten Konzeption der „Encyclopedia“ durchgehalten wird. So ist beispielsweise die Bedeutung der Romanliteratur für die politische Mobilisierung diverser sozialreformerischer Bewegungen in dem Artikel „Politics in the American Novel“ sehr gut herausgestellt. Es sind Artikel dieser Gattung, die schlussendlich den besonderen Mehrwert des vorliegenden Werkes ausmachen und die „Princeton Encyclopedia“ von vergleichbaren Werken abheben. Zusammen mit den guten Querverweisen auf verwandte Artikel, den sehr guten, höchst aktuellen Literaturhinweisen für die weitere Lektüre, die den Einträgen folgen, und den Anhängen, die die Verfassung und vielfältige „technische“ Daten wie Wahlergebnisse, Kabinettsmitglieder, territoriale und Bevölkerungsentwicklung der USA dokumentieren, ergibt sich ein insgesamt sehr positives Bild.

Dennoch bleiben einige Aspekte, die ungünstig gelöst wurden. Der Artikel „Gender and Sexuality“, beispielsweise, ist zu stark auf das Frauenbild und Frauenrollen fokussiert, die gegenseitige Bedingtheit der unterschiedlichen Gender-Rollen gerät dabei ins Hintertreffen. Auch stellt sich die Frage, warum die Herausgeber/innen sich entschieden haben, den Artikel „Homosexuality“ aus der Behandlung von Gender herauszulösen und stattdessen eigenständig stehen zu lassen. Die Verknüpfung beider Artikel hätte vielleicht die analytische Schärfe bringen können, die dem Gender-Eintrag fehlt. Ähnliche Fragen drängen sich für die Einträge „Social Security“ und „Welfare“ sowie „Women and Politics“ und „Woman Suffrage“ auf, die durch ihre Zusammenlegung sicher nicht gelitten hätten. Vielmehr hätten diese zusammenhängenden Themenkomplexe dann wirklich auch zusammenhängend behandelt werden können und es entstünde nicht der Eindruck einer künstlichen Trennung von zusammengehörigen Aspekten.

Nicht nur die genannten Themenzusammenhänge hätten von einer Zusammenlegung der genannten Artikel profitiert, sondern auch die „Encyclopedia“ als Ganzes, denn mit dem gewonnenen Raum hätten einige sonderbare Lücken gefüllt werden können, die die Herausgeber/innen bei ihrer Konzeption der Einträge gelassen haben. So hätte der Rezensent beispielsweise Artikel zu den Themen „Todesstrafe“ und „Waffenrecht“ erwartet, da diese Themen sicherlich zu den heißesten und am heftigsten umstrittenen in der amerikanischen Politik der letzten Jahrzehnte zählen. Ähnlich wäre das Thema „Abtreibung“ – laut dem Artikel „Conservative Ascendancy, 1980-2008“ seit dem Urteil „Roe v. Wade“ ein wichtiges Thema der Bundespolitik (Bd. I, S. 188) – vermutlich eines gewesen, das einen eigenen Eintrag verdient hätte. Sicherlich können aber solche Geschmacksfragen den Gesamteindruck ebensowenig trüben wie die seltenen Schnitzer: So taucht der Friedensvertrag nach dem Unabhängigkeitskrieg als Friede von Gent auf (Bd. II, S. 827), wo natürlich Paris die Ehre gebührt, als Ort des Friedensschlusses genannt zu werden; und der 19. Verfassungszusatz, so wird formuliert, habe ein Verbot enthalten, „on the basis of gender“ (Bd. I, S. 190) Personen vom Wahlrecht auszuschließen, dabei verbietet das Amendment Wahlrechtsdiskriminierung „on account of sex“. Mit der als „Mrs. Robert Morse“ (Bd. II, S. 892) bezeichneten „Salonière“ ist vermutlich Mary Morris gemeint, die Frau des Senators und vormaligen Superintendent of Finance des Konföderationskongresses, Robert Morris.

Insgesamt ist allerdings trotz dieser kleinen Gravamina zu sagen, dass die „Princeton Encyclopedia“ ein überaus nützliches Nachschlagewerk ist, das in viele Aspekte der amerikanischen Politikgeschichte verlässlich einführt und als wirklich gute Zugriffshilfe auf die weitere Forschung genutzt werden kann. Ob sich aber in Zeiten knapper Kassen viele (Instituts-)Bibliotheken dieses Werk, das mit knapp 200,- Euro preislich überaus ambitioniert ist, werden leisten können und wollen, muss wohl leider – auch wenn das Geld gut angelegt wäre – bezweifelt werden.

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