C. Ehalt u.a. (Hrsg.): Was blieb vom Josephinismus?

Titel
Was blieb vom Josephinismus?. Zum 65. Geburtstag von Helmut Reinalter


Herausgeber
Ehalt, Christian; Mondot, Jean
Erschienen
Anzahl Seiten
232 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claus Oberhauser, Privatinstitut für Ideengeschichte, Innsbruck

In dem vorliegenden Sammel- und Tagungsband geht es nicht nur um die Frage, was vom Josephinismus blieb, sondern auch darum, was vom Werk des Innsbrucker Historikers Helmut Reinalter bleiben wird. Brigitte Mazohl, die Leiterin der Instituts für Geschichte und Europäische Ethnologie in Innsbruck, hebt in ihrer nunmehr im Druck vorliegenden Rede hervor, dass vor allem Reinalters „ausgeprägtes Theorie- und Methodenbewusstsein […] einen innovativen Impuls, der den Studierenden in vielfacher Weise zugutegekommen ist“ (S. 8), gab. Die ständige Erneuerung des Fragehorizonts, Selbsthinterfragung, aber auch Engagement und das Hochhalten der Werte der Aufklärung sind wohl die bestimmenden Punkte in Reinalters wissenschaftlicher Karriere. Christian H. Ehalt meint in seiner Laudatio dazu: „Die Forschungen von Helmut Reinalter lieferten und liefern wichtige gestaltende Beiträge für die Verhandlung und Neuverhandlung von Geschichte [...]“ (S. 20). Im Sammelband ist nicht nur der Lebenslauf Reinalters, sondern auch sein Schriftenverzeichnis (Stand 2009) abgedruckt.

Wenden wir uns aber nun den Beiträgen des Tagungsbandes zu, der aus der Konferenz zum 65. Geburtstag Reinalters im Mai des Jahres 2009 in Innsbruck, hervorgegangen ist. Jean Mondot hebt in seinem Beitrag die positiven und negativen Aspekte des Josephinismus hervor. Auf der einen Seite wurden niemals so viele Gesetze, Patente oder Dekrete beschlossen und verabschiedet. Breite Teile der Öffentlichkeit waren davon begeistert und „der Eindruck entsteht, der Fürst hole sich Ideen und Anregungen direkt von seinen Untertanen“(S. 26). Auf der anderen Seite war Joseph II. aber unzweifelhaft ein autoritärer Herrscher.

Franz Leander Fillafer liefert in seinen „Überlegungen zu einer Geschichte des josephinischen Erbes in der Habsburgermonarchie“ eine „Gespenstergeschichte für Erwachsene“. Fillafer macht deutlich, dass Aufklärung und Josephinismus alles andere als kongruent waren und vor allem nicht als wesensgleich zu deuten sind. Vielmehr muss man den Blick auf die „Scharnierstellen“ (S. 28) richten, um die Verzahnungen des Josephinismus näher zu beleuchten. Die „Aufklärung“ war nicht nur gesellschaftlich differenziert, sondern auch konfessionell, verschiedene Milieus hatten unterschiedliche Auffassungen davon, was Aufklärung sei: „Wir entdecken also bei genauerer Analyse eine komplexe Tektonik der Aufklärung […].“ (S. 34) Der Kampf um das josephinische Erbe bzw. auch die Abwendung vom Josephinismus hängt stark mit den unreinen Verfugungen zwischen Aufklärung und Josephinismus zusammen. Was passierte um 1800 mit der Aufklärung? Fillafer meint, dass „einige Linien der Geschichte der Habsburgermonarchie des frühen 19. Jahrhunderts neu“ (S. 44) gezeichnet werden müssen. Viele Liberale beriefen sich auf den Josephinismus und die Kontinuität der Aufklärung rund um die Ereignisse 1848, Konservative strichen demgegenüber heraus, dass das liberale Gedankengut die Weiterentwicklung des aufgeklärten Despotismus der Vernunft sei. Ferner gab es noch viele andere Deutungen des Josephinismus und diese spiegeln sich auch in der Historiographie wieder. Der Beitrag Fillafers ist auch ein sprachliches Feuerwerk, welches sich der Leser beim Nachvollziehen der Gedankengänge auf der Zunge zergehen lassen kann.

Irmgard Plattners Abhandlung „Die josephinische Bürokratie und ihr Fortwirken im 19. Jahrhundert“ ist instruktiv und baut vorwiegend auf den Forschungen von Waltraud Heindl auf. Hervorzuheben ist, dass vor allem die Bürokratiereform bis über den Zerfall der Monarchie hinaus ihre Wirksamkeit entfaltete. Joseph II. führte – entsprechend den Analysen von Michel Foucault – die Macht der Disziplin und Ordnung in die Verwaltung ein. Mit dem „Fortwirken der 'theresianisch-josephinischen' Wirtschaftspolitik im frühen 19. Jahrhundert“ beschäftigt sich Bernhard Hackl in seinem Aufsatz. Der Autor hebt hervor, dass es zwischen den Wirtschaftsreformen des 18. Jahrhunderts und denen des 19. Jahrhunderts kaum Kontinuitäten gab. Die Agrarpolitik wurde sogar konservativer, wobei die Unterschiede zwischen den einzelnen Kronländern allerdings beträchtlich waren. Das Fortleben des Josephinismus sei nicht kontinuierlich, sondern vielmehr im eklektischen Zugang zur Wirtschaftspolitik zu erblicken.

Rolf Graber setzt sich in seinem originellen Beitrag mit dem Thema „Joseph II. als Faszinosum in schweizerischen Republiken: Josephinismus als Ersatz für radikalen Republikanismus?“ auseinander. Er betont dabei, dass die postulierte Schweizer Freiheit in den Republiken an der Praxis scheiterte: Die eidgenössischen Regierungen erwiesen sich in immer stärkerem Ausmaß als reformunfähig. Joseph II. als Monarch und der aufgeklärte Absolutismus wurden zu einem Hoffnungsträger bzw. „Konkurrenzmodell“ (S. 107). Der Schweizer Historiker zeigt dies anhand der Lebensläufe Johann Caspar Lavatars, Johann Heinrich Wasers, Johann Heinrich Pestalozzis und Christoph Heinrich Müllers. Die Zäsur von 1789 verändert jedoch schlagartig das Bild. Während in der Phase bis ca. 1789/90 Joseph II. als Sinnbild der Veränderung verehrt wurde, änderte sich in der Schweiz durch die Auswirkungen der französischen Revolution die Schubrichtung; vor allem für ländliche Patrioten stellten aufgeklärte Herrscher nun den Anfang vom Ende dar, einzig reformkatholische Strömungen beriefen sich in der Folge noch auf den Josephinismus.

Der Aufsatz „Fortsetzung und Radikalisierung des Josephinismus in den revolutionären Bewegungen bis 1848“ von Marita Gilli ist eine Überblicksdarstellung, die hier nicht weiter kommentiert werden muss. Ähnlich verhält es sich mit dem Beitrag „Franz Joseph I. – ein Josephiner“ von Lorenz Mikoletzky, da dieser sich hauptsächlich mit Franz Joseph beschäftigt, um am Ende zu der wenig überraschenden Schlussfolgerung zu gelangen, dass dieser kein Josephiner gewesen sei.

Der abschließende Beitrag von Wolfgang Müller-Funk behandelt den Anti-Mythos Josephinismus aus literaturwissenschaftlicher Perspektive. Der Wiener Kulturwissenschaftler hebt die Melancholie der österreichischen Literatur hervor, jene Schwermut, die „stets etwas Verschwindendes und Verschwundenes“ enthalte. Joseph Roth beispielsweise wollte die Geschichte Joseph II. zu Ende erzählen, um vom Alp des Josephinismus loszukommen. Man muss sich, laut Roth, von einer Aufklärung lossagen, an deren Ende der Totalitarismus stand. Friedrich Heer betonte in seinem Werk „Der Kampf um die österreichische Identität“, dass Joseph „emotionale Defizite“ (S. 150) hatte und als schwacher Kaiser „im Windschatten eines preußischen Königtums operiert“ (S. 150). Die Verbindungslinien zwischen Nationalismus und Deutschtum werden hier sichtbar. Claudio Magris hob hervor, dass sich vor allem Franz Joseph als Sinnbild des habsburgischen Mythos und der „österreichischen Schwermut“ eignete, Joseph II. war und ist demgegenüber für das typisch österreichische Narrativ keine geeignete Galionsfigur; die Erinnerung an ihn ging gewissermaßen im franko-josephinischen Mythos auf.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Tagungsband seine Doppelfunktion erfüllt: Erstens wird die Frage „Was blieb vom Josephinismus?“ insofern beantwortet, als auf die historische Überlieferung eingegangen wird, die Bürokratie und Reformen besprochen werden, die Wirtschaft analysiert und der Anti-Mythos besprochen wird. Sicherlich gäbe es noch andere lohnende Blickwinkel auf den Josephinismus, interessant wäre zum Beispiel eine begriffsgeschichtliche Analyse. Die Fachwelt darf sich auf jeden Fall auf die Dissertation von Franz Leander Fillafer freuen, denn dieser blickt auf die Bruchstellen und Scharniere der Kontinuitäten sowie traditionellen Überlieferungen und fördert dabei viel Neues zu Tage. Zweitens wird Helmut Reinalter durch diesen Band geehrt. Was von diesem bedeutenden Historiker und Philosophen bleiben wird, sind seine Werke und Schriften und seine Schüler, die seinen Ansatz weiter verfolgen werden.

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