Cover
Titel
Die Mauer. Geschichte einer Teilung


Autor(en)
Wolfrum, Edgar
Erschienen
München 2009: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ronny Heidenreich, Berliner Mauer Gedenkstätte

Zwanzig Jahre nach ihrem Fall war die Berliner Mauer im vergangenen Jahr so präsent wie wahrscheinlich seit 1989 nicht mehr. Das öffentliche wie wissenschaftliche Interesse äußerte sich in einer Fülle von Publikationen, unter denen sich auch neue kompakte Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Berliner Mauer finden.

Der Heidelberger Zeithistoriker Edgar Wolfrum hat einen kleinen Band vorgelegt, der die Geschichte der Berliner Mauer im Kontext deutscher und internationaler Nachkriegsgeschichte erzählt. In knappen und sehr anschaulich geschriebenen Kapiteln werden die politischen, sozialen und kulturellen Kontexte beschrieben, die dem Bau der Berliner Mauer voraus gingen, ihn begleiteten und schließlich zu ihrem Fall führten. Der Perspektivwechsel macht die Lektüre spannend und aufschlussreich. Der Leser erhält einen Einblick in die großen Konfliktlinien des Kalten Krieges ebenso wie in die deutsch-deutsche Politik im Zeichen der Teilung. Wolfrum geht dabei chronologisch vor und bettet kleine Exkurse ein, die einzelne Aspekte wie den kontrovers diskutierten Schießbefehl, die Inszenierung des „antifaschistischen Schutzwalls" oder die „Mauerkunst“ der 1980er-Jahre vertiefen.

Zum Einstieg ruft Wolfrum dem Leser Ereignisse und Bilder in Erinnerung, die exemplarisch für die Berliner Mauer stehen: die überraschende Abriegelung der Sektorengrenzen am 13. August 1961, dramatische Fluchtszenen und die Perfidie des Grenzsystems. Es folgt ein Rückgriff auf die Vorgeschichte des Mauerbaus, die über die Berlin-Krisen, die doppelten Staatsgründungen 1949 und den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 die wesentlichen Zäsuren einschließt. Der Frage, wer für den Bau der Mauer schließlich verantwortlich war, räumt Wolfrum breiteren Raum ein. Er referiert die Spannungen zwischen sowjetischer Deutschlandpolitik und den Bestrebungen des SED-Regimes, die DDR durch Abriegelung zu erhalten. Das Nachgeben Moskaus im Sommer 1961 war die „zweite Geburt der DDR" (S. 40). Die Zurückhaltung des Westens nach dem Mauerbau löste nicht nur bei den Zeitgenossen empörtes Unverständnis aus. Die Erklärungen Wolfrums laufen auf die Gefahr eines bewaffneten Konfliktes um Berlin hinaus, den im Sommer 1961 keine Seite ernsthaft in Erwägung zog. Folgerichtig ist das Kapitel mit „Erleichterung" überschrieben, mit dem Bau der Mauer Berlin als internationalen Krisenherd entschärft zu haben (S. 41).

Die Reaktionen auf dieses Ereignis fasst Wolfrum in zwei Kapiteln zusammen. Für die DDR stellt er die These einer „Konsolidierung durch Abschottung" auf. Neben innenpolitischen Veränderungen trug nach Wolfrum der Rückzug der DDR-Bevölkerung in private Nischen zur Stabilisierung des SED-Regimes bei (S. 62f.). Diese nicht gänzlich von der Hand zu weisende Argumentation greift allerdings zu kurz. Ausgehend vom totalitären Gesellschaftskonzept Wolfrums, gelingt es ihm nicht abschließend zu erklären, wie die DDR-Gesellschaft im Schatten der Mauer funktionierte.

Das SED-Regime konnte mit dem Bau der Berliner Mauer zwar die Massenabwanderung stoppen, aber die Fluchtbewegung nicht völlig unterbinden. Wolfrum skizziert die Motivationen und Wege, mit denen Menschen oftmals vergeblich versuchten, die Grenzsperren zu überwinden. Hier liefert er auch Zahlen zur Fluchtbewegung nach 1961. Die Angaben zu den Todesopfern konnten inzwischen durch neuere Publikationen konkretisiert werden.1

Im Kontext der Fluchtbewegung kommt dem „Schießbefehl“ eine besondere Bedeutung zu. Die Erwartungshaltung des SED-Regimes und der Grenztruppenführung, Fluchtversuche durch den Gebrauch der Schusswaffe zu verhindern, wird anschaulich beschrieben. Wie dieser Schießbefehl allerdings unter den Wehrpflichtigen an der Grenze durchgesetzt werden konnte, bleibt offen.2

Wie schwierig und letztendlich erfolglos die Berliner Mauer gegenüber der DDR-Bevölkerung zu legitimieren war, zeigen seine Ausführungen zum „Antifaschistischen Schutzwall" (S. 78f). Dennoch setzte in Ost und West eine Gewöhnung an die Teilung ein, die mit der Entspannungs- und Ostpolitik zu Beginn der 1970er-Jahre eine neue Qualität erfuhr. Wolfrum führt den Grundlagenvertrag von 1972 und die KSZE-Schlussakte 1975 an, die der DDR zwar internationale Anerkennung verschafften, aber letztendlich „die Zukunft der Diktatur unterminimierten" (S. 97). Angesichts der Verschärfung der Ost-West-Konfrontation in den 1980er-Jahren vermerkt Wolfrum zur fortgesetzten deutsch-deutschen Verständigung kritisch, dass diese schließlich den Bestand des SED-Regimes gesichert habe.

Die Ende der 1980er-Jahre erreichte Stabilität deutsch-deutscher Koexistenz sollte während der Friedlichen Revolution 1989 binnen weniger Monate ein Ende finden. Hier widerspricht sich der Autor, da sich nun „Mauerfall und Endkrise des SED-Regimes […] schon länger angekündigt" hätten. Dass die erneute massenhafte Fluchtbewegung und die Protestbewegung im Herbst 1989 den Mauerfall tatsächlich herbeiführten, war nicht vorhersehbar. Dies muss Wolfrum einige Seiten später unter Berufung auf Hans-Hermann Hertle einräumen (S. 137).

Mit dem Fall der Berliner Mauer ist die Geschichte dieses Bollwerks nicht zu Ende. Wolfrum wagt einen Blick über das Revolutionsjahr 1989 hinaus und zeigt, welche erinnerungspolitischen Debatten über die Berliner Mauer und die DDR im wiedervereinigten Deutschland geführt wurden. Dieser gut geschriebene Überblick bietet zugleich einen Einblick in aktuelle Gedenkkonzepte und in die Gedenkstättenlandschaft Berlins, der dem Leser als eine Art Reiseführer an die Hand gegeben wird. Dass die Berliner Mauer auch heute noch aktuell sein kann, zeigt am Schluss des Buches ein etwas pessimistischer Ausblick. Die menschenverachtende Funktion von Mauern habe sich nicht geändert, so Wolfrum. Doch statt politische Systeme von einander zu trennen, werde heute das Wohlstandsgefälle in der Welt durch neue Grenzsperren zementiert (S. 161).

Der Band "Die Mauer" ist ein kompakter, gut strukturierter und lesbarer Einsteig in das Thema. Die Exkurse über die eigentliche Mauergeschichte hinaus machen das Besondere des Bandes aus. Dem Fachpublikum bieten sich indes keine neuen Erkenntnisse, da Wolfrum sich lediglich auf die Zusammenfassung der Forschungsergebnisse der letzten zehn Jahre beschränkt. Anders wäre diese Geschichte der deutschen Teilung auch sicher nicht zu schreiben gewesen.

Anmerkungen:
1 Zentrum für Zeithistorische Forschung / Stiftung Berliner Mauer (Hrsg.): Die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961-1989. Ein biographisches Handbuch, Berlin 2009.
2 Gerhard Sälter, Grenzpolizisten. Konformität, Verweigerung und Repression in der Grenzpolizei und den Grenztruppen der DDR. 1952 bis 1965, Berlin 2009.

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