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Titel
Bilder des Staates. Kammer, Kasten und Tafel als Visualisierungen staatlicher Zusammenhänge


Autor(en)
Segelken, Barbara
Erschienen
Berlin 2010: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
242 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angela Strauß, Historisches Institut, Universität Potsdam

Ordnung ist das halbe Leben – doch sicher nicht nur deshalb untersucht Barbara Segelken Ordnungsvorstellungen und ordnende Praktiken im frühneuzeitlichen Staat. Mit ihrer 2006 abgeschlossenen Dissertation, die jetzt publiziert wurde, befindet sie sich in guter Gesellschaft. Namhafte Geistes- und Sozialwissenschaftler erforschten in den letzten Jahrzehnten im Rahmen der Kulturgeschichte die Repräsentationsformen von Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Zuletzt hat Umberto Eco die „unendlichen Listen“ im Louvre entdeckt und auf die unzähligen Kataloge der Vergangenheit aufmerksam gemacht.1 Die systematische Durchdringung und die Suche nach Ordnungskriterien können hierbei als Merkmale der Staatsbildung gewertet werden. So wie im Laufe der Frühen Neuzeit eine Flut von Auflistungen entstand, so nahmen die Bildproduktion und deren argumentativer Einsatz zu. Der Informationszuwachs und der Wissensanspruch – insbesondere ausgerichtet auf Zahlen – waren der allgemeine Kontext. Innerhalb dieses Forschungsfeldes richtet Barbara Segelken ihren Fokus auf das Sammlungs- und Museumswesen.

Der Titel der Studie „Bilder des Staates“ bezieht sich auf die Visualisierung der politischen Ordnung. Statt allegorischer Darstellungen vom Staat sind jedoch „technische“ Bildmedien wie Tabellen in Verwaltungsakten und Abbildungen von Kunstkammern der Untersuchungsgegenstand der Autorin. Bereits im Untertitel verweist sie auf „Kammer, Kasten und Tafel“ – Ordnungsmittel, die sie im Sinne der Bildwissenschaften und der Wissenschaftsgeschichte interpretiert, so dass sie nicht bei der Betrachtung von Bildern als Kunstwerken stehen bleibt. Segelken stützt sich auf die analytischen Ansätze ihres Betreuers Horst Bredekamp, der ebenso mittels Analogien sowohl die Repräsentationskraft der Kunstkammer als auch den Bezug zur Natur dargelegt hat.2 Vertreter der Bildwissenschaften wie auch der Wissenschaftsgeschichte haben die Ästhetik und die Konstruktion von naturwissenschaftlichen Tatsachen inzwischen sehr umfassend erforscht. Die Arbeit von Barbara Segelken zeigt nochmals deutlich, dass Bilder bereits als Hilfsmittel der Wissenschaften verstanden wurden, bevor ein moderner Objektivitätsanspruch visuelle Abstraktionen von naturwissenschaftlichem Wissen hervorbrachte.3 Hinter den Bildern von der Ordnung des Staates stand die zeitgenössische Überzeugung von einer Naturwahrheit. Demzufolge rezipiert Segelken die Schriften nicht nur von Samuel Quiccheberg, dem Verfasser der ersten „Museumslehre“, sondern ebenso von Gottfried Wilhelm Leibniz und Carl von Linné.

Das Werk ist reichhaltig bebildert, wobei die Abbildungen nicht nur als Illustrationen, sondern auch als Argumente verstanden werden dürfen. Wie beim Titelbild, der Europakarte von August Friedrich Wilhelm Crome von 1785, bekräftigen und ergänzen die Abbildungen Segelkens schriftliche Ausführungen. Der Leserschaft wird damit nochmals die visuelle Ordnung versinnbildlicht. Die Abhandlung selbst setzt sich aus zwei systematisch aufeinander aufbauenden Teilen zusammen. In beiden Teilen beansprucht die Autorin, die Praxis des Sammelns und Ordnens als Ausdruck eines politischen Handelns zu erörtern, das „das jeweilige Wissen in den Dienst der staatlichen Interessen stellte“ (S. 15). Diese „Instrumentalisierung der Bilder“ erforderte Verfahren. Bereits Samuel Quiccheberg hatte den „Zusammenhang zwischen materieller Objektwelt und tabellarischer Informationsaufbereitung“ (S. 31) betont.

Im ersten Teil des Buches beschreibt die Autorin deshalb die vormodernen Ordnungsmodelle anhand von statistischen und administrativen Hilfsmitteln visueller Art. Sie schildert etwa die „Tabellenlogik“ des preußischen Ministers Friedrich Anton von Heinitz, der 1765 die Bergakademie Freiberg gründete. Hier beginnt ein Bogenschlag zur Bedeutung des Bildes in der Verwaltung und im Sammlungswesen. Fortgesetzt wird die Argumentation bei graphischen und malerischen Abbildungen von Ordnungssystemen, so bei Gemälden, die einen Setzkasten abbildeten. Diese Setzkastenbilder gaben laut Segelken einen Überblick über Sammlungsbestände. Sie zielten „auf eine auf Totalität angelegte Präsentation“ (S. 40) und veranschaulichten zugleich „eine vernetzte Ordnungsstruktur“ (S. 41). Der erste Teil endet mit der Analyse zweidimensionaler Formen der Informationserfassung wie den Tabellen und Diagrammen der Staatsverwaltung. Das Zwischenfazit lautet, dass in „Museologie, Staatsverwaltung und Natursystematik […] die gleichen argumentativen Strategien und Vorgehensweisen angewandt [wurden], um Sinnzusammenhänge zu etablieren“ (S. 105). Segelken meint daher ableiten zu können, dass der Staat ohne den Körper des Regenten konzipiert wurde.

Im zweiten Teil liegt der Schwerpunkt auf der Geschichte und Beschaffenheit der Königlichen Berliner Sammlungen. Die Ende des 16. Jahrhunderts eingerichtete Kunstkammer des Hohenzollernhauses wurde 1830 teilweise in das Alte Museum in Berlin überführt. Segelken widmet den Veränderungen im Staatswesen und den Verschiebungen des Bezugssystems in den Sammlungen um 1700 und um 1800 ihre Aufmerksamkeit. Die ausführliche und detaillierte Beschreibung der Berliner Sammlungen wird erstens anhand der Inventare von 1688 und 1694 und zweitens mittels Denkschriften vollzogen, die in einem Sammlungsführer aus dem Jahre 1805 abgedruckt sind. Schlagworte wie „Präsentieren“, „Verschenken“ und „Ausdifferenzieren“ bestimmen die Argumentation dieses Teils. Segelken schlussfolgert, dass das Konzept eines enzyklopädischen Museums aufgrund der Neuorganisation der Bestände in Spezialsammlungen nach 1810 keine materielle Basis mehr hatte.

Die Autorin setzt die beiden Buchteile und damit die beiden Untersuchungsgegenstände über die Ordnungsinstrumente und -formen zueinander in Beziehung. Dabei verknüpft sie Listen und Tabellen als Visualisierung einer Systematik nicht grundsätzlich kausal mit den Sammlungen und Museen, sondern behandelt sie als analoge Phänomene aufgrund gleicher Merkmale und Funktionen. Das mehrfache Verzeichnen von Objekten in der Sammlungstheorie bei Quiccheberg wie das Prinzip der wechselseitigen Verwandtschaft bei Linné verweisen Segelken zufolge darauf, dass die Sammlung als ein Instrument für die Ordnung der Welt verstanden wurde.

Mit dem Deutungsmuster „Ordnungssystem“ ist die Frage nach der Deutungshoheit verbunden. Den Begriff „Ordnung“ verstanden die Zeitgenossen als „geschickte Einteilung“ und „den Proportionen entsprechende Zuordnung in den Künsten.“ Die richtigen Proportionen finden hieß, eine ästhetische Ausgewogenheit herzustellen. Eine solche Ästhetik ging einher mit der zeitgenössischen Idee einer rechtlichen guten Ordnung, die nicht zuletzt mit ihrer Natürlichkeit bzw. ihrer transzendenten Ausrichtung begründet wurde. Von „Ordnung“ ist es insofern etymologisch und ideengeschichtlich nicht weit zu „Ordre“.4 Segelken formuliert treffend, dass die „Tabelle […] dabei als Bild definiert [wird], das den Blick lenkt und den Denkprozess katalysiert und vorantreibt“ (S. 93).

Die Bilder wurden benutzt, um Ordnung zu schaffen: Die Statistik diente der Staatsbeschreibung und war somit ein Anwendungsbereich von Ordnung im frühneuzeitlichen Staat. Ebenso stellte das Museum einen Ort der Ordnung und des Ordnens dar. Durch das dortige Kategorisieren und Visualisieren wurde es zu einem Ort des Aufzählens von Dingen. Hier ist gemäß der Argumentation von Segelken die Analogie zur Zählung auf dem Papier zu ziehen. Weitgehend offen bleibt in der Arbeit, in welcher Weise der Bezug zum Staat vollzogen wurde. So darf also anhand der geordneten Dinge und der geordneten Darstellung keine qualitative Aussage über die „Bilder des Staates“, die die Zeitgenossen gehabt haben mögen, erwartet werden.

Kritisieren ließe sich daneben die zurückhaltende Auseinandersetzung mit der politikgeschichtlichen Historiografie, besonders zu Preußen. Die Feststellung, dass Herrschaft visualisiert und durch Ordnungskriterien verstärkt wurde, lässt nach der Staatsräson fragen, die im Buch leider nicht angesprochen wird. Des Weiteren wäre es reizvoll gewesen, Bildstrategien zu bestimmen. Jedoch kann Segelkens Darlegung von Wahrnehmungsmustern und Zuschreibungen hilfreich sein, um staatstheoretische Positionen zu differenzieren und hinsichtlich des Verhältnisses von Zeichensystem und Aussageabsicht zu erörtern. Trotz – oder gerade wegen – der Kritik bleibt diese Dissertation daher eine gedanklich anregende Arbeit.

Anmerkungen:
1 Umberto Eco, Die unendliche Liste, München 2009; an Michael Foucault anknüpfend Anton Tantner, Die Hausnummer. Eine Geschichte von Ordnung und Unordnung, Marburg 2007.
2 Horst Bredekamp, Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, 3. Aufl., Berlin 2007; ders. (Hrsg.), Visuelle Argumentationen. Die Mysterien der Repräsentation und die Berechenbarkeit der Welt, München 2006.
3 Lorraine Daston, Objektivität, Frankfurt am Main 2007.
4 Vgl. die zahlreichen Einträge zu „Ordnung“ in Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, 64 Bde., 4 Supplementbände, Leipzig 1731-1754.

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