H. Mühlestein: Hausfrau, Mutter, Gattin

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Titel
Hausfrau, Mutter, Gattin. Geschlechterkonstruktionen in Schweizer Ratgeberliteratur 1945 - 1970


Autor(en)
Mühlestein, Helene
Reihe
Populäre Literaturen und Medien 3
Erschienen
Zürich 2009: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
166 S.
Preis
€ 24,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Elsbeth Bösl, Zentralinstitut für Geschichte der Technik, Technische Universität München Elsbeth.Boesl@mzwtg.mwn.de

Die Volkskundlerin und Historikerin Helene Mühlestein untersucht am Beispiel von rund vierzig, zwischen 1945 und 1970 erschienenen Frauenratgebern soziokulturelle Konstruktionen von Geschlecht. Sie versteht Ratgeber sowohl als konstituierende Faktoren von als auch als Spiegel des Denkens über die Strukturkategorie Geschlecht. Ihr Erkenntnisinteresse richtet sich auf die Konfiguration von 'Hausfrau', 'Mutter' und 'Ehefrau' als Sinnbilder weiblicher Bestimmung und integrale Bestandteile des bürgerlichen Familienideals. Dieses erlangte in der Schweiz nach 1945 unter den Bedingungen des Wirtschaftsaufschwungs und der Entstehung einer Konsumgesellschaft erstmals praktische Relevanz: Reallohnerhöhung und Sozialversicherungsausbau förderten die Durchsetzung des Alleinernährermodells.1 Zugleich begann jedoch ein Relativierungsprozess: Die Frauenerwerbsquote, insbesondere die Erwerbstätigkeit von verheirateten Frauen und Müttern, nahm zu. Zwar geriet die Geschlechterordnung keineswegs sofort ins Wanken, jedoch zeigen beispielsweise politische Regulierungsversuche in der Sozialleistungsgesetzgebung, dass diese Entwicklung als krisenhaft wahrgenommen wurde (S. 25). Das gesellschaftliche Orientierungsbedürfnis und mithin das Interesse an Ratgeberliteratur waren hoch.

Ratgeber vermitteln in Regeln formuliertes, für die konkrete Anwendung gedachtes Orientierungswissen. Die hier untersuchten Exemplare wandten sich als Handlungs- und Wahrnehmungsanleitungen vorwiegend an Frauen in individuellen Phasen des Übergangs – zur Ehefrau, zur Mutter –, und wollten ihre Integration in neue Rollen und soziale Gruppen unterstützen. Die Ratgeber hatten eine kulturelle Vorgeschichte, beruhten auf bestehenden Normen und Leitbildern. Kaum beurteilen lässt sich, so Mühlestein, ob sie bestehende Normen und Leitbilder ausschließlich spiegeln oder eher beeinflussen. Zudem erlauben die Quellen keine Rückschlüsse auf die Umsetzung des vermittelten Wissens im Alltagsleben. Doch um diese Rezeption geht es Helene Mühlestein auch nicht. Sie kann sich deshalb methodisch darauf beschränken, einen seriellen Quellenzugang anzulegen, Ratgeber zugleich als Resultate soziokultureller Entwicklungen als auch als deren Faktoren zu verstehen und sie historisch zu kontextualisieren.

Die Studie, eine am Institut für populäre Kulturen der Universität Zürich entstandene Lizentiatsarbeit, beginnt mit einem knappen, aber überzeugenden Forschungsüberblick und einem Methodenkapitel. Dem folgt ein Abschnitt, der sehr kurz den (sozial)historischen Kontext der Schweiz der 1940er- bis 1970er-Jahre umreißt. Der Begriff Geschlecht wird aus konstruktivistischer Perspektive explizit und schlüssig hergeleitet. Die Autorin arbeitet unter anderem mit Joan Scotts Konzept von Gender: Gender, und mithin Kultur statt Biologie, strukturiert Lebensbereiche in symbolischer und konkreter Hinsicht. Diese Denkweise macht sich Mühlestein bei der Einordnung der Analyseergebnisse in ihren kulturellen Kontext zueigen. Zudem nutzt sie den von Judith Butler geprägten Zugang, Geschlecht als performativen Akt zu konzeptionalisieren: Geschlecht kommt durch die permanente Wiederholung stilisierter performativer Akte zustande. Sprache hat dabei einen Wirklichkeit erzeugenden Charakter. 2 Als sprachliche Festschreibung versteht Mühlestein Ratgebertitel wie "Das kleine Hausfrauenlexikon". Die damit verbundene Zuordnung an ein weibliches Publikum produziere polare Geschlechteridentitäten (S. 16-17). Im ersten und umfangreichsten Kapitel untersucht Mühlestein Schweizer Hausfrauenratgeber. Diese reproduzierten das in der Zwischenkriegszeit formulierte Ideal einer 'homogenen' nationalen Hausfrau, Mutter und Gattin. Die Ratgeber boten in einer Phase, deren Umbruchcharakter Mühlestein betont, rückwärtsgewandtes Orientierungswissen an, das Struktur erhaltend wirken sollte. Hierbei wurden die Haushaltsführung als eine ihrer Biologie entsprechende Berufung und das Privathaus als 'natürlicher' Raum der verheirateten Frau präsentiert. Hausfrauenarbeit war Liebesdienst statt Arbeit, wurde aus Liebe getan und mit Gegenliebe vergolten. Obwohl die Haushaltsführung zur naturgegebenen Bestimmung deklariert wurde, galt sie unter den Autor/innen nicht als 'von Natur aus' beherrscht. Im Gegenteil beschrieben diese einen rationalisierten, technisierten und professionalisierten Haushaltsalltag, der von den Frauen verlangte, spezialisierte, an wissenschaftlicher Expertise orientierte Kenntnisse und systematische Vorgehensweisen zu erwerben. Die Rede von der natürlichen Bestimmung einerseits und das Plädoyer für die Integration wissenschaftlich erhobenen Wissens in den Frauenalltag andererseits, bestimmten auch die im zweiten Kapitel behandelten Ratgeber für werdende und junge Mütter. Die überwiegend ärztlichen Autorinnen und Autoren betonten zwar, dass Frauen dank ihres 'Mutterinstinkts' auf ihre Aufgabe vorbereitet seien, erklärten jedoch den Expertenrat für unverzichtbar. Erfahrungswissen, tradiert etwa in weiblichen Netzwerken, galt in einer Phase, als Schwangerschaft und Geburt zunehmend medikalisiert wurden, als wertlos, wenn nicht gefährlich (S. 90). Nicht Gefühl oder Instinkt, sondern den mütterlichen Intellekt wollten die Ratgeber ansprechen. Vernunftgeleitet und aktiv sollte sich die mündige Frau informieren und dem Expertenwissen anvertrauen. Hervorhebenswert sind Mühlesteins Beobachtungen zur Konstruktion von 'Mutterliebe'. Vor den 1950er-Jahren hatte sich diese in akribischer Exaktheit und Rationalisierung von Pflege und Ernährung definiert. Zärtlichkeit und körperliche Nähe waren als Verwöhnen des als 'Tyrann' gedachten Kind kritisiert worden (S. 107). Nun rückten die emotionalen Bedürfnisse des Kindes, mütterliche Hingabe und zärtliche Zuwendung in den Vordergrund. Auftretende praktische Probleme oder Belastungen etwa beim Stillen behandelten die Ratgeber eher sekundär. Statt konkrete Ratschläge zu bieten, betonten sie die Pflichterfüllung der liebenden Mutter an ihrem Kind und rieten, sich zum Wohle des Kindes zu überwinden. Im letzten Kapitel wendet sich Mühlestein den Schönheitsratgebern zu und damit einer Sparte, die Frauen weniger in Übergangssituationen, dafür aber noch stärker als homogene Gruppe konstruierte. Schönheit und Gepflegtheit repräsentierten normierte Vorstellungen von Weiblichkeit, bezogen sich jedoch nicht nur auf äußere Ästhetik, sondern auch auf Verhalten und Charakter. Kosmetik und Kleidung sollten gezielt eingesetzt werden, um schön und mithin ganz Frau zu sein. Dies geschah wiederum aus Liebe zur Familie und wurde durch das anhaltende Interesse des Partners entlohnt.

Überhaupt, die Männer: Sie tauchen in den Ratgebern selten auf. Als Ehemänner, Väter und Gatten treten sie kaum in Erscheinung, auch nicht als Träger von Funktionen in der weiblichen Welt, sondern höchstens als Nutzer, Konsumenten und Adressaten weiblicher Aktivitäten. Infolge dieser Nichtthematisierung fällt es der Autorin, die sich bewusst ist, dass die Geschichte des einen Geschlechts nur in der Relation zum anderen geschrieben werden kann, nicht leicht, die in Frauenratgebern transportierten Männerbilder zu extrahieren. Dabei wäre dies von besonderem Interesse: Welche Männlichkeiten wurden impliziert, welche Männerbilder korrespondierten mit den hier erzeugten Konfigurationen von weiblichem Geschlecht? Offenbar erlegen die Quellen dem Forschungsinteresse hier Grenzen auf. Dessen ungeachtet zeigt Mühlesteins Studie, dass sich ein geschlechtergeschichtlicher Zugang bei begrenztem Quellenkorpus sehr gut für eine Abschlussarbeit eignet. Die Ratgeber sind hier bei allen methodischen Herausforderungen gewinnbringend als geschlechtergeschichtliche Quelle herangezogen worden. Nicht gänzlich neu, aber angesichts der Quelle und des Schweizer Kontexts originell, sind Mühlesteins Ergebnisse über die Konstruktionen von 'Mutterliebe' und 'Frauenarbeit als Liebesdienst'. Die gendersensible Wissensgeschichte profitiert von den Beobachtungen über das Zusammentreffen des Diskursmotivs der 'natürlichen' Bestimmung mit dem aus den Arbeiten Rima D. Apples bekannten Ideal der aktiv informierten, am Expertenrat orientierten Mutter (scientific motherhood).3

Anmerkungen
1 Chantal Magnin, Der Alleinernährer. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Wirtschaftswachstum der 1950er Jahre in der Schweiz, in: Veronika Aegerter (Hrsg.), Geschlecht hat Methode. Ansätze und Perspektiven in der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Beiträge der 9. Schweizerischen Historikerinnentagung 1998, Zürich 1999, S. 183-195; Jakob Tanner, Lebensstandard, Konsumkultur und American Way of Life seit 1945, in: Walter Leimgruber / Werner Fischer (Hrsg.), 'Goldene Jahre'. Zur Geschichte der Schweiz seit 1945, Zürich 1999, S. 101-131.
2 Joan Scott, Gender: A Useful Category of Historical Analysis, in: Dies. (Hrsg.), Gender and the Politics of History, New York 1988, S. 28-50; Judith Butler, Performative Akte und Geschlechterkonstitution. Phänomenologie und feministische Theorie, in: Uwe Wirth (Hrsg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2002, S. 301-319.
3 Vgl. Rima D. Apple, Mothers and medicine. A social history of infant feeding, 1890 – 1950, Madison/Ws. 1987.

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