A. Luijendijk: Greetings in the Lord

Cover
Titel
Greetings in the Lord. Christian Identity and the Oxyrhynchus Papyri


Autor(en)
Luijendijk, AnneMarie
Reihe
Harvard Theological Studies 60
Erschienen
Cambridge, Mass. u.a. 2008: Harvard University Press
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
£ 16,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Weiß, Historisches Seminar, Universität Leipzig

AnneMarie Luijendijks Buch, hervorgegangen aus einer Dissertation an der Harvard Divinity School, behandelt die Papyruszeugnisse über die Christen in Oxyrhynchos, einer Stadt, die durch die gewaltigen Mengen an Papyrusfunden, die sie hervorgebracht hat, jedem Altertumswissenschaftler ein Begriff ist. Es geht nicht um die neutestamentlichen Papyri aus Oxyrhynchos. Luijendijk konzentriert sich auf die Zeit vor dem Jahr 324, dem Beginn der Alleinherrschaft Konstantins, eine begrüßenswerte Entscheidung, denn im Bereich des vorkonstantinischen Christentums lassen sich noch viele Schätze heben.

In den einleitenden Kapiteln informiert Luijendijk über die Geschichte der Papyrusfunde in Oxyrhynchos und die religiöse Vielfalt der Stadt im 3. Jahrhundert und stellt dann die Frage, nach welchen Kriterien sich Papyri als ‚christlich‘ identifizieren lassen. Ihre Liste birgt keine Überraschungen: Gott im Singular, „Christ“, biblische Zitate oder Anspielungen, nomina sacra, Nomenklatur und spezielles Vokabular. Luijendijk interessieren diese Elemente allerdings weniger als ‚Kriterien‘, sondern als „markers of identity“ (S. 30). Der Anschluss an aktuelle Forschungstrends, der dadurch offensichtlich hergestellt werden soll, erscheint allerdings etwas artifiziell. Einige Kriterien sind uneindeutig, wie Luijendijk exemplarisch erläutert: So sprachen nicht nur Christen von Gott oder einem Gott im Singular. Im vierten Kapitel wendet sich Luijendijk den nomina sacra zu, den auffälligen Kontraktionen christlicher Gottesbezeichnungen, die sich vor allem in literarischen Texten, daneben aber auch in nicht-literarischen Texten finden, was bislang kaum untersucht wurde. Dreizehn vorkonstantinische Privatbriefe in den Oxyrhynchus-Papyri enthalten nomina sacra. Zwei von ihnen untersucht Luijendijk genauer und zeigt, dass die nomina sacra eine wichtige Brücke zwischen den literarischen und den nicht-literarischen Papyri bilden. Wer nomina sacra in privater Korrespondenz einsetzte, musste irgendeine Form von christlichem Unterricht genossen haben und die Lektüre christlicher Manuskripte gewohnt sein. Das gilt übrigens sowohl für den Absender wie für den Empfänger. Einer der beiden näher untersuchten Briefe bestätigt dies: Es geht dort um den Besitz und Austausch von christlicher Literatur. Für den anderen Brief macht Luijendijk plausibel, dass der Schreiber des Briefes christliche Bücher kopierte. Sollte die Absenderin des Briefes auch die Schreiberin sein, hätten wir einen Beleg für eine Kopistin.

Die Kapitel 4 und 5 (S. 81–151) sind sicher die wichtigsten. Luijendijk behandelt hier zum ersten Mal die Korrespondenz des Sotas im Zusammenhang. Die Korrespondenz umfasst zwei, vielleicht drei Empfehlungsschreiben des Sotas, ein Empfehlungsschreiben der Presbyter von Herakleopolis an Sotas, ein Schreiben des Sotas an einen gewissen Demetrianus, in dem es wohl um die Übereignung eines Grundstückes an die Kirche geht, sowie einen weiteren Brief, in welchem wahrscheinlich derselbe Sotas als Vertrauensmann in Geldangelegenheiten genannt wird. Die Texte lassen sich etwa in die Mitte bis zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts datieren; wenn man sie in der Gesamtschau mit Luijendijks Erläuterungen liest, kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass uns in Sotas, der in einem Brief als papas angesprochen wird, der erste namentlich bekannte Bischof von Oxyrhynchos entgegentritt. Die Korrespondenz ist zwar nicht so spektakulär wie die etwa gleichzeitigen Briefe Cyprians, aber von welchem anderen Bischof aus der Zeit besitzen wir daneben überhaupt noch Briefe? Sotas’ Briefe geben Einblicke in das Alltagsgeschäft eines Bischofs und sind damit Zeugnisse von unschätzbarem Wert. Dabei können auch kleine Beobachtungen von großer Bedeutung sein: Zwei der Empfehlungsschreiben des Sotas sind auf kleinen Pergamentstreifen geschrieben. Luijendijk deutet diese als Abfallprodukt aus der Buchproduktion und erkennt darin Indizien für ein Scriptorium am Bischofssitz von Oxyrhynchos.

Kapitel 6 behandelt die Papyrusdokumente aus der Zeit des Decius und des Valerian, unter denen die Christen zum ersten Mal reichsweit systematischen Repressionen ausgesetzt waren. Zu den vier decischen libelli aus Oxyrhynchos bietet Luijendijk nichts Neues und die Suche nach christlichen „markers of identity“ wird mit der Feststellung, keiner der libelli enthalte das Wort christianos (S. 172), geradezu ad absurdum geführt. Natürlich gab es ein weites Spektrum christlicher Reaktionen auf das decische Opferedikt: Verweigerung, Opfern unter Gewissensbissen oder Erschleichung von Opferbescheinigungen, glatter Abfall vom Christentum. Da aber mit dem Opferedikt zweifelsohne auch oder sogar gerade die Christen unter die alten Götter gezwungen werden sollten und da sicher auch Decius wusste, dass dies für die Christen mit einer mehr oder weniger offenen Verleugnung ihres Glaubens verbunden sein musste, wäre die Intention der decischen Restauration konterkariert, würde man nun ausgerechnet mit den libelli einer Person den christlichen Glauben bescheinigen. Aus valerianischer Zeit stammt ein ‚Überstellungsbefehl‘ für einen Christen, ohne dass die genaueren Umstände bekannt sind. Er datiert auf das Jahr 256, ehe Valerian 257 das erste Verfolgungsedikt erließ. Das zweite Dokument, P. Oxy. 43,3119, in dem es wohl um die Konfiskation christlichen Besitzes geht – meines Erachtens möglicherweise ein Auszug aus einem Amtstagebuch –, steht hingegen sehr wahrscheinlich mit dem valerianischen Edikt in Verbindung.

Aus Oxyrhynchos stammen auch einige wichtige Papyrusdokumente aus der diokletianischen Verfolgung (Kapitel 7): Zum einen das amtliche Protokoll über das konfiszierte Inventar einer wohl bereits zerstörten Kirche im Dorf Chysis. Dem Protokoll nach verfügte die Gemeinde außer einigen Bronzegeräten über keine weiteren Gegenstände von Wert. Dies erscheint Luijendijk etwas ärmlich. Sie stellt daher die Vermutung an, entweder der Repräsentant der Gemeinde oder die Behördenvertreter hätten etwas unterschlagen. Mag sein, aber wie will man das beweisen? Reichlich Kopfzerbrechen hat der Gemeindevertreter Ammonios verursacht, ein Lektor, der aber das Dokument nicht eigenhändig unterzeichnete, weil, wie es heißt, Ammonios „keine Buchstaben kennt“. Ein Lektor, der zwar von Amts wegen lesen, aber nicht schreiben kann? Luijendijk meint wie andere vor ihr, dies sei nur vorgetäuscht, und sieht darin einen Akt des Widerstandes und eine Möglichkeit, den geforderten Eid zu verweigern (S. 202f.). Dies ist jüngst „a more ingenious explanation than is necessary“ genannt worden.1 Die ältere, durchaus plausible Erklärung lautet: Ammonios konnte zwar koptisch lesen, aber nicht griechisch. Eine andere mögliche Erklärung geben jetzt Choat und Yuen-Collingridge: Ammonios konnte zwar Buchschrift, aber nicht die Kursivschrift lesen, in welcher das Protokoll abgefasst war. Deswegen konnte er auch den Inhalt des Dokumentes nicht verifizieren.2 Dies machte statt seiner ein gewisser Serenus. Auch diese Lösung erscheint plausibler als die Annahme eines subtilen Widerstands gegen die Staatsgewalt durch Vorspiegelung falscher Tatsachen. Choat und Yuen-Collingridge geben im Übrigen auch eine bessere Erklärung für die Konfiskationsliste, auf der überraschenderweise Bücher fehlen. Sie nehmen an, es handle sich um eine standardisierte Liste für Beschlagnahmungen, bei denen Bücher nie eine Rolle spielten.

Bei der Interpretation des zweiten Oxyrhynchus-Papyrus aus der diokletianischen Verfolgung versteigt sich Luijendijk dann in wirklich gewagte Mutmaßungen. Für die Konfiskationen der Besitztümer von Christen zeichnet in P. Oxy. 33,2665 ein Aurelius Athanasius verantwortlich, nach Luijendijk aufgrund des Namens selbst ein Christ. Über Namen als Indikatoren für einen Christen hatte Luijendijk zu Beginn ihres Buches noch wesentlich zurückhaltender geurteilt, und sie wäre besser beraten gewesen, sich hier an ihre eigenen Maßgaben zu halten. Selbst wenn Athanasius aus einem christlichen Elternhaus stammte – und mehr besagt ein ‚christlicher‘ Name erst einmal nicht –, woher will man wissen, ob er zum Zeitpunkt der diokletianischen Verfolgung immer noch Christ war und sich nicht in Jugendzeiten oder wann auch immer vom christlichen Glauben losgesagt hat? Wenn Luijendijk Athanasius als Musterbeispiel für „fascinating hybrids and cross-loyalties“ (S. 215) propagiert, so ist das, sagen wir einmal, eine mutige Interpretation.

Stärken und Schwächen des Buches dürften deutlich geworden sein. Begrüßenswert ist die Zusammenstellung und ausführliche Interpretation aller für das vorkonstantinische Christentum relevanten Papyri aus Oxyrhynchos. Dies ist schon per se lehrreich.3 Äußerst gelungen sind die beiden Kapitel zu Sotas. Schwächen sind in der Einzelinterpretation einiger Papyri zu verzeichnen. Luijendijks Versuch, aus den Papyri irgendetwas über „christliche Identitäten“ zu gewinnen, hat sich nach Ansicht des Rezensenten als nicht tragfähig erwiesen.

Anmerkungen:
1 Malcolm Choat / Rachel Yuen-Collingridge, A church with no books and a reader who cannot write. The strange case of P. Oxy. 33.2673, in: Bulletin of the American Society of Papyrologists 46 (2009), S. 109–138, hier S. 125.
2 Choat / Yuen-Collingridge, Church, S. 130.
3 Hier wird der nächste Schritt die in Bälde erscheinende Zusammenstellung aller ägyptischen Papyri sein, die in irgendeiner Weise für das vorkonstantinische Christentum relevant sind: Don Barker / Malcolm Choat / Edwin Judge / Alanna Nobbs u.a. (Hrsg.), Papyri from the rise of Christianity in Egypt, Cambridge (voraussichtlich 2011).

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