J. Arndt u.a. (Hrsg.): Mediensystem im Alten Reich

Cover
Titel
Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600-1750).


Herausgeber
Arndt, Johannes; Körber, Esther-Beate
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 75
Erschienen
Göttingen 2010: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Flemming Schock, Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, Technische Universität Darmstadt

Der vorliegende Band versammelt die Referate einer bereits 2005 durchgeführten Tagung. Anders als der Titel nahe legt, geht es den Herausgebern nicht um einen Querschnitt durch die vormodernen Medien im Ganzen, sondern allein um „die gedruckte politische Publizistik“ (S. 4). Perspektivisch wird kein geringes Unterfangen formuliert: Während sich in klassischen Mediengeschichten nur selten ein „innerer Zusammenhang“ (S. 4) isoliert betrachteter Einzelmedien erkennen lasse, sollen diese hier in enger Verzahnung betrachtet werden. Methodisch umzusetzen sei das erst „durch die Anwendung eines komplexen Modells“ (S. 4) – gemeint ist Niklas Luhmanns Systemtheorie. Die Einleitung skizziert kursorisch den Zusammenhang zwischen den frühneuzeitlichen Medientypen vor allem entlang des „Durchlaufs der Nachrichten durch das System“ (S. 7). Die folgenden Abschnitte kritisieren und differenzieren den Habermasschen Öffentlichkeitsbegriff und fragen nach den Medienrezipienten – hier wird vor allem der „‚gemeine Mann‘“ (S. 17) als zu untersuchender Hauptkonsument frühneuzeitlicher Presse stark gemacht.

Die Beiträge sind in drei Sektionen unterteilt. Die erste entwickelt die „Voraussetzungen und Grundlagen der politischen Berichterstattung in den Druckmedien“. Ute Schneider rekonstruiert das komplexe Beziehungsgeflecht verschiedener Professionen auf dem Buchmarkt („Grundlagen des Mediensystems: Drucker, Verleger, Buchhändler in ihren ökonomischen Beziehungen 1600-1750“). Der Beitrag gibt aufschlussreiche Einblicke in die sonst selten betonten „druck- und brancheninternen Voraussetzungen“ (S. 28) der Medienproduktion, skizziert die strukturellen Veränderungen im Buchhandel, verfolgt die Distributionswege des Gedruckten und die in diesem Kontext entstandenen Konkurrenzsituationen. Schließlich sei „[d]as Geschäft mit den Zeitungen […] teilweise zur Basis des gesamten Druckereibetriebs“ (S. 35) geworden. Dass die Zäsur durch die Zeitung jedoch erst als Folge der „universalen Infrastruktur“ (S. 57) eines öffentlichen Postsystems denkbar war, erläutert Wolfgang Behringer („Das Netzwerk der Netzwerke. Raumportionierung und Medienrevolution in der Frühen Neuzeit“). Der Beitrag bündelt einige Thesen aus Behringers maßgeblicher Studie über die frühneuzeitliche „Kommunikationsrevolution“.1 So habe erst die „neue Organisation von Raum und Zeit“ (S. 39) durch den Ausbau des Streckennetzwerks der Post die verlässlichen Weichen für einen konkret „messbaren Fortschritt“ (S. 49) gestellt. Der Autor zeichnet die Stationen der kaiserlichen Postpolitik nach, die nach 1615 im Zuge der erblichen Belehnung der Familie von Taxis mit dem Amt des Reichsgeneralpostmeisters in „eine bislang beispiellose Expansion des Postwesens“ (S. 46) gemündet sei. Zuletzt umreißt er prägnant die Bedeutung des Postwesens nicht nur für den Takt der periodischen Presse, sondern auch für die Veränderung der Reise- und „Verkehrskartographie“ (S. 56). Den handschriftlichen Vorläufern der gedruckten Zeitungen widmet sich im Anschluss Jürgen Wilke („Korrespondenten und geschriebene Zeitungen“). Er beklagt den mangelhaften Forschungsstand, berücksichtigt aber etwa nicht, dass eine von Oswald Bauer 2005 begonnene Dissertation zu den sogenannten Fuggerzeitungen mittlerweile vor der Drucklegung steht. Wilke verortet die geschriebenen Zeitungen in den drei „Subsysteme[n]“ (S. 62) von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und fragt analog nach den Trägern in der Handels-, Fürsten- und Gelehrtenkorrespondenz. Klar arbeitet der Beitrag die funktionale Rolle geschriebener Zeitungen in den benannten Teilsystemen heraus, liefert eine ‚Soziologie‘ der Nachrichtenlieferanten und geht den unterschiedlichen Graden der Professionalisierung im Geschäft mit den geschriebenen Zeitungen nach.

Im Fokus der zweiten Sektion steht der „Prozess der Differenzierung der Mediengattungen“. Der erste Beitrag von Wolfgang Burgdorf („Der intergouvernementale publizistische Diskurs. Agitation und Emanzipation, politische Gelegenheitsschriften und ihre Bedeutung für die Entstehung politischer Öffentlichkeit im Alten Reich“) fügt sich nur bedingt in den Sektionsrahmen. Zumindest wird nicht deutlich, was die untersuchte Publizistik für die funktionale und/oder typologische Differenzierung der Medien bedeutete. Gleichwohl verfolgt Burgdorf mit seinem Theorem des intergouvernementalen Diskurses eine wesentliche Facette im Zusammenhang des Mediensystems und der Entstehung politischer Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert: Diese sei – so die These – nicht erst das Resultat des aufgeklärt-bürgerlichen Mediendiskurses, sondern als „publizistische Kritik der Obrigkeiten an konkurrierenden Obrigkeiten“ (S. 86) gleichsam ‚von oben‘ konstituiert worden. Entlang vieler Beispiele arbeitet Burgdorf den „Sog“ (S. 97) dieses Diskurses heraus. Zur Typologie der Medien kehrt der Beitrag von Ulrich Rousseaux zurück („Flugschriften und Flugblätter im Mediensystem des Alten Reichs“). Der Autor wertet Flugschrift und Flugblatt als die wichtigsten Medien „für die Kommentierung und Bewertung des aktuellen Zeitgeschehens“ (S. 100). Rousseaux liefert einen klar strukturierten und pointiert formulierten Artikel – auch hier vermisst man jedoch rezentere Forschungsliteratur. Klar wird das inhaltlich-funktionale Spektrum der Medienformen umrissen und erwartungsgemäß ein eigener Definitionsversuch zur Flugschrift geliefert. Einen detaillierten Einblick in die logistisch-strukturellen Bedingungen des frühneuzeitlichen Zeitungsmarktes am Beispiel Nürnbergs gibt Sonja Schultheiß-Heinz („Zeitungen und ihre Logistik“). Der Beitrag verfolgt die „treibende[n] Kräfte“ (S. 118) hinter der ersten Nürnberger Zeitungsgründung. Präzise zeigt Schultheiß-Heinz, wie sich der „Teutsche Kriegs-Kurier“ trotz vieler Angriffe einen großen Teil des attraktiven städtischen Nachrichtenmarktes sichern konnte. Wo die Pressegeschichte sonst notorisch die Unparteilichkeit der Zeitungen des 17. Jahrhunderts betont, weist Schultheiß-Heinz eine „kaisertreue, reichspatriotische und antifranzösische Berichterstattung“ (S. 131) nach. Der weiteren Ausdifferenzierung des Mediensystems mit der Entstehung erster Zeitschriften widmet sich der Beitrag von Johannes Arndt („Die historisch-politischen Zeitschriften innerhalb der zirkulären Struktur des Mediensystems der politischen Publizistik“). Arndt konzentriert sich pragmatisch auf den Beginn der politisch-historischen Periodika; dass zur Frühphase anderer Zeitschriften-Formen kaum jüngere Forschungen vorliegen, wird nicht erwähnt. Arndt rekapituliert den Gründungsverlauf deutschsprachiger politischer Journale seit den 1670er-Jahren und akzentuiert die Abhängigkeit vom Material der Zeitungen. Medienfunktional sei mit den politisch-historischen Journalen erstmals der Bedarf an zusammenhangskonstituierender Reflexion gegenüber den nüchternen Zeitungsberichten etabliert worden. Entlang einiger Fallbeispiele streift Arndt auch das publizistische Selbstbild erster Rezensionszeitschriften und jener Periodika, die typologisch zwischen Zeitschrift und (Zeit-)Geschichtsschreibung zu verorten sind.

Im ersten Beitrag der letzten Sektion („Autoren und Leser politischer Druckmedien“) fragt Volker Bauer nach den Medien der politischen Elite („Nachrichtenmedien und höfische Gesellschaft. Zum Verhältnis von Mediensystem und höfischer Öffentlichkeit im Alten Reich“). Prägnant unterscheidet er die „theatralen (oder performativen) Präsenzmedien“ der unmittelbaren Herrschaftsrepräsentation von den „auf dem Druckverfahren basierenden Distanzmedien“ (S. 174). Zwar sei die Ortsgebundenheit zeremonieller Öffentlichkeit durch den Einsatz höfischer Druckmedien ausgedehnt worden, das Verhältnis zu diesen Medien blieb jedoch problematisch. So sei ein exklusiv handschriftlicher Nachrichtenverkehr als das „arkane Unterfutter der höfischen Öffentlichkeit“ (S. 191) den Zeitungsberichten immer überlegen gewesen. Dennoch hätten die bei Hofe rezipierten Zeitungen das Informationsmonopol der Herrschaftseliten zunehmend zersetzt. Im Anschluss an den allgemeinen Beitrag von Ulrich Rousseaux untersucht Esther-Beate Körber die „Schreiber und Leser politischer Flugschriften des 17. Jahrhunderts“. Der Beitrag illustriert noch einmal ein Grundproblem in der Erforschung frühneuzeitlicher Publizistik: Hinsichtlich der Produktion und Rezeption sind oft nicht mehr als begründete Spekulationen möglich. So war gerade die Mehrzahl der Flugschriften „pseudonym oder anonym“ verfasst (S. 198). Dennoch vermag Körber für den Ausschnitt der politischen Flugschriften den Kreis der Verfasser und potentiellen Leser näher einzugrenzen. Plausibel wird dabei vor allem ein Befund, der vor dem Hintergrund der sonst üblichen Einstufung der Flugschriften als frühen ‚Massenmedien‘ überrascht: So seien politische Flugschriften „realiter zum überwiegenden Teil hochexklusive Medien für die schriftgebildete Schicht“ (S. 204) gewesen. Eine ähnliche Exklusivität forderten frühe Theoretiker der Presse auch für die periodische Zeitung, wie Astrid Blome vermerkt („Historia et Venditio – Zeitungen als ‚Bildungsmittel’ im 17. und 18. Jahrhundert“). Andererseits sei eine zunehmende Akzeptanz der Nachrichtenblätter als universellen „Medien der Wissensvermittlung“ (S. 208) schon früh lanciert worden. Entlang instruktiver Quellenbelege rekonstruiert der Beitrag, wie eine didaktisch konzipierte Zeitungslektüre bereits im späten 17. Jahrhundert „einen festen Platz in der Ausbildung der künftigen Funktionseliten“ (S. 211) einnahm. Im Anschluss wird deutlich, wie der „anerkannte Bildungswert der politischen Presse“ (S. 218) zur Differenzierung des publizistischen Marktes beitrug, indem Zeitungs- und Zeitschriftenproduzenten neue Käufer über das Argument der Wissenspopularisierung erschlossen. Die neuen Leserschichten der Presse stehen auch im Mittelpunkt des abschließenden Beitrags von Holger Böning („Der ‚gemeine Mann‘ als Zeitungs- und Medienkonsument im Barockzeitalter“). Am Beispiel der „avanciertesten deutschen Zeitungsstadt“ (S. 231) Hamburg verfolgt Böning in kurzen Stationen, wie die Zeitungslektüre zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert schließlich zum sozialen ‚Allerweltsphänomen‘ wurde. Auch hier zeigt sich die Schwierigkeit, angesichts fehlender Rezeptionszeugnisse zu gesicherten Aussagen über die soziale Differenzierung des Publikums zu gelangen. Sehr stichhaltig belegt Böning jedoch, wie die Zeitungsproduzenten im 18. Jahrhundert den „gemeine[n] Zeitungsleser“ (S. 235) durch eine sprachlich adäquate, teils didaktische Nachrichtendarbietung zu erreichen versuchten.

Im Ganzen loten die Beiträge die Dimensionen und Medien der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts überzeugend aus. Es bleiben kleinere Einwände: Zum einen wurde für die Drucklegung versäumt, jüngere Forschungsliteratur zu berücksichtigen. Zum anderen findet die Prämisse, „die Mediengeschichte aus systemtheoretischer Sicht zurückzuverfolgen“ (S. 4), in den einzelnen Aufsätzen nur bedingt ihr Echo. So entsteht der Eindruck einer gezwungenen methodischen Klammer. Eine grundlegend neue Perspektive auf die generativen und wechselseitigen Zusammenhänge frühneuzeitlicher Medientypen vermittelt der Band nicht.

Anmerkung:
1 Wolfgang Behringer, Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2003.