Cover
Titel
A Hero's Many Faces. Raoul Wallenberg in Contemporary Monuments


Autor(en)
Schult, Tanja
Reihe
The Holocaust and its Contexts
Erschienen
Basingstoke 2009: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
XVIII, 425 S., Farb- u. SW-Abb.
Preis
£ 65.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Stachel, Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Denkmäler sind bewusst gesetzte Zeichen im öffentlichen Raum, mit denen für die kollektive Identität einer Gemeinschaft bedeutsame „Erinnerungen“ visualisiert und, der Intention nach, auf Dauer gestellt werden. Üblicherweise wurden – abgesehen vom weiten Bereich der religiösen Denkmäler – in erster Linie solche Personen oder Ereignisse als „denkmalwürdig“ erachtet, die an Leistungen oder Opfer der eigenen Gemeinschaft erinnern sollten. Die traumatische Geschichte des 20. Jahrhunderts hat jedoch einerseits den Topos des „Heldenhaften“ fragwürdig werden lassen, der der Intention und auch der ästhetischen Gestaltung vieler „klassischer“ Denkmäler zugrunde liegt. Andererseits sind neue Typen und Formen von Denkmälern entstanden, die den Bezugsrahmen der „eigenen Gemeinschaft“ überschreiten. Insbesondere war es die Verfolgung und massenhafte Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland und seine Verbündeten, die eine neue Form internationaler Denkmalkultur angeregt hat: Holocaust-Mahnmale existieren nicht nur in den „Täter-“ und „Opfergesellschaften“; sie sind im Laufe der letzten Jahrzehnte weltweit als Erinnerungszeichen für einen fundamentalen „Zivilisationsbruch“ entstanden. Für monumentale „Heldenverehrung“ im herkömmlichen Sinn sind diese Mahnmale zumeist ungeeignet, ebenso für die Verwendung religiös geprägter Symbole der Trauer. Vielfach wurde gerade in neuerer Zeit auch auf figurative Darstellungen verzichtet.

Die in Schweden tätige deutsche Kunsthistorikerin Tanja Schult widmet sich in der vorliegenden Studie, die aus ihrer Dissertation an der Berliner Humboldt-Universität hervorgegangen ist, einer spezifischen Form von Denkmälern, die international Verbreitung gefunden hat und die zwar in einem Bezug zum Gedenken an den Holocaust steht, dabei jedoch auf eine konkrete Person bezogen ist: den schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg, der als erster Sekretär der schwedischen Gesandtschaft in Budapest im Jahr 1944 unter großem Risiko für sein eigenes Leben zahlreiche ungarische Juden durch Ausstellung schwedischer Personaldokumente gerettet hat. Schließlich waren es aber nicht die deutschen Nationalsozialisten, sondern die sowjetrussischen Kommunisten, die, nach der Eroberung Budapests durch die Rote Armee, den immer noch um den Schutz der verfolgten Juden bemühten Wallenberg aus dem Weg schafften: Ungeachtet seines Diplomatenstatus wurde er wegen des Verdachts der Spionage-Tätigkeit für die USA in die Sowjetunion verschleppt, wo sich seine Spur im Jahr 1947 in den Gefängnissen der kommunistischen Diktatur verliert. Bis 1957 leugneten die sowjetischen Behörden konsequent, dass Wallenberg sich jemals in der Sowjetunion aufgehalten habe. Seitdem wird behauptet – auch heute noch von den russischen Behörden –, dass Wallenberg im Sommer 1947, erst 35 Jahre alt, in seiner Gefängniszelle einem Herzinfarkt erlegen sei. Aussagen von GULAG-Gefangenen, die Wallenberg noch bis Anfang der 1990er-Jahre (!) lebend gesehen haben wollen, ließen sich ebenso wenig verifizieren wie die Behauptungen über Wallenbergs Aktivitäten für US-Geheimdienste.

Wallenbergs Biographie macht es für die Memorialkultur möglich, so Schults Grundthese, seiner durchaus als eines „Helden“ im herkömmlichen Sinn zu gedenken, wobei die Autorin die prinzipielle Fragwürdigkeit eines klassischen Ideals des „Heroischen“ allerdings explizit einräumt (S. 48ff.). Im ersten Hauptteil der Arbeit werden die verschiedenen Varianten dieser Heroisierung Wallenbergs im Detail nachgezeichnet: Vom „call to adventure“ über „the challenge, that makes the hero“, weiter über „tragic fate – eternal life“ und „the individual against the cruel regime“ bis hin zur Universalisierung und Globalisierung des Gedenkens an „Wallenberg as the world’s conscience“ erweist sich Wallenbergs Lebensgeschichte als geeignetes Rohmaterial für eine nachgerade archetypisch strukturierte „Heldensage“ („A Hero’s Tale“). Dies drückt sich denn auch in der Art und Weise aus, wie Wallenberg in den einzelnen Denkmälern imaginiert wird: als Held in Aktion, als Kämpfer für Humanität in einer unmenschlichen Zeit und Umgebung, als Helfer der Verfolgten einerseits, als Opfer, Gefangener, Märtyrer, verlorener Sohn und toter Held ohne Grab andererseits. Davon abgeleitet werden in weiterer Folge gleichsam allgemein-menschliche Werte: Wallenberg als Vertreter des „Weltgewissens“, als Symbol der Humanität, der Hoffnung und der Freiheit.

Anhand dieses Bezugssystems des „Heroischen“ analysiert Schult im zweiten Hauptteil ihrer Studie die Entstehungsgeschichte und ästhetische Gestaltung der 31 weltweit existierenden Wallenberg-Monumente (Stand 2007). Auffallend ist: Abgesehen von einem zeitlich isolierten Vorläufer, Pál Pátzays „Schlangentöter“ in Budapest 1949, der aber bereits vor der Enthüllung von den kommunistischen Behörden entfernt wurde (seit 1999 steht am selben Platz eine Kopie des zerstörten Denkmals), wurden alle Denkmäler erst ab 1983 errichtet, also mit einigem Zeitabstand zu den Ereignissen; dann allerdings in rascher Abfolge. Vergleichsweise zahlreich sind die Wallenberg-Monumente in seiner Heimat Schweden – sieben an der Zahl, darunter eines in der Passage zwischen den beiden Gebäuden des schwedischen Reichstags (seit 1997). Allerdings ist das Gedenken an den „großen Sohn“ in Wallenbergs Heimatland teilweise immer noch von Diskussionen über das Verhalten der schwedischen Politik nach seinem „Verschwinden“ im Jahr 1945 mitbestimmt, was vielleicht erklärt, warum das erste schwedische Wallenberg-Monument, auf Privatinitiative zurückgehend, erst 1985 und an wenig prominenter Stelle errichtet wurde (in Uttersberg, Västmanland).

Zwei Wallenberg-Denkmäler finden sich im Land seines Wirkens, in Ungarn. Das älteste staatlicherseits errichtete Monument, Imre Vargas „New Raoul Wallenberg Monument“ in Budapest, wurde bemerkenswerterweise schon 1987 eingeweiht, also noch in kommunistischer Zeit. Die Entstehungsgeschichte dieses Monuments verweist auch auf die politische Funktionalität derartiger Denkmäler, wurde es doch absichtsvoll unmittelbar vor einem Schweden-Staatsbesuch des letzten kommunistischen Diktators Ungarns, des greisen János Kádár, errichtet (S. 159). In Israel, das sich als staatliche Vertretung der Opfergemeinschaft des Holocaust versteht, existieren zwei Denkmäler, eines davon in der zentralen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem (1991). Die höchste Zahl an Wallenberg-Denkmälern weisen die USA mit neun auf, darunter das älteste heute noch im Original existierende Monument, James Stovals „Raoul! Where Are You?“ in Menlo Park, Kalifornien (1983) und eine Porträtbüste im Kapitol in Washington (1995). Je drei Monumente finden sich in Kanada und Australien, je eines in England, Wales, Chile, der Slowakei und – seit 2001 – auch in Russland; dabei handelt es sich um eine Porträtbüste im Innenhof einer staatlichen Bibliothek für ausländische Literatur in Moskau, also an wenig prominenter Stelle. Bemerkenswert ist auch der Umstand, dass bei Abschluss des Buchmanuskripts kein Wallenberg-Denkmal in einem deutschsprachigen Land existierte.

Bei der detaillierten Analyse der einzelnen Wallenberg-Monumente gelingt der Autorin eine großteils überzeugende und auch gut lesbar geschriebene Darstellung verschiedener Ebenen der Gedenkkultur und ihrer Medien. Plausibel und nachvollziehbar wird erläutert, wie die Biographie Wallenbergs in eine archetypischen Mustern folgende „Heldenlegende“ transformiert wurde, die seine Stilisierung zu einer weltweit wirkmächtigen Symbolfigur gegen Unmenschlichkeit und für Zivilcourage ermöglichte. Die verschiedenen Monumente prolongierten und verfestigten ihrerseits diese „Heldenlegende“. Der Terminus „Hero’s tale“ ist dabei keineswegs despektierlich gemeint, geht es Tanja Schult doch nicht in erster Linie um eine kritische Auseinandersetzung mit Person und Wirken des schwedischen Diplomaten, sondern vielmehr um eine Analyse der Wirkmechanismen des kollektiven Gedächtnisses. Was dabei trotz der geographisch breit gefächerten Denkmal-Geschichten bedauerlicherweise zu kurz kommt, ist die Einbindung des Gedenkens an Wallenberg in die mittlerweile globalisierte Gedenkkultur zum Holocaust und zur Shoah, die wohl auch die zeitliche Abfolge der Denkmalerrichtungen – das Einsetzen der „Monumentalisierung“ nach beinahe drei Jahrzehnten und die dann rasch folgende „Hochkonjunktur“ – plausibel erklären könnte. Weiters ist die mangelhafte Qualität eines Teils der Schwarz-Weiß-Fotografien kritisch zu vermerken, was jedoch durch einen eigenen Abschnitt mit Farbfotos auf Hochglanzpapier (der aber nur einen kleinen Teil der besprochenen Denkmäler berücksichtigt) zumindest partiell ausgeglichen wird. Insgesamt handelt es sich um eine lesenswerte Arbeit von hoher Qualität.