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Titel
Hindenburg. Power, Myth, and the Rise of the Nazis


Autor(en)
von der Goltz, Anna
Reihe
Oxford Historical Monographs
Erschienen
Anzahl Seiten
325 S.
Preis
£ 30.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Kruse, Fernuniversität Hagen

Nur auf den ersten Blick ist es erstaunlich, dass im Zeichen einer boomenden politischen Kulturgeschichtsschreibung Hindenburg geradezu aufzuleben scheint. Denn dem „Sieger von Tannenberg“, Verkünder der „Dolchstoßlegende“, Bewahrer des „Geistes von 1914“ und Hauptmatador des „Tages von Potsdam“ muss zweifellos ein hohes Maß an Bedeutung für die politische Kultur Deutschlands im Zeitalter der Weltkriege zugesprochen werden. Nach dem Abflauen national-konservativer Hagiographie war Hindenburg lange in die zweite Reihe der öffentlichen und wissenschaftlichen Wahrnehmung zurückgetreten. Militärisch wie politisch wurde er nur als Aushängeschild gedeutet, hinter dem andere, gestaltungsfähigere Personen und Kräfte die tatsächlichen Entscheidungen trafen. Doch unter kulturgeschichtlichen Vorzeichen rückt nun vor allem die Frage in den Vordergrund, warum gerade diese Person einen so emblematischen Charakter gewinnen und damit letztlich doch eine wahrhaft geschichtsmächtige Figur werden konnte. Nachdem vor kurzem bereits Wolfram Pyta in einer umfassenden Biographie aufgezeigt hat, wie intensiv Hindenburg selbst an seiner öffentlichen Wahrnehmung gearbeitet und gewissermaßen seinen eigenen Mythos geschaffen hat, dreht nun Anna von der Goltz in ihrer bei Nicholas Stargardt und Hartmut Pogge von Strandmann in Oxford geschriebenen Dissertation die Perspektive um und fragt nach der gesellschaftlichen Konstruktion des Hindenburg-Mythos.

Auch dabei kann die aktive Rolle Hindenburgs allerdings nicht außen vor bleiben, denn es handelte sich bei ihm, wie Goltz treffend formuliert, um die spezifische Erscheinungsform eines „living myth“. Sein Handeln war selbst Teil einer gesellschaftlichen Mythenproduktion, aus der Hindenburg zugleich wiederum politische Gestaltungsmacht bezog. Die besondere Qualität des Hindenburg-Mythos wurde nicht zuletzt darin deutlich, dass er auch gravierende Misserfolge und Niederlagen des Militärs und Politikers Hindenburg wie etwa den militärischen Zusammenbruch von 1918 ebenso überdauern konnte wie die vielfältigen Enttäuschungen, die er fast allen politischen Kräften, vor allem aber seinen ursprünglichen Anhängern auf der politischen Rechten als Reichspräsident der Weimarer Republik lange bereitete. Doch immer blieben auch genügend positive Anknüpfungspunkte und hinreichende Unterstützer übrig, um das nationale Emblem Hindenburg weiter zu tragen und die Person damit auch politikfähig zu halten. Dies basierte nach Goltz‘ überzeugender Analyse vor allem auf der erstaunlichen Tatsache, dass an der Ausgestaltung des positiven Hindenburg-Bildes fast alle gesellschaftlichen und politischen Gruppen von der militaristisch-nationalistischen und völkischen Rechten über die bürgerlichen Vernunftrepublikaner bis zur Mehrheitsrichtung der Sozialdemokratie in allerdings sehr unterschiedlichen Formen und Ausprägungen beteiligt waren. Dies war zum einen die Voraussetzung für den Topos eines Garanten der nationalen Einheit, den Hindenburg seit 1914 im öffentlichen Bild wie in seinem eigenen Selbstverständnis verkörperte. Und zum anderen basierte darauf die Möglichkeit, in unterschiedlichen politischen Konstellationen jeweils neue, ganz anders zusammengesetzte Mehrheiten hinter sich zu scharen – von den nationalistischen Gegnern der Republik zu Beginn der 1920er-Jahre bis zu den republikanischen Hitlergegnern im zweiten Wahlkampf um das Amt des Reichspräsidenten 1932. Nur Kommunisten und linke Sozialdemokraten blieben weitgehend immun, beteiligten sich nicht an der Glorifizierung des nationalen Symbols Hindenburg und traten mit durchaus klarsichtigen Kritiken hervor, ohne jedoch der Kraft des Mythos etwas Gleichwertiges entgegenstellen zu können.

Goltz verfolgt Entstehung und Entwicklung des Mythos weitgehend chronologisch. Alles begann mit „Tannenberg“, der im August 1914 gewonnenen Schlacht gegen die nach Ostpreußen eingedrungenen russischen Truppen in der Nähe des Ortes, wo der Deutsche Ritterorden im Jahre 1410 eine schwere Niederlage gegen die vereinigten Polen und Litauer erlitten hatte, die nun gleichsam gerächt zu werden schien. Der eigentlich schon pensionierte und nach Kriegsbeginn reaktivierte General Hindenburg konnte als Chef der 8. Armee die Verantwortung für diesen bedeutendsten militärischen Sieg des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg übernehmen, auch wenn die militärische Strategie eher das Werk von General Erich Ludendorff und Oberstleutnant Max Hoffmann war. Die russischen Invasionstruppen wurden aus Ostpreußen vertrieben, was gerade im Vergleich mit der zeitgleichen Niederlage an der Marne in der deutschen Bevölkerung bis hin zur antizaristisch orientierten Sozialdemokratie große Jubelstürme hervorrief und Hindenburg den auch in der Folgezeit vielfältig genährten Ruf eines „Retters des Vaterlandes“ einbrachte.

Es folgen die weiteren Stationen der politischen Karriere Hindenburgs, die jeweils unterschiedliche politische Gruppen vor den Kopf stieß, ohne doch den angehäuften Ruhm zu zerstören, während je andere politische Gruppen sich positiv auf den ‚Retter’ beziehen konnten und seinen Mythos weiter ausbauten. Die Kriegsniederlage wurde mehr Ludendorff als Hindenburg angelastet, und seine Kooperation mit den republikanischen Kräften verunsicherte zwar die politische Rechte, wurde ihm dafür aber von den Vertretern der Weimarer Koalition hoch angerechnet. Das konnte Hindenburg allerdings nicht daran hindern, anschließend mit der Propagierung der Dolchstoßlegende trotzdem zur symbolischen Führungsfigur der republikfeindlichen Kräfte aufzusteigen, als deren Frontmann er schließlich 1925 auch zum Reichspräsidenten gewählt wurde. Da Hindenburg jedoch erst einmal auf nationale Einheit und Verfassungstreue (oder was er jeweils darunter verstand) setzte, stieß er seine politischen Unterstützer auf der Rechten bald vor den Kopf und entwickelte sich erneut zu einem Bezugspunkt der Republikaner, die ihn schließlich in der umgekehrten Konstellation des zweiten Wahlgangs der Reichstagswahlen von 1932 zu ihrem Kandidaten gegen Hitler machten. Zwar konnten sie sich damit noch einmal durchsetzen, doch ihren Kandidaten hatten sie ganz falsch eingeschätzt. Hindenburg entschied sich schon bald für die Kooperation mit Hitler und den Nationalsozialisten, die seinen Mythos im Zuge der „nationalen Erhebung“ sowohl mehrten als auch zu nutzen verstanden und deren Gewaltherrschaft er keineswegs, wie manche hofften, Grenzen zu setzen versuchte.

Diese fatale Karriere war, wie Goltz überzeugend darlegt, nur möglich, weil der Hindenburg-Mythos in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft auf durchaus unterschiedliche Weise schon lange Fuß gefasst hatte. Besonders anschaulich tritt dies in dem „Bying the Icon“ überschriebenen Kapitel hervor, in dem die Massivität und Modernität der öffentlichen Präsenz Hindenburgs überzeugend aufgezeigt wird. Teilweise ging das von ihm selbst aus, vor allem in der aktiven Nutzung von Radioübertragungen für auf seine Person konzentrierte politische Propaganda. Doch vielfach fand es auch ohne aktives Zutun Hindenburgs statt, der es indes gerne geschehen ließ und manchmal zu seinen Gunsten beeinflusste: Filme und Romane beschäftigten sich mit ihm, vor allem aber wurde er auch zu einer Werbeikone, die für eine Vielzahl von Produkten, vom Automobil bis zum Weinbrand, stand und damit auch im vorpolitischen gesellschaftlichen Raum geradezu Allpräsenz gewinnen konnte.

Man kann zweifellos den einen oder anderen Einwand machen, etwa die Interpretation des auch auf dem Umschlag abgebildeten Wahlplakats verkürzt finden, die in der Darstellung der hinter einer gigantischen Hindenburgmaske aufmarschierenden antirepublikanischen Kräfte vor allem die Fehleinschätzung der gestaltenden Rolle Hindenburgs durch die Republikaner kritisiert, obwohl doch die Kernaussage der Arbeit darin in mancher Hinsicht treffend zum Ausdruck kommt. Und man kann vor allem monieren, dass die Überzeugungskraft des kulturgeschichtlichen Erklärungsansatzes durch die chronologische Anlage mehr in der gesamtgesellschaftlichen Zusammenschau der Entwicklung des Hindenburg-Mythos als in der systematisch vertiefenden Untersuchung seiner Bedeutung für je unterschiedliche politische und gesellschaftliche Gruppen zum Tragen kommt. Doch das Gesamtbild ist dennoch beeindruckend, innovativ und überzeugend. Nicht Hindenburg allein war der Bösewicht, der aus Eigennutz und antidemokratischer Gesinnung große Teile der deutschen Bevölkerung verführt hat. Die deutsche Gesellschaft schuf sich vielmehr selbst einen Hindenburg nach ihrem Wunschbilde, weil wesentliche Gruppen sich auf unterschiedliche Weise nach einem Retter oder zumindest nach einer nationalen Vaterfigur sehnten, die in den Stürmen der Zeit Einheit, Sicherheit und Kontinuität verbürgen sollte. Zum Guten hat am Ende nicht nur er sie nicht, sondern hat diese undemokratische Orientierung insgesamt nicht geführt.

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