J. Bignell u.a. (Hrsg.): A European Television History

Cover
Titel
A European Television History.


Herausgeber
Bignell, Jonathan; Fickers, Andreas
Erschienen
Oxford 2008: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
273 S.
Preis
£ 19,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lothar Mikos, Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“

Der vorliegende Band ist aus dem European Television History Network hervorgegangen, in dem die Herausgeber und Autoren aktiv sind. Das Konzept des Buches folgt nicht dem vieler anderer Sammelbände, in dem einzelne Beiträge zu den nationalen Besonderheiten des Gegenstands, hier des Fernsehens, versammelt werden. Der Band stützt sich vielmehr auf eine Herangehensweise, in der ein strukturell historischer Ansatz mit einem medientheoretischen kombiniert wird, wie die beiden Herausgeber in ihrer Einleitung betonen: „In this way A European Television History offers a unique historical and analytical perspective on the leading mass medium of the second half of the twentieth century“ (S. 1). Damit wird ein hoher Anspruch formuliert.

Die Einleitung von Jonathan Bignell und Andreas Fickers macht den theoretischen, analytischen und methodischen Rahmen auf, in den sich die weiteren, einzelnen Beiträge einfügen. Sie legen dabei insbesondere auf einen interdisziplinären und komparativen Ansatz wert. Die theoretischen Schlüsselkonzepte werden ausführlich dargestellt, warum sie allerdings anhand von Gegensätzen (bis auf eine Ausnahme, bei der sich dieses Prinzip offenbar nicht durchhalten ließ) diskutiert werden, erschließt sich dem Rezensenten nicht. Zum besseren Verständnis seien sie hier aufgeführt: Television spheres: private versus public, Television spaces: national versus transnational; regional versus global, Television institutions: public service versus commercial television, Television audiences: active versus passive audiences, Television technologies: transmission versus reception, Television discourses: between hopes and fears, Television norms: high versus low quality, Television rituals: ordinary versus event, Television politics: democratic versus totalitarian, Television changes: old versus new, Television ontologies: ‚us‘ versus ‚the others‘. Immerhin sind damit die Themen umrissen, die im Band mehr oder weniger ausführlich behandelt werden.

Um der Falle nationaler Beiträge zu entgehen, verfolgt der Band ein interessantes Autorenkonzept. Den einzelnen Kapiteln sind jeweils so genannte „Führungsautoren“ zugeordnet, die den Text unter Mithilfe von weiteren Autoren zusammengestellt haben. Das ist mal mehr gelungen, wenn sich die einzelnen Unterkapitel nahtlos in den Beitrag einfügen, mal weniger, wenn sie etwas zusammenhanglos eingefügt wurden. Mehrheitlich ist das Konzept jedoch aufgegangen. Neben zwei Beiträgen, die die Herausgeber gemeinsam verfasst haben, enthält der Band noch zwei Kapitel von Einzelautoren, eines von Knut Hickethier zum frühen Fernsehen und eines von Andy O’Dwyer zu den europäischen Fernseharchiven. Der Beitrag von Hickethier geht neben der Vorgeschichte vor allem auf die Frühgeschichte des Fernsehens ein. Hier geht es in komparativer Perspektive schwerpunktmäßig um die Entwicklungen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Die Durchsetzung des Fernsehens als Massenmedium nach dem Zweiten Weltkrieg wird daher nur kurz abgehandelt. An dem Beitrag lässt sich auch zeigen, wie schwierig die Recherche und wie widersprüchlich oft die Angaben sind. So führt Hickethier die Daten auf, zu denen in den einzelnen europäischen Ländern das Fernsehen mit einem regulären Programm auf Sendung ging. Dem Autor zufolge ging der italienische Sender RAI am 26. Februar 1952 auf Sendung, tatsächlich war es jedoch am 3. Januar 1954.1 Für Dänemark wird der Sendebeginn mit dem 1. Oktober 1953 angegeben, in Wirklichkeit wurde dort bereits seit dem 2. Oktober 1951 ein regelmäßiges Programm gesendet.2 Hier zeigt sich die Ungenauigkeit mancher historischer Forschung. Bei den im Beitrag genannten Daten ist nicht in jedem Fall genau geklärt, ob es sich um den allgemeinen Sendebeginn handelt oder um den Beginn eines regelmäßigen Programms, nachdem die Versuchsphase beendet war. Das schmälert jedoch nicht den Wert der Darstellung von strukturellen Aspekten der Vor- und Frühgeschichte des Fernsehens.

Hier ist nicht der Platz, um alle Beiträge ausführlich zu würdigen. Es sollen jedoch ein paar positive Besonderheiten hervorgehoben werden. Neben strukturellen Darstellungen sind sie durchweg vergleichend angelegt. Leider werden immer nur die Entwicklungen in einigen Ländern miteinander verglichen, nicht in allen – aber damit wären die Autoren des Bandes auch überfordert gewesen. Im Beitrag über die Institutionalisierung des europäischen Fernsehen, den Christina Adamou als „Führungsautorin“ verantwortet, wird die Geburt des Fernsehens als Institution am Beispiel von Rumänien, Frankreich und Griechenland geschildert. Der Abschnitt über Programme, Genres und Formate, den Jérôme Bourdon federführend übernommen hat, vergleicht die frühe Ästhetik des Fernsehdramas in Großbritannien, Frankreich und Flandern sowie die historischen Dokumentationen in Frankreich, Spanien und Italien. Im Beitrag über Fernsehen als nationales oder globales Medium (Sonja de Leeuw und andere), geht es um historische Fernsehdramen aus Finnland, dem flämischen Teil Belgiens und den Niederlanden als nationale Erzählungen in vergleichender Perspektive sowie um regionales Fernsehen in Andalusien und Wales. Ib Bjondeberg hat mit anderen Autoren das Fernsehen in Großbritannien, Dänemark, Deutschland, Polen, der DDR und Rumänien unter der Perspektive untersucht, inwiefern das amerikanische Fernsehen einen Referenzpunkt für die europäischen Programme darstellte. Im Beitrag über europäische Fernsehevents, den Rob Turnock verantwortet, werden Events in Finnland, Deutschland und Rumänien verglichen, Mats Björkin und sein Autorenteam analysieren das Publikum und gehen dabei auf Beispiele aus Italien und Spanien ein. Die komparative Perspektive wird so durchgängig verfolgt. Das führt zu zahlreichen unerwarteten Erkenntnissen und Einsichten. Das Konzept der Herausgeber geht zumindest in diesem Punkt hervorragend auf.

Nicht ganz nachvollziehbar ist allerdings, dass Jonathan Bignell und Andreas Fickers sowohl in ihrer Einleitung als auch in ihrem Schlusskapitel immer wieder auf die kulturelle Identität Europas zu sprechen kommen, auch wenn sie in diesem Zusammenhang „Europa“ in Anführungszeichen setzen. Grundsätzlich gehen sie zu Recht davon aus, dass Fernsehen ein Medium ist, das eine wesentliche Rolle bei der Formation von Identitäten spielt. Zugleich zeigen alle Beiträge, dass hier nationale Entwicklungen mit ihren Besonderheiten immer im Wechsel mit anderen nationalen Entwicklungen, nicht nur auf europäischer, sondern auf globaler Ebene gesehen werden müssen. Eine europäische Identität, die von den Herausgebern auch als diskursiver und materieller Raum aufgefasst wird, ist nur schwer definierbar. Zumal Sonja de Leeuw und ihre Mitautoren ihren Beitrag mit den Worten beenden: „What has become evident is the dominance of the national political and cultural context that informs the signifying practices of television in Europe. As a result we observe a fragmented European space, which, as is being increasingly argued, could also be read as a wealth of cultural diversity; in the end this constitutes European culture as unity in diversity” (S. 151). Dem ist nichts hinzuzufügen.

Der vorliegende Band füllt eine bedeutende Lücke in der bisherigen fernsehhistorischen Forschung, die vorwiegend eine Geschichte nationalen Fernsehens war. Die Darstellung in komparativer Perspektive vor dem Hintergrund eines strukturell historischen Ansatzes in der Kombination mit medientheoretischen Ansätzen muss als ausgesprochen gelungen bezeichnet werden. Mit den Beiträgen zu den einzelnen Themenfeldern ist ein wichtiger Anfang gemacht, der weitere Fortsetzungen nach sich ziehen sollte, zumal auch Lücken in der Forschung deutlich geworden sind. So fehlt nach wie vor eine verlässliche, genaue Datenbasis zu den historischen Eckpunkten in der Entwicklung der nationalen Fernsehsysteme in Europa. Das europäische Netzwerk zur Fernsehgeschichte wird dabei in Zukunft eine herausragende Rolle spielen. Gerade international vergleichende Forschung ist auf internationale, interdisziplinäre Teams angewiesen, die fokussiert zusammen arbeiten.

Anmerkungen:
1 Sergio Splendore, Das Mediensystem Italiens, in: Hans-Bredow-Institut (Hrsg.), Internationales Handbuch Medien, 28. Aufl., Baden-Baden 2009, S. 384-395, hier S. 391; Enrico Menduni, La televisione, Bologna 1998, S. 53.
2 Persönliche Mitteilung von Hanne Karina Bruun, Universität Århus, vom 10. November 2009.

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