P. Friedrich u.a. (Hrsg.): Fatale Sprachen

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Titel
Fatale Sprachen. Eid und Fluch in Literatur- und Rechtsgeschichte


Herausgeber
Friedrich, Peter; Schneider, Manfred
Reihe
Literatur und Recht 4
Erschienen
Paderborn 2009: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
€ 42,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Jaser, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Eid und Fluch als symmetrische, metaphysisch verankerte Sprechakte sind per se ein interdisziplinäres Forschungsfeld, auf dem sich Erkenntnisinteressen der Geschichtswissenschaft, Linguistik, Rechtshistorie, Ethnologie, Religions- und Literaturwissenschaft kreuzen und – im besten Fall – verschränken. Zugleich hat man es mit einem Untersuchungsgegenstand zu tun, der ein Höchstmaß an definitorischer Trennschärfe, systematischer Durchdringung und historischer Kontextualisierung verlangt; der ebenso geschichtsblinde wie eklektizistische Gewaltmarsch, den Maximilian Oettinger durch die jüdisch-christliche Fluchtradition unternommen hat, stellt in dieser Hinsicht das jüngste abschreckende Beispiel dar.1

Entsprechend liest sich das Projekt des hier zu besprechenden Sammelbandes, der im Wesentlichen auf ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Rundgespräch zum Thema „Fatale Sprachen – Eid und Fluch in der europäischen Rechtsgeschichte“ aus dem Jahr 2002 zurückgeht, als riskantes Unterfangen: Er zieht eine diachrone Linie „von der hethitischen Kultur bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts“ (S. 16), um – wie die beiden Herausgeber in der recht knapp gehaltenen Einleitung bekennen – dem „Kraftmoment“ von Eid und Fluch als „fatalen Sprachen“ (S. 9) auf die Spur zu kommen. Für weite Strecken der Vormoderne scheint die Lösung einfach: Transzendente Mächte bürgten dafür, dass Fluch und Eid – Letzterer im Sinne einer bedingten Selbstverfluchung – fatale Folgewirkungen nach sich zogen. Zugleich aber wird die diffuse Kontinuität einer „archaische[n] Theorie der Sprache“ (S. 9) – was damit genau gemeint ist, bleibt unklar – unterstellt, die dem Fluchen und Schwören magisches Bemächtigungspotenzial zuschreibt. Sakrale Garantiemacht oder Sprachmagie – der Leser wird in dieser Unentschiedenheit kaum vereinbarer Antworten allein gelassen. Vermeintlich sichereren Boden betreten die Herausgeber dann wieder auf dem schnurgeraden Weg in die Moderne: In ihren Augen liest sich die „lange abendländische Geschichte“ als „unablässige Anstrengung“, die magische Sprechkraft „zu bändigen, zu säkularisieren und zu rationalisieren“ (S. 9). Unter Rückgriff auf das kinetische Trägheitsprinzip, Durkheim und Habermas zeichnen Peter Friedrich und Manfred Schneider die Verwandlung der transitiven Aura des Sprechens mit Gott „zur intransitiven vis inertiae sprachimmanenter Bewirkungskräfte“ (S. 13) nach. Oder anders gewendet: Das Kraftmoment verlagert sich ins Innere der Sprache und mündet schließlich in den politischen Eid als „Versprechen ohne Gott“ (S. 11), in das „kommunikative Handeln“ nach Habermas und in die zeitunabhängige „veridizione“ Agambens ein.2

Vor dem Hintergrund dieses Entwicklungsnarrativs sollen die Einzelbeiträge als „historische Lehrstücke“ über eine „Sprechkraft“ fungieren, „die auch in der postmodernen, nachmetaphysischen Gesellschaft nichts von ihrer irritierenden Besonderheit verloren hat“ (S. 9). Als „gestalterische Besonderheit“ (S. 16) ist jedem Beitrag eine exemplarische Quelle vorangestellt, die den Band zugleich „als Anthologie besonders relevanter Referenztexte der Eid-und-Fluch-Geschichte und als ihre wissenschaftliche Kommentierung“ (S. 16) qualifizieren – ein Selbstanspruch, dem die einzelnen Autoren freilich mit unterschiedlicher Verve begegnen und der die sich aufdrängende Repräsentativitätsfrage gleich außen vor lässt.

Entlang einer streng chronologischen Ordnung ist der Band in drei größere Teile gegliedert, nämlich „Ältere Zeit“ (I), „Mittelalter und Frühe Neuzeit“ (II) und „Moderne“ (III). Der Übersicht halber seien hier die Erträge der Einzelbeiträge kurz rekapituliert: Innerhalb des Teils I macht Birgit Christiansen (S. 23–46) den Auftakt, die Fluch- und Eidformeln in hethitischen Vertragstexten strukturanalytisch nachgeht, dabei den Pfad einer deskriptiven Darstellung des Quellenmaterials freilich kaum verlässt. Walter Burkert (S. 47–56) interessiert sich neben einer religionsphänomenologischen Einordnung des Gegenstandes vor allem für die rituellen Akte, die im Altertum den Eid „jenseits der Sprache“ (S. 47) beglaubigen. Cornelia Vismann (S. 57–66) nimmt anhand der Fluchvorschrift der Stele von Teos (um 470 v.Chr.) die mediale Disposition des „Fluchens in Stein“ zwischen Verschriftlichung und oral-musikalischer Performanz in den Blick, während die behauptete Rückkopplung von Erzwingungsschwäche und Fluchdichte am historischen Befund nicht hinreichend erhärtet wird. Gesine Palmer (S. 67–90) beschäftigt sich mit einer „der erstaunlichsten Verfluchungsgeschichten der rabbinischen Literatur“ – der Bannung des im ersten nachchristlichen Jahrhundert wirkenden Rabbi Eli’eser –, deren psychoanalytische Deutung „als geradezu aufklärerisches Gegenstück zu der Geschichte der Kreuzigung Jesu“ (S. 77) in der Nahsicht nicht zu überzeugen weiß.

Was Gerd Schwerhoffs Beitrag (S. 93–119) zu den blasphemischen Flüchen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit am Beginn von Teil II gegenüber anderen auszeichnet, sind die aus dem Material gewonnenen definitorischen Klärungen von Fluchkategorien, die Einbeziehung von sozialen Kontexten und „gesellschaftlichen Szenarien“ (S. 112) der jeweiligen Sprechhandlungen, die er überzeugend als „theatralische Selbstinszenierung“ (S. 111) interpretiert. Michael Niehaus (S. 122–137) nimmt den Fall einer Eidesleistung unter der Beobachtungssituation des Verhörs aus dem Inquisitionshandbuch Bernard Guis (frühes 14. Jahrhundert) zum Anlass, über das Verhältnis von Freiwilligkeit und Zwang bei der tortura spiritualis nachzudenken. Norbert Brieskorn (S. 139–154) geht minutiös, dabei mehr rezitierend als kommentierend, der Kritik des spanischen Jesuitenpaters Franz Suarez (1548–1619) an dem staatskirchlich formierten Treueid nach, den König Jakob I. von England seinen Untertanen abverlangte. Björn Quiring (S. 155–179) diskutiert die ironische Distanz, die Shakespeares „Richard III“ der gleichermaßen Fluch und Segen implizierenden Eucharistie wie auch der Eidzeremonie entgegenbringt. Das Theater werde damit zum Spiegel und Performanzort „obsoleter, machtloser Zeremonien“ (S. 179), deren gesellschaftliche Symbolfunktion aber gleichwohl ungebrochen erscheine. Peter Friedrich (S. 181–198) geht der historischen Entwicklung des sacramentum militiae vom Vertragscharakter der älteren Artikelbriefe bis zum asymmetrischen Unterwerfungseid des späteren 17. Jahrhunderts nach, der im Zuge eines umfassenden Disziplinierungsprogramms auch das agonale Sprechverhalten der Soldaten zu bekämpfen suchte.

Im letzten Teil gelingt es Marcus Twellmann (S. 201–225), ausgehend von einer Gerichtsanekdote aus dem Jahr 1789, die preußische Eidpraxis des 18. Jahrhunderts als Fluchtpunkt divergierender Sinnzuschreibungen im Spannungsbogen zwischen disziplinierender Souveränitätsmacht und der moralischen Autonomie des Subjekts zu verorten. Dieter Hüning (S. 227–251) bettet Kants Eidkritik in seiner „Rechtslehre“ in die zeitgenössische Naturrechtslehre ein und akzentuiert dessen solitäre Position im Nachweis der juridischen Unmöglichkeit des Eidzwangs. Eva Geulen (S. 253–270) zeigt anhand von Schillers „Verschwörung des Fiesko“, wie der Dramatiker heroische Flüche als „ästhetische Ersatzhandlungen“ (S. 258) und Eidszenen als Medium einsetzt, um „Unabhängigkeiten und Interferenzen zwischen politischer und privater Sphäre“ (S. 261) zu verhandeln. Peter Risthaus (S. 271–291) beleuchtet die zentrale Rolle von Flüchen, Eiden und Beschwörungen im Werk Hölderlins und argumentiert, dass der dichterischen Rede wie den fatalen Sprechakten eine „Wirkung auf das Reale“ (S. 282), eine zeitresistente, schicksalsbeeinflussende Präsenz inhärent sei. Nach einleitenden Bemerkungen zur Sichtweise auf die „heimsuchende Kraft“ der Sprache von Herodot bis Kant zeichnet Manfred Schneider (S. 293–315) Nietzsche als „Fluchtier“ (S. 304), der in dreifacher Modalität über den Fluch, den Fluch selbst und als Fluch spricht und damit seinen eigenen Wahnsinn „buchstäblich herbeigeflucht“ (S. 313) habe.

Ungeachtet teils überzeugender Einzelleistungen ist der Sammelband in toto doch von einem nicht geringen Unschärfemoment gekennzeichnet. Zum einen droht in einzelnen Beiträgen die analytische Differenz von Interjektions- und Schadenflüchen, von intransitiver Blasphemie und transitiver Verfluchung3 bedenklich zu verschwimmen (Vismann, Friedrich). Noch schwerer wiegt zum anderen, dass nicht wenige Autoren zur Beschreibung der vormodernen Eid- und Fluchpraxis nahezu unhinterfragt die eher verdunkelnden als erhellenden Begriffsstigmata der älteren Religionsanthropologie übernehmen – vor allem Adjektive wie „archaisch“ und „magisch“ haben dabei Konjunktur, ohne dass ein analytischer Mehrwert erkennbar wäre. Speziell mit dem Magie-Etikett drängt sich die in der Einleitung ungelöste Globalfrage wieder auf, ob das Kraftmoment von Eid und Fluch nun in den sakralen Garanten oder in der Vorstellung einer erzwingungs- und wirkmächtigen Sprache liegt. Wir haben an dieser Stelle ein entscheidendes konzeptionelles Defizit vor Augen: Indem die Bindungskraft dann doch wieder den „fatalen Sprachen“ selbst unterstellt wird, enthebt man sich einer genaueren kulturellen, mentalitären und sozialen Grundierung des Untersuchungsgegenstandes. So verwundert es auch nicht, dass Bourdieus Warnung vor einer linguistischen Engführung der Sprechaktanalyse, wie er sie in „Language and Symbolic Power“ geäußert hat4, ebenso in den Wind geschlagen wird wie seine akteurszentrierte Perspektive auf die sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen der Sprechsituationen. Die Kosten dieser Ausblendung sind – von Burkert, Schwerhoff und Twellmann abgesehen – für die rechtsgeschichtlichen wie für die literaturgeschichtlichen Beiträge gleichermaßen hoch und gipfeln in der nicht einmal von ihrem eigenen Untersuchungsmaterial gedeckten Aussage Vismanns, dass es „für die Verbindlichkeit des Fluchs“ nicht darauf ankomme, „wer spricht“ (S. 65). Das genaue Gegenteil ist der Fall: Nicht in einer gleichsam objektivierten, „fatalen“ Sprache liegt die Kraft von Flüchen und Eiden, sondern in der sozialen Position und Legitimation des Sprechers, die in der Interaktion mit Adressaten und transzendenten Garantieinstanzen kulturspezifisch hergestellt und ausgehandelt wird. Die Zukunft der Eid- und Fluchforschung wird in der soziokulturellen Mikroperspektive liegen, nicht in „(sprach-)magischen“ Oberflächendiagnosen.

Anmerkungen:
1 Maximilian Oettinger, Der Fluch. Vernichtende Rede in sakralen Gesellschaften der jüdischen und christlichen Tradition, Konstanz 2007.
2 Giorgio Agamben, Il sacramento del linguaggio. Archeologia del giuramento, Bari 2008, S. 83; erscheint demnächst deutsch als: Das Sakrament der Sprache. Eine Archäologie des Eides, Frankfurt am Main 2010.
3 Siehe z.B. Franz Kiener, Das Wort als Waffe. Zur Psychologie der verbalen Aggression, Göttingen 1983, S. 211.
4 Pierre Bourdieu, Language and Symbolic Power, hrsg. v. John B. Thompson, Cambridge, Mass. 1991 (6. Aufl. 2001), bes. S. 66–89, 107–116.