Cover
Titel
Advocating Dignity. Human Rights Mobilizations in Global Politics


Autor(en)
Quataert, Jean H.
Reihe
Pennsylvania Studies in Human Rights
Erschienen
Anzahl Seiten
XIII, 355 S.
Preis
$ 59.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Eckel, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Der Menschenrechtsaktivismus nicht-staatlicher Gruppen und Organisationen ist eine ebenso symbolträchtige wie einflussreiche Neuentwicklung in der internationalen Politik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nicht-staatliche Aktivisten hatten entscheidenden Anteil daran, dass Menschenrechte zu einem viel diskutierten und aufmerksam beobachteten Thema der internationalen Beziehungen wurden. In den Vereinten Nationen stellten NGOs eine treibende Kraft bei der Ausarbeitung völkerrechtlicher Normen dar. Zudem war in fast allen Fällen, in denen es zu größeren internationalen Kampagnen gegen einzelne Staaten oder bestimmte Formen von Verbrechen kam, die Initiative nicht-staatlicher Organisationen ausschlaggebend.

Die Geschichtswissenschaft hat diesen Gruppen bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt, was auch daran liegt, dass sich die Historiographie zur Menschenrechtspolitik im 20. Jahrhundert gerade erst im Entstehen befindet. Insofern ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass Jean H. Quataert, Professorin an der Binghamton University – State University of New York, den transnationalen Netzwerken der Aktivisten eine umfängliche Studie gewidmet hat. Zeitlich spannt sie den Bogen über das gesamte 20. Jahrhundert. Nach einem Kapitel zur Vorgeschichte des Menschenrechtsaktivismus seit etwa 1900 folgen drei Hauptteile. Der erste befasst sich mit der Anti-Apartheid-Bewegung, dem Aktivismus zugunsten osteuropäischer Dissidenten im Umfeld der Helsinki-Schlussakte von 1975 und den argentinischen „Müttern der Plaza de Mayo“. Der zweite Teil richtet den Blick auf die internationale Frauenbewegung und den Kampf für wirtschaftlich-soziale Rechte. Im letzten Teil schließlich geht es vor allem um die Frage der „humanitären Intervention“ in den 1990er-Jahren sowie um die von den Vereinten Nationen organisierte Weltkonferenz gegen Rassismus im Jahr 2001.

Trotz der reizvollen Auswahl an Fallbeispielen kann das Buch den Anspruch bei Weitem nicht einlösen, eine Darstellung von „emergence, development, and impact of human rights advocacy networks“ zu liefern (S. 5). Dafür ist die Analyse weder empirisch fundiert noch differenziert genug. Zwar skizziert die Autorin manche wichtigen Tendenzen der Menschenrechtsarbeit und gibt Auskunft über den geschichtlichen Kontext, in dem sie sich vollzog. Doch keine der betrachteten Bewegungen wird mit ausreichender Tiefenschärfe in ihrer historischen Entwicklung nachgezeichnet. Die Verfasserin untersucht weder die soziale Zusammensetzung der Gruppen noch die institutionelle Dynamik einzelner Organisationen; sie fragt nicht nach der politischen Motivation und Zielsetzung der Akteure und streift allenfalls ihre Strategien; der zeitliche Wandel und die Konjunkturen des Menschenrechtsaktivismus werden nicht thematisiert; und schließlich finden sich nie mehr als ein paar Worte über die Effekte der Kampagnen. Die Vereinten Nationen, deren Zusammenspiel mit den NGO-Initiativen Quataert sinnvollerweise immer wieder einbezieht, bleiben eine black box. Der Leser erhält keinen Einblick in das machtpolitische Gerangel hinter den Kulissen. Er erfährt daher nichts über die Motive, die Staaten für oder gegen bestimmte Vorschläge Stellung nehmen ließen, oder über die konfliktbeladenen Verhandlungen, die der Verabschiedung von Konventionen und der Schaffung von Komitees vorausgingen. Bei alledem kommt nicht zuletzt die Entscheidung der Verfasserin zum Tragen, primär auf veröffentlichtes Schrifttum zurückzugreifen und kaum archivalische Materialien heranzuziehen.

Auch die übergreifende Interpretation und die meisten historischen Einordnungsversuche, die Quataert in ihrem Buch unternimmt, können nicht überzeugen. Sie begreift drei verschiedene Kampagnen – nämlich die Anti-Apartheid-Bewegung, das Engagement für sowjetische Dissidenten und den Protest argentinischer Müttergruppen gegen das „Verschwindenlassen“ ihrer Kinder – als Schlüsselereignisse, die zur Entstehung einer „human rights orthodoxy“ geführt hätten (S. 61). Demzufolge verankerten die genannten Ereignisse ein bestimmtes Verständnis davon, was Menschenrechtsverletzungen ausmache – nämlich die Unterdrückung individueller Freiheiten –, und sie schufen Präzedenzfälle für spätere Mobilisierungen. Der Menschenrechtsaktivismus von Frauengruppen und der menschenrechtlich begründete Einsatz für sozioökonomische Rechte, insbesondere für ein „Recht auf Entwicklung“, stellen in den Augen der Verfasserin eine Kritik an der „Orthodoxie“ dar. Beide hätten dem Versuch gegolten, bislang international wenig beachtete soziale Probleme als Menschenrechtsthemen zu etablieren. Dem möglichen Einwand, dass Orthodoxie und Kritik sich zeitlich überschneiden, begegnet Quataert mit der Vorstellung einer „overlapping and interconnected [chronology]“ (S. 298).

Von einzelnen Einwänden abgesehen (so gab es etwa keine NGO-Bewegung für das Recht auf Entwicklung, die den anderen Bewegungen vergleichbar gewesen wäre), liegt das Grundproblem der Studie tatsächlich im chronologischen und damit auch interpretatorischen Rahmen. Den Gedanken, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg eine formative Phase des Menschenrechtsaktivismus gegeben habe, kann Quataert gerade nicht belegen. Der Kampf gegen das südafrikanische Apartheid-Regime, der bereits Anfang der 1950er-Jahre aufgenommen wurde, blieb bis in die 1970er-Jahre hinein außerhalb Südafrikas ein Anliegen marginaler Gruppen (während die südafrikanischen Widerstandsorganisationen selbst nur sporadisch auf den Menschenrechtsbegriff rekurrierten). Alle Bewegungen, die Quataert benennt, entstanden erst in den 1970er-Jahren oder erlebten hier ihren eigentlichen Durchbruch. Anders als es die Autorin mit der Vorstellung einer zeitlichen Überlappung nahelegt, bildeten die 1970er-Jahre eine radikale Zäsur, die es zu erkennen gilt, will man zu einer angemessenen Deutung nicht-staatlicher Menschenrechtspolitik gelangen. In diese Dekade fiel eine grundlegende Neuaneignung der Menschenrechtsidee durch nicht-staatliche Akteure, die ältere Formen des sozialen Engagements und des politischen Protests zu überwinden suchten und sich dafür eines vermeintlich unideologischen, globalen Interventionismus bedienten.1 Dadurch wandelten sich sowohl die politische Bedeutung als auch der öffentliche Stellenwert des Menschenrechtsaktivismus dramatisch und unterschieden ihn qualitativ von früheren Initiativen, die sich menschenrechtlicher Argumentationen bedient hatten. In weltweiter Perspektive betrachtet, fand diese Neuaneignung zudem in unterschiedlichen Kontexten statt, die sich nur bis zu einem gewissen Grad einheitlich erklären lassen. Außerhalb des „Westens“ war und blieb Menschenrechtsaktivismus nämlich eine Form der unmittelbaren Selbsthilfe. Keiner dieser Zusammenhänge ist in Quataerts Buch jedoch erwähnt.

Dem abschließenden Argument der Autorin, die 1990er-Jahre hätten eine neue Phase in der Geschichte der Menschenrechtspolitik dargestellt, ist zuzustimmen, wenn auch nicht unbedingt aus den Gründen, die Quataert vorbringt. Denn dass die „ethnischen Säuberungen“ in Jugoslawien und der Genozid in Ruanda „distinct challenges“ dargestellt hätten (S. 221), lässt sich bei einem Blick auf die Gewaltgeschichte der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg vermutlich nicht behaupten. Neu waren die internationalen Reaktionen auf die Massenmorde, und dies wiederum vor allem im Fall Jugoslawiens, während in der Indifferenz der Staatengemeinschaft gegenüber dem Morden in Ruanda altbekannte Muster überwogen. Mit den so genannten humanitären Interventionen und der Errichtung internationaler Strafgerichtshöfe hebt Quataert hingegen tatsächlich zwei der wichtigsten Instrumente hervor, die sich in den 1990er-Jahren herausbildeten.

Das Buch bündelt manche interessanten Informationen, wie vor allem zur Weltkonferenz gegen Rassismus von 2001, und es mag weitere Forschungen stimulieren, indem es zu Fragen Anlass gibt. Um einen Beitrag, der die Geschichtsschreibung über Menschenrechte wesentlich voranbringt, handelt es sich jedoch leider nicht.

Anmerkung:
1 Vgl. dazu ausführlicher: Jan Eckel, Utopie der Moral, Kalkül der Macht. Menschenrechte in der globalen Politik nach 1945, in: Archiv für Sozialgeschichte 49 (2009), S. 437-484.

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