S. Bender: Burenkrieg und deutschsprachige Presse

Titel
Der Burenkrieg und die deutschsprachige Presse. Wahrnehmung und Deutung zwischen Bureneuphorie und Anglophobie 1899-1902


Autor(en)
Bender, Steffen
Reihe
Krieg in der Geschichte 52
Erschienen
Paderborn 2009: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cord Eberspächer, Konfuzius-Institut, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Erfährt bereits die Militärgeschichte des deutschen Kaiserreichs vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wenig Aufmerksamkeit, so gilt dies noch mehr für Konflikte außerhalb Europas und erst recht für Kriege ohne direkte deutsche Beteiligung. Das war für die zeitgenössische Politik wie auch die Öffentlichkeit in Deutschland völlig anders. Ereignisse wie der Burenkrieg in Südafrika 1899-1902 hatten eine erhebliche Bedeutung für die deutschen Außenbeziehungen und wurden von großen Teilen der Bevölkerung aufmerksam verfolgt. Daher ist es zu begrüßen, dass sich Steffen Bender in seiner Dissertation, die im SFB 437 der Universität Tübingen entstanden ist, mit der Rezeption und Rückwirkung des Krieges in Südafrika auf den deutschsprachigen Presseraum befasst hat.

Die Arbeit passt sich gut in den Rahmen des SFB zu „Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“ ein und schließt in der Forschungslandschaft eine Lücke, die Ulrich Kröll mit seiner Untersuchung zur Burenagitation nur unzureichend gefüllt hatte.1 Die übergeordnete Fragestellung der Arbeit ist die Darstellung und Deutung des Burenkrieges in der deutschsprachigen Presse (S. 14). Dazu hat Bender eine breite Materialgrundlage von über 40 deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften herangezogen. Der größte Teil kommt aus dem Deutschen Reich (dazu der „Windhoeker Anzeiger“ aus Deutsch-Südwestafrika). Hinzu treten ergänzend Periodika aus „dem zisleithanischen Teil Österreich-Ungarns“ (S. 19). Bender führt zu Recht die Schwierigkeiten an, die Wirkung der Presseberichte im Einzelnen zu bewerten und ordnet sein Material in erster Linie nach politischen Richtungen und Zielgruppen. Methodisch werden innerhalb der herangezogenen Periodika die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster untersucht, auf eine weitergehende theoretische Erörterung dieser Begriffe hat Bender allerdings verzichtet.

Die Arbeit ist in drei Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt (Teil II) stellt Bender den Burenkrieg als Medienereignis vor. Vor dem Hintergrund der deutschen Wirtschaftsinteressen und politischer Ereignisse wie dem bekannten Krüger-Telegramm konstatiert er eine „breite öffentliche Sensibilisierung“ (S. 29) im Deutschen Reich für die Ereignisse in Südafrika, die sich nicht zuletzt auch in der Werbung manifestierte. Danach analysiert er den Charakter der Berichterstattung. Ein wesentliches Problem für die Presse war es, überhaupt verlässliche Nachrichten vom Kriegsschauplatz zu erhalten. Agenturmeldungen waren nur über Großbritannien zu erhalten und konnten als entsprechend gefärbt gelten. Dagegen gelang es nur vereinzelt, direkte Berichte von Personen vor Ort zu erhalten. Was die Verbreitung von Fotografien angeht, merkt Bender zwar zu Recht an, dass der Abdruck von Bildern noch unüblich war, allerdings hat er die beiden deutschen illustrierten Zeitungen nur unzureichend behandelt: „Die Woche“ ist zwar bei den ausgewerteten Magazinen aufgeführt, wird aber in der Arbeit kaum erwähnt, die „Berliner Illustrierte Zeitung“ taucht gar nicht auf.

Der zweite Abschnitt (Teil III) ist der Wahrnehmung und Deutung des Burenkrieges gewidmet. Beginnend mit dem Kriegsausbruch analysiert Bender verschiedene Aspekte des Krieges in Südafrika und seiner einzelnen Faktoren. Der Erörterung des Bildes der Buren folgt die Betrachtung der militärischen Aspekte und der „Concentration Camps“. Den Abschluss bildet die Berichterstattung über den Friedensschluss. Hier kommt die umfassende Auswertung des herangezogenen Materials voll zum Tragen. Nach einer einleitenden Zusammenfassung der historischen Hintergründe breitet Bender ein reiches Kaleidoskop der unterschiedlichen Blickwinkel aus, unter denen die jeweiligen Themen gesehen wurden. Der Autor trennt präzise die unterschiedlichen politischen Richtungen und die damit verbundenen Sichtweisen, beispielsweise in der Interpretation des Friedensschlusses als burischen Sieg in der „Deutschen Tageszeitung“ (S. 124) oder als vollständige Unterwerfung in „Die neue Zeit“ (S. 126).

In dem dritten und umfangreichsten Abschnitt (Teil IV) kommt Bender dann auf die Berichterstattung über die Aus- und Rückwirkungen des Krieges auf das Deutsche Reich. Die beiden ersten Unterkapitel hängen eng zusammen. Sowohl die Neutralitätspolitik des Reiches wie auch die Haltung Kaiser Wilhelms II. wurden in der Presse kontrovers behandelt. Die neutrale Haltung der deutschen Regierung wie auch die demonstrative Verbundenheit mit seinen britischen Verwandten, die der Kaiser vor allem beim Tod seiner Großmutter, Queen Victorias, an den Tag legte, wurden als starker Kontrast zu dem Krüger-Telegramm von 1896 wahrgenommen und Bülow sah die öffentlichen Urteile eher vom Herzen als vom Kopf geleitet. Dass Bender zu dem komplexen Verhältnis Wilhelms II. zu Großbritannien die dreibändige Biographie John C.G. Röhls nicht erwähnt, sondern lediglich auf einen kleineren Katalogbeitrag desselben Autors verweist, ist allerdings verwunderlich. Der folgende Teil über die Frage der Burenwanderung in die deutsche Kolonie Südwest-Afrika ist in vieler Hinsicht ein Rückgriff auf das Burenbild in Teil III. Ob die ohnehin marginal bleibende Übersiedlung von Buren als positiv oder negativ gesehen wurde, war von den Vorstellungen beeinflusst, die in den Buren entweder dem „Germanentum“ eng verwandte, fleißige Bauern oder rückständige und störrische Hinterwäldler sahen. In der so genannten „Bundesrath-Affäre“, also des auf unsicherer rechtlicher Grundlage erfolgenden Anhaltens und Durchsuchens deutscher Handelsschiffe und Postdampfer auf Konterbande, ging es im Hintergrund auch um die deutsche Flottenpolitik. Die weitreichende Empörung über das britische Vorgehen wurde schnell Teil der offiziellen Argumentation und war den politischen Zielen des Chefs des Reichsmarineamts, Alfred von Tirpitz, letztendlich höchst willkommen.

Die Europareise Paul Krügers, Präsident des Transvaal, die Unterstützung für die Position der Buren erlangen sollte, als die Feindseligkeiten in Südafrika bereits in die Phase des Guerillakrieges übergegangen waren, ist wiederum in einem engen Zusammenhang mit dem ersten Unterkapitel, der deutschen Neutralität, zu sehen. Gleichwohl ist sie als Unterthema interessant genug, um ein eigenes Unterkapitel zu rechtfertigen. Trotz der enormen Popularität Krügers signalisierte die Reichsregierung frühzeitig, dass sie den Präsidenten nicht empfangen werde und er auch nicht nach Berlin kommen solle. In deutlichem Kontrast zur offiziellen Haltung wurde Krüger aber in Köln von einer großen Volksmasse begeistert gefeiert. Bender konstatiert hier einen Wandel in der Rolle der Öffentlichkeit im Kaiserreich: Der Regierungskurs und das Politikverständnis nationaler Gruppierungen begannen auseinander zu driften und vor allem der Alldeutsche Verband setzte zunehmend auf eine direkte Mobilisierung breiter Massen (S. 229). Im letzten Abschnitt geht es schließlich um die Reaktionen auf eine Rede des britischen Kolonialministers Joseph Chamberlain, der das britische Vorgehen in eine Reihe mit der Grausamkeit anderer Kriege stellte und dabei auch den Deutsch-Französischen Krieg 1870-71 aufführte. Die deutsche Reaktion, nicht zuletzt auf die „Granitrede“ Bülows interpretiert Bender als einen Schritt zur deutsch-britischen Entfremdung (S. 255).

Der abschließende Teil ist ein Ausblick, in dem Bender auf die deutsche Sicht auf die Buren während des Ersten Weltkriegs eingeht. Eine eigentliche Zusammenfassung fehlt. Dies ist umso unverständlicher, als der methodische Ansatz der Wahrnehmungs- und Deutungsmuster nicht nur in der Einleitung sehr kurz ausfällt, sondern auch in der eigentlichen Arbeit eher schwach herausgearbeitet wird. Dass der Autor den Deutungsbegriff in der Arbeit wiederholt einstreut, ist zu wenig, und eine zusammenfassende Darstellung und Interpretation der Deutungsmuster hätte das Buch verdient gehabt. Umgekehrt vermag die Einbeziehungen der österreichischen Presse nicht zu überzeugen; obwohl Bender für die österreichischen Periodika einen weitergehenden Anspruch erhebt, kommen sie eigentlich nie über eine bloße Ergänzungsrolle hinaus, für den eigentlichen Untersuchungsgegenstand bieten sie wenig Erkenntniszuwachs.

Trotz der angesprochenen Mängel handelt es sich bei dem besprochenen Band um eine solide recherchierte Arbeit, die unser Wissen um die deutsche Haltung zum Burenkrieg deutlich erweitert. Sie zeigt nicht nur eine interessante Perspektive auf eines der wichtigen Ereignisse der internationalen Politik vor dem Ersten Weltkrieg, sondern bietet auch Erkenntnisse für die Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen und die Politik der Großmächte vor dem Ersten Weltkrieg. Zusätzlich macht Bender auf die zunehmend wichtige Rolle der Presse für die politische Mobilisierung im Kaiserreich aufmerksam und kann überzeugend darlegen, wie sich die veröffentlichte Meinung verselbständigte, während von einer eigentlichen Öffentlichkeitsarbeit der Politik noch kaum gesprochen werden konnte.

Anmerkung:
1 Ulrich Kröll, Die internationale Buren-Agitation: 1899-1902, Regensburg 1973.