N. LaPorte u.a. (Hrsg.): Bolshevism, Stalinism and the Comintern

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Titel
Bolshevism, Stalinism and the Comintern. Perspectives on Stalinization, 1917-53


Herausgeber
LaPorte, Norman; Morgan, Kevin; Worley, Matthew
Erschienen
Basingstoke 2008: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
X, 319 S.
Preis
€ 76,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reiner Tosstorff, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Mit seiner bahnbrechenden Arbeit über die "Wandlungen des deutschen Kommunismus" hatte Hermann Weber 1969 eine Analyse vorgelegt, mit der er aufzeigte, wie aus einer radikalen, von ihrer Basis her bestimmten Arbeiterpartei mit Jahrzehnte zurückreichenden Wurzeln im eigenen Land eine vom Parteiapparat quasi-militärisch dirigierte und an den internationalen Interessen der Sowjetunion ausgerichtete Partei geworden war. Damit war ein Paradigma gesetzt, dem Analysen kommunistischer Parteien anderer Länder explizit oder implizit entsprachen. Man denke nur an die Arbeiten von Theodore Draper über die amerikanische KP. Direkte Bezugnahmen waren aber, vor allem im englischsprachigen Bereich, selten, obwohl schon Eric Hobsbawm Webers Arbeit kurz nach Erscheinen ausführlich in der New Left Review kommentiert hatte.1 Mit dem nun vorliegenden Sammelband wollen die Herausgeber, selbst in verschiedenster Weise schon seit langem auf diesem Gebiet arbeitend2, Webers Ansatz nicht zuletzt angesichts der inzwischen erfolgten Archivöffnungen und dadurch beflügelter Forschungen erneut fruchtbar machen. Ein Anspruch dabei ist der bisher eher spärlich erfolgte internationale Vergleich. Dabei verschweigen sie nicht, dass Webers Konzeption im Laufe der Zeit auch zum Teil heftig kritisiert wurde. So referieren sie in ihrer Einleitung die Diskussion in Deutschland, die vor allem von Klaus Mallmann ausging. Dieser hatte anstelle der Partei und ihrer Entwicklung die Bedeutung des Milieus, in dem die kommunistische Bewegung ihre Basis hatte, hervorgehoben. Die Herausgeber verweisen ebenso auf vergleichbare Argumente internationaler Forscher, etwa von Eric Weitz. Doch deuten sie dabei weitergehende Fragen, wie zum Beispiel die Zusammenhänge mit methodischen Herangehensweisen und neuen Fragestellungen, etwa durch das Aufkommen der Sozialgeschichte, leider nur an. Denn ihr Interesse ist eben der Versuch, Prozesse der Stalinisierung in anderen Parteien aufzufinden und auf ihre Bedeutung hin zu überprüfen.

Die Herausgeber verzichteten darauf, die Stalinisierung weitergehender und dadurch vielleicht präziser denn als einen Prozess der Unterordnung und der bürokratischen Kontrolle zu definieren und davon ausgehend auch eine detaillierte und mehr oder weniger identische Fragestellung an die Beiträge anzulegen. Somit beinhalten die 14 Artikel ein breites Spektrum an Perspektiven. Hermann Weber selbst liefert im ersten Beitrag einen Rückblick auf seine Arbeit – eine erweiterte Fassung eines Textes aus dem Jahrbuch für historische Kommunismusforschung von 2007 –, und Brigitte Studer geht ebenfalls einleitend einer eher methodischen Fragestellung nach, indem sie nach der Entwicklung der Unterwerfungsformen und -methoden der "stalinistischen Persönlichkeit" fragt und damit die sozial-kulturelle Geschichte beleuchtet. Die übrigen Artikel jedoch sind über die bloße Verwendung des Stalinisierungs-Paradigmas hinaus schwer auf einen gemeinsamen Begriff zu bringen.

So finden sich Länderstudien mit dem Anspruch auf einen Gesamtüberblick, die oftmals langjährige, auf Archivarbeit gestützte Forschungen zusammenfassen. Dies gilt etwa für die Beiträge von Aldo Agosti über Italien, Tauno Sarela über Finnland oder Emmet O'Connor über Irland. Einige Beiträge behandeln die internationalen Entscheidungsstrukturen (Peter Huber über die Leitungsgremien und Jean-François Fayet über die Bedeutung des "Fall Levi") oder für alle Parteien geltende Phänomene wie den Führerkult (Kevin Morgan und Norman LaPorte am Beispiel Ernst Thälmanns und Harry Pollitts). Weitere Beiträge sind Mikrostudien, die einzelne Aspekte aus der Geschichte einer KP herausgreifen, zum Beispiel zu den USA (Randi Storch und Ed Johanningsmeier) oder Spanien (Gina Hermann - hier geht es um die besondere Bedeutung des Bürgerkriegs). Einige wenige vergleichen auch direkt mehrere kommunistische Parteien, so die von Deutschland und Frankreich (Andreas Wirsching), von Großbritannien und Neuseeland (Kerry Taylor und Matthew Worley) oder von Jugoslawien und der Tschechoslowakei (Ben Fowkes).

Insgesamt wirkt das Ergebnis, wie fast unvermeidlich bei Sammelbänden, etwas gemischt. Zwar beruhen alle Beiträge auf profunden Forschungen. Doch die Aussagekraft ist dem Blickwinkel entsprechend unterschiedlich und auch davon beeinflusst, inwieweit wirklich umfassend Archive oder hauptsächlich Sekundärliteratur ausgewertet wurden. So ist es nicht verwunderlich, dass das Fazit schon in der Einleitung gezogen wird und insgesamt etwas unscharf bleibt, was sich noch stärker in einigen der Beiträge ausdrückt. Darin deutet sich eine Tendenz an, die Stalinisierung mit der Durchsetzung und Gewährleistung vollständiger Kontrolle gleichzusetzen (nur als einige Beispiele: S. 241, 278, oder noch expliziter der Beitrag zu Finnland, der unter Berufung darauf von einer Stalinisierung der KP erst nach dem Zweiten Weltkrieg spricht). Kriterien wie „Effizienz“ oder gar „Erfolg“, auch nach außen hin im Sinne der Verbreiterung des kommunistischen Einflusses, sind hier jedoch sicher fehl am Platz, um nachzuzeichnen, ob beziehungsweise wann eine Kommunistische Partei stalinisiert war oder nicht. Desorganisation ist oft genug Resultat bürokratischer Herrschaft oder Pendant zu ihr, und so müsste man viel stärker, als es hier geleistet wird, nach der Herausbildung bürokratischer Organisationsstrukturen in einem materiellen und sozialen Sinn und ihren politischen Folgen fragen. Das entscheidende Kriterium kann zweifellos weiterhin nur die Verklammerung mit der internationalen Politik der Sowjetunion und die bedingungslose Ausrichtung an ihren Interessen sein. Dass es oft Schwierigkeiten bei der Umsetzung gab, dass diese Unterordnung gelegentlich nur halbherzig in den taktischen Konsequenzen verwirklicht wurde oder im Falle der Befolgung zu drastischen Rückschlägen führte, war eben historisch mit dem Stalinisierungsprozess des Kommunismus kompatibel und nicht dessen grundsätzliche Infragestellung. Berücksichtigt man dies, so liefert der Sammelband insgesamt interessante Facetten der Entwicklung der internationalen kommunistischen Bewegung von Mitte der 1920er-Jahre bis etwa zum Ausbruch des Weltkriegs.3

Anmerkungen:
1 Jetzt zu finden in: Eric J. Hobsbawm, Revolution und Revolte. Aufsätze zu Kommunismus, Anarchismus und Umsturz im 20. Jahrhundert, Frankfurt 1977, Kap. "Im Angesicht der Niederlage: die Kommunistische Partei Deutschlands", S. 68–84.
2 Norman LaPorte forscht zur Weimarer KPD und arbeitet zurzeit an einer Thälmann-Biographie; er gehört dem wissenschaftlichen Beirat des Jahrbuchs für historische Kommunismusforschung an. Kevin Morgan und Matthew Worley haben über die britische KP publiziert. Letzterer ist auch Herausgeber eines ähnlichen Unternehmens: In Search of Revolution. International Communist Parties in the Third Period, London 2004.
3 Die Herausgeber dieses Sammelbandes haben jetzt auch eine zunächst jährlich erscheinenden Zeitschrift zur internationalen Kommunismusforschung gegründet: Twentieth Century Communism. A Journal of International History, London: Lawrence & Wishart; jedes Heft mit einem Schwerpunktthema – "Führerkult" in Bd. 1, 2009 - ergänzt um die Sektion "reviews and reflections" zu Grundsatzfragen und um einen Rezensionsteil. Obgleich sie zunächst einmal die britische, sich bisher eher auf nationalgeschichtliche Herangehensweisen beschränkende Forschungslandschaft vernetzen will, wird sie hoffentlich auch international zur Kenntnis genommen werden.

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