Titel
The Straight State. Sexuality and Citizenship in Twentieth-Century America


Autor(en)
Canaday, Margot
Reihe
Politics and Society in Twentieth Century America
Erschienen
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
€ 22,13
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Jobs, Graduiertenkolleg "Kulturkontakt und Wissenschaftsdiskurs", Universität Rostock

In politischen Debatten in den USA sind Fragen von Sexualität und 'citizenship' oft eng miteinander verknüpft. In den letzten Jahren veranschaulichen dies vor allem zwei Themenfelder. Erstens, die kontrovers geführten Diskussionen um die rechtliche Anerkennung homosexueller Ehen oder Lebensgemeinschaften. Hier waren es vor allem Gerichte, die im Verbot solcher Verbindungen einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz sahen und 'same-sex marriage' in fünf Bundesstaaten legalisierten. Zweitens hat Präsident Barack Obama kürzlich angekündigt, die offiziellen Leitlinien des amerikanischen Militärs im Umgang mit Homosexuellen in den eigenen Reihen einer Überprüfung zu unterziehen. Die in den 1990er-Jahren eingeführte "Don't Ask/Don't Tell"-Politik ist eine Art einseitig erlassenes Stillhalteabkommen, das darauf angelegt ist, homosexuelle SoldatInnen innerhalb des Militärs zu tolerieren, so lange ihre sexuelle Orientierung nicht publik wird. Margot Canady liefert mit ihrem exzellenten Buch einen Beitrag zu diesen Debatten, der die enge Verbindung zwischen Sex und Staatsbürgerschaft sowie deren historische Entstehung im 20. Jahrhundert beschreibt.

Ihre Analyse fußt dabei auf drei grundsätzlichen Konzepten, die sie in ihrer theoretisch-methodischen Einleitung einführt: Staat, Staatsbürgerschaft und Homosexualität. Sehr überzeugend argumentiert die Autorin, dass diese drei Begriffe nur dynamisch wandelbar und relational auf einander bezogen gedacht werden können. Canaday definiert allein staatliches Handeln als ihren Analysegegenstand und umreißt damit ein fast performatives Verständnis von 'Staat': nämlich als all das, was dessen offizielle Vertreter tun ("what officials do", S. 5). Innerhalb dieses Analyserahmens untersucht sie Logiken und Praktiken der staatsbürgerschaftlichen Inklusion und Exklusion auf ihre internen Argumentationsstrukturen hin. Dabei betrachtet sie nicht nur, wie Homosexualität zu einer medizinischen, rechtlichen oder psychiatrischen, sondern eben auch zu einer bürokratischen Kategorie wurde.

Anhand dieser drei Grundkonzepte betrachtet Canaday die Entstehung und konkrete Durchsetzung von Polizierungs- und Regulierungspraktiken, die Staat und Gesellschaft vor 'deviantem' sexuellem Verhalten schützen sollten. Dabei beschränkt sie sich auf drei Arenen staatlichen Handelns, die dem Buch gleichzeitig auch seine klare Gliederung geben. In einem großen zeitlichen Bogen (1900 bis 1983) betrachtet die Autorin anhand von Einzelfällen, wie Politiker, Militärs und Beamte versuchten, Homosexuelle zu erkennen und als eigene Bevölkerungsklasse zu definieren, um sie an der Immigration (Kapitel 1 und 6), dem Militärdienst (Kapitel 2 und 5) und sowie dem Empfang staatlicher Sozialleistungen (Kapitel 3 und 4) zu hindern. Als Quellenmaterial dienen ihr dafür vor allem die archivalischen Dokumente der Behörden sowie Gerichtsakten, die sie teilweise wie Selbstzeugnisse analysiert. Daran kann Canaday zeigen, wie anfangs noch die körperliche Inspektion als Königsweg der Sichtbarmachung erschien, sich Beamte jedoch später zunehmend auf die Analyse sozialer Umstände, Gewohnheiten und Praktiken verlagerten, die auf die scheinbare sexuelle Anomalie verweisen sollten. Gerade am Beispiel des Militärs zeigt Canaday auch die Schwierigkeiten und Unschärfen dieser Methoden. Einerseits schienen Kameradschaft und die Beförderung hypermaskuliner Geschlechtervorstellungen Grundvoraussetzung für eine funktionierende Armee, andererseits sahen viele in ihnen aber auch einen potentiellen Entstehungsherd homosexueller Neigungen. Trotzdem war es für die verantwortlichen Militärs nicht mit der reinen Identifikation bzw. dem Ausschluss potentieller Homosexueller getan. Wohlfahrtsprogramme wie die G.I. Bill von 1944 dienten dazu, diese Erkenntnisse umzusetzen. Die Entlassung aus der Armee aufgrund homosexueller 'Tendenzen' wurde in der Rechts- und Verwaltungspraxis mit einer unehrenhaften Entlassung gleichgesetzt und war damit die Basis dafür, Homosexuellen systematisch den Empfang von Sozialleistungen zu verweigern. Damit förderten Politiker und Behörden Geschlechterideen, die in der Institution der heterosexuellen Nuklearfamilie mit dem männlichen 'breadwinner' an der Spitze die einzige Möglichkeit (re)produktiver Staatsbildung sahen.

Canaday führt jedoch auch auf, wie sehr diese Kategorien einem Wandel unterworfen waren. Während nach dem Zweiten Weltkrieg Forschungsergebnisse wie der Kinsey-Report dazu beitrugen, dass eindeutige medizinische oder psychologische Definitionen von Homosexualität immer schwieriger erschienen, wurde 'homosexuell' eine bürokratische Kategorie, die vor allem Immigrationsbeamte nutzten. Der McCarran-Walter Act von 1952 fasste homosexuell als eine 'psychopathische Persönlichkeitsstörung' – eine Formulierung, die von Gerichten später so bewertet wurde: "not as a medical or psychatric formulation, but as a legal-term-of-art designed to preclude the admission of homosexual aliens to the United States" (S. 242). In ihrer Anwendung folgten Immigrationsbeamte einer relativ einfachen binären Festlegung: "While homosexual sex made one homosexual, heterosexual sex did not prove heterosexuality." (S. 216) Das Konzept selbst passte in die Zeit der 'lavender scare', während derer Politiker um Senator McCarthy versuchten, Homosexuelle als Sicherheitsrisiko für die amerikanische Nation zu definieren und zu verfolgen. Dabei entstand ein antagonistisches Bild, in dem ein heterosexuell-'normaler' Staatsbürger und Homosexuelle/r nur als Antipoden denkbar schienen. Anhand des Falls des schweizerischen Einwanderers George Fleuti (S. 235-241) zeigt Margot Canaday jedoch auch die manchmal absurden Grenzen dieser Logik. Nachdem Fleuti unter dem Verdacht homosexueller Neigungen Anfang der 1960er-Jahre ausgewiesen werden sollte, stellten seine Anwälte die Logik der 'lavender scare' auf den Kopf.1 Sie versuchten nachzuweisen, dass Fleuti ein guter Staatsbürger sei und zogen den logischen Schluss, ihr Mandant könnte gar nicht homosexuell sein – eine Argumentation, der schließlich auch die Gerichte folgten. An dieser eindeutigen Logik von Geschlechtlichkeit macht Canaday gleichzeitig einen ihrer zentralsten Punkte fest. Erst die staatliche (Ver-)Schärfung des analytischen Benennens und Erkennens von Homosexualität erschuf das Konzept selbst in seiner gesamtgesellschaftlichen Wirkmächtigkeit. Erst dadurch wurde auch die Kategorie "homosexuell" ein Bezugspunkt nicht nur bürokratischer, sondern auch persönlicher (Selbst)Identifikation. Anders formuliert: staatliche Klassifizierung und Identifizierung von Homosexualität trugen maßgeblich dazu bei, wie sich homosexuelle 'Identität' in den USA im 20. Jahrhundert konstituierte. Die Fremd- und Eigenwahrnehmung gingen hierbei Hand in Hand.

Die Autorin formuliert diese These sogar noch etwas zugespitzter. Innerhalb dieses binären Bezugsrahmens sieht sie vor allem die Bundesbehörden als treibende Kraft: "It is precisely because citizenship is a national category that the federal government (rather than states or localities) has played the predominant role in defining homosexual personhood."(S. 255) Dies ist freilich ein derart starker argumentativer Anspruch, wie er sich innerhalb einer einzigen historischen Studie nur schwerlich in dieser Allgemeinheit erheben lässt. Letztendlich kann es nicht überraschen, dass die Autorin Homosexualität zur 'nationalen' Kategorie erhebt, wenn sie sich Behörden und Beamte ansieht, die vor allem auf 'nationaler' Ebene tätig waren. Damit ist dieser Befund nicht nur ein wenig redundant und zirkulär, hier zeigt sich auch eine Blindstelle, die Canadays Forschungsperspektive innewohnt. Dieser Blick auf den Staat übersieht die Vielfältigkeit von Handlungsräumen und Motivationen, innerhalb derer sich Akteure im bürokratisch-staatlichen Feld bewegen. Die Annahme, Beamte seien bloße indifferente Erfüllungsgehilfen, wie sie Max Weber beschrieben hat, die keine Bezugs- und Motivationspunkte jenseits der nationalstaatlichen Arena besäßen, greift erheblich zu kurz. In einer Arbeit, die so sehr von der dichten Analyse von Einzelfällen lebt, ist diese Gleichsetzung von Akteurs- und Staatsebene (zu) stark komplexitätsreduzierend – so fruchtbar und produktiv sie für das Gesamtargument auch sein mag.2

Diese kritischen Anmerkungen sollen jedoch den positiven Gesamteindruck nicht schmälern. Obwohl es einige Fragen offen lässt, trägt Margot Canadays sehr gut lesbares Buch wesentlich zum Verständnis von Staats- und Identitätsbildungsprozessen in den USA bei. Nicht zuletzt ihre persönlichen Motivationen, von denen sie im abschließenden Kapitel des Buchs schreibt ("the injustices that have compelled me to write [this book]", S. 264), machen ihre Arbeit zu einem wertvollen Buch zur Geschichte des Verhältnisses von Sexualität und Staat sowie zu einem wichtigen Beitrag zu den derzeitigen Debatten um Homosexualität und Bürgerrechte in den USA.

Anmerkungen:
1 David K. Johnson, The lavender scare: the Cold War persecution of gays and lesbians in the federal government, Chicago, IL 2004.
2 Zu den vielfältigen Handlungsfeldern bürokratischer Akteure bspw. Michael Herzfeld, The social production of indifference: exploring the symbolic roots of Western bureaucracy, Chicago, IL 1993.

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