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Titel
Entwickelt und fixiert. Zur Unternehmens- und Technikgeschichte der deutschen Fotoindustrie, dargestellt am Beispiel der Agfa AG Leverkusen und des VEB Filmfabrik Wolfen (1945-1995)


Autor(en)
Fengler, Silke
Reihe
Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte 18
Erschienen
Anzahl Seiten
311 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manuel Schramm, Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz

Der Titel von Silke Fenglers an der RWTH Aachen entstandener Dissertationsschrift ist bewusst doppeldeutig gewählt: Er zielt nicht nur auf fotografische Entwicklung und Fixierung, sondern spielt auch auf die verwendeten evolutionsökonomischen Theoriebausteine an, weil Fengler die Entwicklung der beiden großen Fotounternehmen der Bundesrepublik und der DDR, Agfa und Filmfabrik Wolfen, als pfadabhängig beschreibt. Die Arbeit zielt somit nicht nur auf einen Vergleich der deutsch-deutschen Fotoindustrie, sondern will auch einen Beitrag zur aktuellen konzeptionellen Diskussion in der Technik- und Unternehmensgeschichte leisten.

Hierbei stützt sich Fengler auf das evolutionsökonomische Modell der Pfadabhängigkeit. Darunter versteht sie in Anlehnung an die Begrifflichkeit Thomas Kuhns das Festhalten an einem technologischen Paradigma. Dieses Paradigma bildet hier die analoge fotochemische Bildaufzeichnung, die später durch die digitale Fotografie abgelöst wurde. Die Arbeit ist in drei wesentliche Teile gegliedert: Der erste Teil schildert die Entwicklung von Agfa bis 1945, der zweite deckt die Phase zwischen 1945 und 1964 ab, und der dritte widmet sich der Zeit zwischen 1964 und den 1980er-Jahren. Der Einschnitt 1964 ist sinnvoll gewählt, weil zu diesem Zeitpunkt die nach dem Krieg noch weiter bestehende Kooperation zwischen Agfa und der Filmfabrik Wolfen eingestellt wurde.

Was sind die wesentlichen Ergebnisse? Die Zugehörigkeit der Agfa zur IG Farben bis 1945 führte zu einer Arbeitsteilung zwischen den Werken Leverkusen, Wolfen und München. Die Unternehmensstrategie war darauf ausgerichtet, vom Fotopapier bis zur Kamera alles aus einer Hand zu liefern. Der IG-spezifische Forschungsstil brachte zunächst durchaus Vorteile. Nach dem Krieg bestand die Kooperation zwischen den nunmehr rechtlich selbständigen IG-Farben-Nachfolgern Agfa Leverkusen und Filmfabrik Wolfen zunächst weiter, bis sie gegen Ende der 1950er-Jahre von der DDR-Regierung unterbrochen wurde. Das hatte für die Filmfabrik Wolfen negativere Folgen als für Agfa, da der ostdeutsche Betrieb den Ausfall der westdeutschen Lieferungen kaum kompensieren konnte. Technisch änderte sich nach dem Krieg nicht sehr viel, der Wandel war inkrementeller Natur. Wirtschaftlich war diese Zeit für beide Hersteller durchaus erfolgreich, jedenfalls gemessen an den nach Wirtschaftssystem unterschiedlichen Maßstäben.

Die Probleme begannen in den 1960er-Jahren, als zunächst die Kameraproduktion des Agfa-Camerawerks München durch die japanische Konkurrenz unter Druck geriet. In den 1970er-Jahren zeigte sich für Agfa die Notwendigkeit, die Farbfilme Kodak-kompatibel zu machen, und in den 1980er-Jahren begann der Aufstieg der digitalen Fotografie. Während die Kameraproduktion 1982 aufgegeben wurde, konnte die Agfa die zweite Herausforderung, die Kompatibilisierung des Farbfilmsortiments, mit Hilfe massiver Investitionen der Konzernmutter Bayer meistern. Der Einstieg in die lange unterschätzte digitale Fotografie misslang jedoch. Noch schlechter sah die Bilanz im Osten Deutschlands aus, wo die Kompatibilisierung bis 1990 nicht erreicht werden konnte. Die Privatisierung der Filmfabrik Wolfen scheiterte in den 1990er-Jahren, während Agfa noch ein paar Jahre weiter bestand, bis das Unternehmen 2005 Konkurs anmelden musste.

Insgesamt ist die Studie sorgfältig recherchiert, angesichts der Komplexität der Sachverhalte gut lesbar und bringt wichtige Einsichten. Ob das theoretische Konzept überzeugt, ist eine andere Frage. Vielfach wird "Pfadabhängigkeit" als Synonym für "Kontinuität" verwendet. Die Diskussion über dieses umstrittene Konzept wird nur teilweise angesprochen.1 Streng genommen müssten für die Existenz von Pfadabhängigkeit steigende Skalenerträge nachgewiesen werden2, was aber nicht passiert. Was dagegen klar hervortritt, ist der Einfluss kollektiver Mentalitäten wie der Überheblichkeit ost- wie westdeutscher Ingenieure und Techniker gegenüber Konkurrenten aus Japan oder der Sowjetunion, wodurch Innovationsprozesse zumindest verzögert wurden. Auch wenn man gegenüber dem theoretischen Rahmen Vorbehalte hat, bleibt das Buch also allemal lesenswert.

Anmerkungen:
1 Vgl. Jürgen Beyer, Pfadabhängigkeit ist nicht gleich Pfadabhängigkeit! Wider den impliziten Konservatismus eines gängigen Konzepts, in: Zeitschrift für Soziologie 34 (2005), S. 5-21.
2 W. Brian Arthur, Increasing Returns and Path Dependence in the Economy, Ann Arbor 1994.

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