M.R. Antognazza: Leibniz. An Intellectual Biography

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Titel
Leibniz. An Intellectual Biography


Autor(en)
Antognazza, Maria Rosa
Erschienen
Anzahl Seiten
623 S.
Preis
ca. € 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Schröder, History Department, University College London

Der Zugang zum philosophischen Werk von Gottfried Wilhelm Leibniz ist äußerst schwierig und sperrig, nicht nur wegen der Fülle der verschiedenen, ja vermeintlich disparaten Sujets, mit denen der Philosoph sich beschäftigte, sondern auch wegen der Werkgeschichte und Editionslage. Kaum mehr als zehn Prozent seiner Schriften wurden zu Leibniz' Lebzeiten veröffentlicht. Maria Rosa Antognazza leistet mit ihrer intellektuellen Biographie zu Leibniz einen bedeutenden Beitrag, den man wohl vor allem in einer souveränen und bemerkenswert kompetenten Synthese der kaum noch überschaubaren Forschung zu sehen haben wird. Das heißt aber nicht, dass in dieser Studie nicht auch neue Aspekte ausgeleuchtet und neue Thesen präsentiert werden.

Der Aufbau des Buches folgt den verschiedenen Lebensabschnitten und -stationen von Leibniz und gliedert sich in neun Kapitel, eine Gliederung, die man freilich auch anders hätte vornehmen können, die aber durchaus einsichtig und vertretbar ist. Eingebettet in diese biographisch dominierte Gliederung wird zugleich eine Analyse des weitschweifigen Werkes und der unzähligen Projekte vorgenommen. Dieses Vorgehen ist zuweilen problematisch und die Verbindung biographischer Details mit der Analyse des komplexen philosophischen Werkes ist nicht immer überzeugend, da der notwendig eher deskriptive biographische Aspekt die kritische Auseinandersetzung mit dem Werk zuweilen dominiert. Besonders deutlich wird dies bei Leibniz' politischen und juristischen Ideen und Schriften. Hier hätte man sich eine substantiellere Beschäftigung mit den vielfältigen Streit- und Denkschriften des so unglaublich produktiven Leibniz gewünscht. Die wenigen Seiten, auf denen zum Beispiel die im Werke Leibniz' äußerst wichtigen Polemiken Caesarinus Fürstenerius und Mars Christianissmus abgehandelt werden (vergleiche besonders S. 205f. bzw. S. 223f.), bleiben deutlich hinter den wichtigen Untersuchungen zu Leibniz' politischer Philosophie von Patrick Riley oder André Robinet zurück.1 Die Geschichte der politischen Ideen stellt nur einen marginalen Aspekt dieser Studie dar, was angesichts der Bedeutung, die dieser Bereich für Leibniz' Selbstverständnis und sein philosophisches und reformerisches Anliegen hatte, nicht zu rechtfertigen ist.

Insofern ist die gleichsam programmatische Erklärung in der Einleitung nicht ganz eingelöst und wohl in ihrem letzten Teil auch nicht zutreffend. Dort heißt es: „Through returning texts to their intellectual and historical contexts (...) considerable progress has been made in recent decades in dispelling misconceptions, in redressing imbalances, and in working out the many ways in which the various aspects of Leibniz's thought fit and in fact evolved together. Against the backdrop of this work, the full unity of Leibniz's seemingly heterogeneous activities has begun to become apparent for the first time“ (S. 5).

Die Informations- und Detailfülle, die Maria Rosa Antognazza bis zum Ende ihres Buches präsentiert, wird aber insgesamt erfolgreich mit einer analytisch-kritischen Auseinandersetzung mit Leibniz' Werk genutzt. So werden zum Beispiel die Korrespondenzen mit Arnauld oder Malebranche stringent und überzeugend zur Analyse der physikalischen und metaphysischen Studien und Gedankengänge Leibniz' ausgewertet. Dieser Aspekt allein war über Jahrzehnte fruchtbarer Gegenstand der Forschung. Gerade hinsichtlich des so komplizierten und äußerst komplexen Werkes von Leibniz sollte man den Versuch begrüßen, nun im durchaus klassischen Ansatz einer intellektuellen Biographie einmal eine Synthese zu präsentieren. Hier wird kompetent und umsichtig ein intellektuelles Panorama entwickelt, das dieses Buch nicht nur für die Spezialisten der Leibnizforschung zu einer gewinnbringenden und interessanten Lektüre macht. Gelegentliche Irrtümer im Detail vermögen diesen positiven Eindruck nicht zu trüben. Aber gerade weil die Wichtigkeit der Kontextualisierung in dieser Studie von der Autorin ausdrücklich betont wird, hätte zuweilen eben doch genauer argumentiert werden müssen. Inwiefern und in welchem Umfang zum Beispiel der Herzog Johann Friedrich ein „right to impose his new faith on his subjects“ (S. 201) nach dem Westfälischen Frieden von 1648 besessen habe, hätte eingehender zur Diskussion gestellt werden müssen. Auch wenn der zum Katholizismus konvertierte Herzog Johann Friedrich „did not exercise his right“ (S. 201), so ist dies doch ein so wichtiger Punkt, dass eine genauere Erörterung angebracht gewesen wäre. Angesichts der etwas lapidaren Formulierung hat man den Eindruck, es gelte immer noch völlig uneingeschränkt die Regelung des Augsburger Religionsfriedens von 1555, die ja so prägnant in dem cuius regio eius religio zusammengefasst wird.

Völlig zu Recht wird in dieser Arbeit insgesamt immer wieder auf die Bedeutung der Theologie und der Konfessionsfragen abgehoben. Diese Thematik zieht sich in der Tat wie ein roter Faden durch das Werk von Leibniz. Hier wäre dann auch ein weiterer Ansatzpunkt gewesen, Leibniz' Moral- und Religionsphilosophie ausführlicher im Zusammenhang mit seinen politischen Memoranda und Plänen zu diskutieren. Maria Rosa Antognazzas hauptsächliches Forschungsinteresse liegt in der Religionsphilosophie und bildet auch in dieser Studie den Schwerpunkt. Mit diesem Ansatz wird man Leibniz als Philosoph und fürstlicher Ratgeber durchaus gerecht. Besonders zu begrüßen ist die grundsätzliche These, die in dieser Studie nicht nur postuliert, sondern auch minutiös belegt wird, dass Leibniz einen umfangreichen und komplexen Plan bei all seinen Projekten verfolgt habe, der all die so gegensätzlichen Interessen und Tätigkeiten auf eine besondere Weise zusammenführe. Und in der Tat gelingt es der Autorin nachzuweisen, dass Leibniz' Vorschläge und Memoranda zum Bergbau im Harz über die Reformvorschläge für die Finanzen und das Militärwesen bis zu den mathematischen, physikalischen und optischen Studien durchaus schlüssig über seine juristischen und moralischen Überlegungen in seinen theologischen und metaphysischen Gedankengebäuden zusammenlaufen und aufgehoben werden. So formuliert Maria Rosa Antognazza prägnant, dass die „deeper dimension consisted of his all-embracing encyclopeadic plan of reform and advancement of the sciences for the promotion of the common good – a plan which he considered a celebration of the glory of God as expressed in the universal harmony governing His creation“ (S. 233).

Der letzte grosse Universalgelehrte, als der Leibniz ja häufig apostrophiert wird, gewinnt in dieser bedeutenden Studie an Kontur und der Zugang zu seinem komplexen Werk wird anhand dieser Zuordnungen erheblich erleichtert. Inwiefern dabei seinem Leben und Werk eine Kohärenz eingeschrieben wird, die es vielleicht in dieser Stringenz nie gegeben hat, bleibt offen, tut der hier von Maria Rosa Antognazza nachgezeichneten intellektuellen Biographie dieses großen Philosophen aber keinen Abbruch.

Anmerkung:
1 André Robinet, G.W. Leibniz. Le meilleur des mondes par la balance de l'Europe, Paris 1994; Patrick Riley, Leibniz' universal Jurisprudence. Justice as the Charity of the Wise, Cambridge, Mass. 1996.

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