A. Schober: Ironie, Montage, Verfremdung

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Titel
Ironie, Montage, Verfremdung. Ästhetische Taktiken und die politische Gestalt der Demokratie


Autor(en)
Schober, Anna
Erschienen
München 2009: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
403 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sarah Skupin, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld

Auf welche Weise verbinden sich Kunstpraktiken und ästhetisches
Handeln allgemein mit den Transformationen politischer Ordnungen? Die Monographie diskutiert die Traditionsbildung und historische Entwicklung der Avantgarden aus kunstwissenschaftlicher Perspektive. Den Ausgangspunkt bilden dabei die Anfänge sozialer Bewegungen, die Schober in den Frauenaufständen im Zuge der Französischen Revolution identifiziert.1 Kollektivität und Inszenierung im Bewusstsein für das eigene Aufbegehren wurden fortan als Modi für politische Partizipation erkannt. Zu einer Änderung der Wahrnehmung und einer neuartigen „Konflikthaftigkeit“ unseres „In-der-Welt-Seins“ (S. 89) trugen staatspolitische Ereignisse und Programme der Kunst und Literatur gleichermaßen bei.

Die Arbeit ist in vier Hauptkapitel gegliedert. Das erste gibt einen historischen und geographischen Überblick. Die Fallbeispiele lassen sich bis in die 1990er-Jahre datieren und reichen von Asien bis in die westliche Welt. Im zweiten Kapitel führt Schober in den ideen- und begriffsgeschichtlichen Bezugsrahmen ein. Sie berücksichtigt bildtheoretische, erkenntnis- wie auch sprachphilosophische Theorien, darunter etwa die Paul de Mans, Roland Barthes', Walter Benjamins und Jacques Derridas, zudem werden auch die politische Theorie Hannah Arendts und die Kritische Theorie der Frankfurter Schule herangezogen. Das dritte Kapitel behandelt die ästhetischen Verfahren. Schober zeichnet hier zum einen die Bedeutung von Ironie, Montage und Verfremdung für politische Handlungen nach, andererseits legt sie die politischen Einflüsse unterschiedlicher avantgardistischer Bewegungen des 20. Jahrhunderts frei. Sie beanspruchten die jeweiligen ästhetisch-politischen Akte mit ihren verschiedenen Interpretationen für sich, veränderten sie und führten sie fort. Als Beispiele dienen das Wiener Expanded Cinema Valie Exports und Peter Weibels sowie die Vertreter der serbischen Opposition in den 1990er-Jahren. Schober will Verbindungslinien quer durch die Programme zeigen: etwa zwischen Romantik, Dada und Neuer Objektivität. Milieu-übergreifende Studien markieren dabei immer wieder Parallelen zwischen den Avantgarde-Bewegungen der 1920er- und 1960er-Jahre und ihrer Neu-Interpretation, etwa im ehemaligen Jugoslawien und in Serbien unter Milošević. Bei diesen bemerkenswerten Querbezügen – bebildert und mit Interviewmaterial belegt – ist für Schober als Prämisse und Ergebnis ihrer Studie zugleich maßgeblich, dass Funktion und Wirkungsweise jeder einzelnen Bewegung unbestimmt bleiben. In ihrem letzten Kapitel systematisiert Schober ihre konzeptionelle Alternative zur Subversion, wie sie von den klassischen Avantgarden forciert wurde. Sie will Fremdbezeichnungen aus der überkommenen Avantgarde – etwa „gestrig“, „konformistisch“ oder „bürgerlich-ideologisch“ (S. 27) – auflösen und durch ein offenes Konzept ersetzen.

Ausgangspunkt ist die Frage, wie überhaupt die politische Effektivität ästhetischer Taktiken unterstellt werden konnte und wie sie im jeweiligen Fall gedeutet wurde. So hatte etwa der französische Cineast Serge Daney in den 1980er-Jahren die Formensprache eines Films mit der „Gewalt des Formalen“ beschrieben. Der russische Konstruktivismus deutete die Strategie der Verfremdung als „revolutionäre Praxis“ (S. 22). Verfahren der Verschleierung oder Entfremdung, aber auch Gesten der Zurückweisung und Abgrenzung, standen dabei im Dienste der politischen Emanzipation. In Serbien wurden sie hingegen in den 1990er-Jahren zum Zweck der Dekonstruktion eingesetzt: Skulpturen auf öffentlichen Plätzen verband man die Augen, um die Anerkennung ihrer historischen Autorität zu sabotieren und zu reflektieren.

Schober beschreibt, wie die Kunstaktionen in ihrem Selbstverständnis und ihrer Selbstdarstellung dazu neigten, ihr eigenes politisches Potenzial zu untergraben. Sie verortet den Ursprung dynamisch-politischer Aktion in der Romantik, weil sie die eigene Reflexion mitliefere. Unterstützung erfährt die Autonomie des ästhetischen Urteils in der romantischen Philosophie durch Kant. In ihrem Begreifen von Welt seien sich das ästhetische und das politische Urteil strukturell durchaus ähnlich. Walter Benjamin hingegen lehnt ein Konzept von Ästhetik als „Symptom wie auch als Agent von Herrschaft“ ab,2 ebenso wie er das andere Extrem ihrer völligen Autonomie zurückweist. Er konstatiert „Politisierung als neue, begründende Praxis […], für die keine anderen Beurteilungskriterien gelten können als solche, die durch diese Praxis selbst etabliert werden“ (S. 118). Über die gegenseitige Rezeption und Kritik Lukacs’, Benjamins und Adornos diskutiert Schober die Dialektik der Kunstautonomie: Sie eigne sich für das Politische, widersetze sich ihm aber nach Adorno normativ. Daneben behaupte sich gleichberechtigt Benjamins Begriff der Massenkultur, der von „späteren Rezeptionsschulen […] aufgegriffen und in Richtung eines differenzierteren Verständnisses des je aktuellen kontingenten Sich-Ergebens von ästhetisch-politischer Hegemonie weiter ausgebaut“ (S. 136) wurde.

Schober fragt weiter, wie ästhetisch-politische Positionierungen ausgehandelt wurden. Wie sieht die zum Teil zwiespältige Beteiligung des Ästhetischen an „politische[n] Alternative[n] zum System“ (S. 240) aus? Hierfür nimmt sie Bild-Figuren in den Blick, zum Beispiel die des pathetischen Arbeiterhelden. Er wurde von Kommunisten und Nationalsozialisten gleichermaßen beansprucht und genutzt. Schober zeigt, wie ein „nationalistisches 'Bewohnen' von Figuren oder Begriffen“ (S. 240) eines sowohl auf linker wie auch rechter Seite populären Motivs mit dazu beigetragen hat, die politische Mitte zu schwächen. Denn mithilfe der Bezugsfigur, die die gespaltenen Klassen vereinen sollte, integrierte der „Kollektivkörper“ die gegensätzlichen Ideologien: Als „klassenfeindlich“ (S. 240) galt, wer abseits von ihm war. Am Beispiel der Politikerverehrungen in Serbien markiert Schober den Unterschied zwischen staatlich verordnetem Personenkult im Titoismus und spontanen Verehrungen Miloševićs. Sie stellt die Fotoserien Goranka Matićs und Dragan Petrovićs einander gegenüber, die eine „Kluft […] dokumentieren: jene zwischen dem angeordneten Diskurs der Macht einerseits [im Titoismus] und den eigentlichen Erfahrungen der Menschen [unter Milošević] andererseits“ (S. 300).

Abschließend diskutiert die Autorin Theorien Michel Foucaults und Arendts sowie die Thesen Richard Rortys, Michael Hardts und Toni Negris, die den Begriff der „Multitude“ prägten – ein Netzwerk, das sich als Vielheit singulärer Differenzen (im Unterschied zur Identität des Volkes und zur Uniformität der Masse) mobilisieren kann, um die globale Macht des Empires zu durchbrechen. Dieser Begriff aus der Auseinandersetzung mit der Anti-Globalisierungs-Bewegung gehe anders als Schobers vorliegendes Angebot mit dem traditionellen, binären Deutungsmodell einher, in diesem Fall von „Empire“ und „Multitude“.3 Schober hingegen betont die Offenheit ihres Ansatzes dort, wo das Zusammenwirken von ästhetischem und politischem Handeln nicht zugunsten einer Seite überbetont werde. In der Spannung zwischen Kunst und Politik und ihrem Bedingungsverhältnis sei das „vielstimmige“ und öffentliche „Ereignis“ (S. 359) unkontrollierbar, deshalb besonders produktiv und sollte auch hermeneutisch offen bleiben.

Dieses offene Modell bleibt aber bis zum Schluss vage. Fraglich ist zum Beispiel, wie sich ein „Sich-Ergeben von gesellschaftlichem Zusammenhalt“ (S. 345) operationalisieren lässt. In einem Forschungszusammenhang von Ästhetik und Politik wären Begriffe des Politischen oder der Politik genauer zu differenzieren. Das Politische wird nicht immer klar im Unterschied zu etwas, das Schober „explizit politisch“ nennt, zum Beispiel dort, wo „pornografische und obszöne Zitate [im Wiener Aktionismus] verwendet“ (S. 272) werden. Zuweilen mischen sich deskriptive, wirkungsästhetische Begriffe mit jenen Termini, die für Schobers Fragezusammenhang von Demokratie wesentlich wären: „Schauspiel der Politik“, „Bühne der Politik“ (S. 71) und „Selbstkultur“ (S. 303) verundeutlichen die Wesensmerkmale und die Funktionsweise von Demokratie. Worauf sich die Bewegungen verständigten – in diesen Fällen auf Subversion – hat Schober eindrücklich gezeigt. Doch die Ergebnisse ihrer ästhetischen Analyse bleiben an zentralen Stellen sprachlich unscharf. Die Rezeption von Schobers mitunter wichtigstem Theoretiker Benjamin berge so zum Beispiel die Möglichkeit, „eine Brücke in Richtung der Analyse einer Verstrickung von Bildwelten in ein Sich-Formieren von politischer Hegemonie zu schlagen“ (S. 125). Bildästhetisch-deskriptive Beschreibungen verschleiern den Diskurs: „Dagegen betont der in diesem Buch entwickelte Begriff des Ereignisses eher das Entstehen von Macht über den unvorhersehbaren Zusammenprall von Bildern, Worten, Erinnerungen und Positionen“ (S. 345).

Hervorzuheben bleibt Schobers Angebot einer differenzierten Bestimmung der tradierten Subversion. Es bietet viele Anregungen für die Frage, wie sich Bewegungen mit ihren Vorentscheidungen tendenziell entpolitisieren. Was fehlt, ist ein präzises methodisches Instrumentarium. Mit ihm könnte man genauer unterscheiden, wie das Ästhetische interveniert, ohne sich explizit einzumischen.

Anmerkungen:
1 Vgl. zu den „Frauen von Versaille“ Susanne Petersen, Marktweiber und Amazonen. Frauen der Französischen Revolution. Dokumente, Kommentare, Bilder, Köln 1987, S. 179.
2 Peter Fenves, „Is there an answer to the aestheticizing of the political?“, in: Andrew Benjamin (Hrsg.), Walter Benjamin and Art, London 2005, S. 60-72.
3 Michael Hardt / Antonio Negri, Multitude. Krieg und Demokratie im Empire, Frankfurt am Main 2004, S. 9-11.

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