Titel
No integration?!. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa


Herausgeber
Sabine, Hess; Binder, Jana; Moser, Johannes
Anzahl Seiten
246 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Paul Scheibelhofer, Gender Studies, Central European University, Budapest

Die Idee der ethnisch homogenen Nation ist in Europa aus der Mode gekommen. SprecherInnen unterschiedlichster ideologischer Lager erkennen heute die Anwesenheit von MigrantInnen an und ziehen ihre Schlüsse daraus. Die Chiffre der „Integration“ ist in diesem Zusammenhang zu einem Schlüsselbegriff für die Artikulation von Forderungen und Zukunftsutopien, aber auch von Schreckenszenarien und politischen Maßnahmen geworden. Das Buch „No integration?!“ versteht sich als kulturwissenschaftliche Intervention in diese Diskussion, wobei die Negation im Titel als programmatische Kritik gelesen werden soll: als Kritik an der Art, wie diese Diskussion aktuell geführt wird, an den ihr zugrundeliegenden Annahmen und Selbstverständnissen, sowie an den sich daraus speisenden Herrschaftsverhältnissen. Die Mehrzahl der AutorInnen ist dabei in der deutschen kritischen Migrationsforschungsszene nicht unbekannt, und LeserInnen, die etwa die Arbeiten rund um die Forschungsgruppe Transit Migration1 oder die Gruppe Kanak Attack verfolgen, werden nicht nur personelle, sondern auch inhaltliche Kontinuitäten ausmachen können.

In einem der zwei einführenden Kapitel umreißen die MitherausgeberInnen Sabine Hess und Johannes Moser das Terrain der aktuellen Integrationsdebatten kritisch und loten Alternativen aus. Diese Debatte, so die AutorInnen, sei von einem grundsätzlichen „methodologischen Nationalismus“ geprägt, der Gesellschaft als von den Grenzen des Nationalstaats umfasste Entität fasst, deren Ordnung durch die Präsenz von MigrantInnen gleichsam gestört wurde und durch Integrationsmaßnahmen wieder hergestellt werden muss. Fragen nach der sozialen Produktion von Differenz, Konflikt und Ausbeutung bleiben in dieser sozialtechnischen Sichtweise genauso ausgespart, wie die Realitäten transnationaler Lebensweisen. Den Ausweg aus dieser dominanten, auch von vielen MigrationsforscherInnen eingenommenen, Sichtweise, sehen die AutorInnen in der Verschiebung der Diskussion durch die Perspektive der Migration. Kritische wissenschaftliche und politische Auseinandersetzungen müssten demnach das Denken in nationalen Containern verlassen und die real stattfindende Transnationalisierung von Alltagspraktiken und Zugehörigkeiten sowie politischer und ökonomischer Kräfteverhältnisse anerkennen und in ihre Analysen einbeziehen.

Die folgenden drei Buchkapitel setzen sich, aus durchaus unterschiedlichen Perspektiven, mit „Krisen des Multikulturalismus“ auseinander. Ghassan Hage beschreibt die Probleme, die der australische Multikulturalismus hat, muslimische MigrantInnen einem nationalen „Ganzen“ unterzuordnen. Frank-Olaf Radtke nähert sich der Thematik mit systemtheoretischem Vokabular und verdeutlicht anhand einer kritischen Diskussion prominenter Multikulturalismustheoretiker die kulturalisierenden Implikationen ihrer Überlegungen zu Individuum und Gemeinschaft. Radtke verweist damit auf die wichtige Kritik, dass dominanter Multikulturalismus zur Essenzialisierung kultureller Gruppen und Grenzen beiträgt. Doch sein Beitrag zeigt auch die Grenzen einer Kritik, die rein analytisch vorgeht, den Multikulturalismus also nicht als gesellschaftliches Verhältnis fasst und damit dessen stets umkämpften Charakter außer Acht lässt. So eine relationale Sicht klingt aber schließlich im Kapitel von Kien Nghi Ha an, in dem er sich dem kolonialen Erbe deutscher Migrationspolitik widmet. Der multikulturellen Idee kann Ha dabei durchaus Positives abgewinnen – wurde sie doch als Kritik an einem antiquierten Nationenverständnis formuliert. Doch mit dem Postulat der Anerkennung kultureller Andersartigkeit ging nicht nur erneute Festschreibung von Differenz einher, sondern etablierte sich auch ein utilitaristisches Interesse an vermarktbarer „Fremdheit“. In einem historischen Abriss kontextualisiert Ha dieses Verhältnis als Teil einer (Kolonial-)Geschichte der Konfrontation mit (dem) Fremden. Besonders deutlich werde dieses koloniale „Erbe“ in aktuellen Diskussionen über Gefahren durch muslimische MigrantInnen. Vor diesem Hintergrund kritisiert Ha tief verwurzelte institutionelle Rassismen in Deutschland, schließt sein Kapitel jedoch mit Verweis auf das emanzipatorische Potential der nichtsdestotrotz stattfindenden Interkulturalisierung und Transnationalisierung der Lebenszusammenhänge von immer mehr Menschen ab.

Die darauf folgenden Kapitel fokussieren expliziter auf Integrationsdiskussionen in der BRD. In einem kurzen Beitrag bespricht Serhat Karakayali den Integrationsdiskurs als Form der (im foucaultschen Sinn verstandenen) Regierung von (realer oder angenommener) Differenz und verweist auf die erstaunliche Bandbreite politischer Positionen, die unter dem Begriff der „Integration“ aktuell vertreten werden. Diese Bandbreite konkretisiert Stephan Lanz in seinem Kapitel, in dem er politische Diskurse zur Einwanderungsstadt Berlin analysiert. Er macht dabei ein Nebeneinander zweier unterschiedlicher Integrationsdiskurse aus, die Fremdheit als Gefahr bzw. als Bereicherung einschätzen, sich zuletzt aber im Zuge des „neoliberal turn“ annäherten. Dies sei nicht zuletzt in der zentralen Rolle von Sprache und Bildung in Integrationsdiskursen abzulesen, da diese sowohl als Mittel der Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit als auch als Kontrollmaßnahme gefasst werden kann. An diese Ausführungen schließt wiederum das Kapitel von Birgit zur Nieden gut an, in dem sie eine kurze Geschichte des Spracherwerbs Deutsch in der BRD verfasst. Basierend auf interessanten Analysen von didaktischem Material und TV-Dokumentationen seit den 1970er-Jahren verdeutlicht sie, wie Deutschkurse, früher von MigrantInnengruppen gefordert und eigenständig organisiert, zu einem zentralen Aspekt repressiver staatlicher Integrationspolitik wurden.

Die zwei folgenden Kapitel erweitern den Fokus des Buches um eine sozialräumliche Perspektive. Klaus Ronneberger und Vassilis Tsianos kritisieren in ihrem Text die skandalisierende Rede von Ghettos und Parallelgesellschaften im Integrationsdiskurs. Diese werde nicht zuletzt von StadtsoziologInnen mitgetragen, wenn sie Quartiere nach „Integrationsfähigkeit“ beforschen und dort „ethnische Konflikte“ essentialisierend dokumentieren. Erol Yildiz’ Artikel schließt hier mit einem Plädoyer für ethnographische Studien an, um den Ghettodiskurs zu entkräften. Diese könnten die vielschichtigen räumlichen Bezüge und polyvalenten Identitätskonstruktionen von MigrantInnen zeigen wie auch das Widerstandspotential alltäglicher Praxen.

Der folgende, zwei Kapitel umfassende, Abschnitt fokussiert auf Aspekte des Anti-Islamismus als neuer Form des Rassismus. Ersteres Kapitel stellt als Dokumentation eines Podiumsgesprächs zwischen der Rassismustheoretikerin Manuela Bojadzijev und dem Islamwissenschaftler Werner Schiffauer eine gelungene Abwechslung im Textgenre dar. Unter dem sinnfälligen Titel „Es geht nicht um einen Dialog“ diskutieren die beiden über Islamkonferenzen als staatliche Befriedungsprojekte, Rassismus und die Leitkulturdebatte sowie die Rede von der Islamisierung der MigrantInnencommunities. Während die beiden DiskutantInnen sich in vielen Fragen einig sind, ist Schiffauers Kritik liberaler als Bojadzijevs, die sich näher den migrantischen Kämpfen verortet.

Die Frage der Frauenrechte stellt einen zentralen Topos in aktuellen Islam- und Integrationsdiskursen dar. Esra Erdem setzt sich kritisch mit dieser Konjunktur der „Frauenfrage“ auseinander, führte sie zuletzt doch zu zweifelhaften politischen Koalitionen und Forderungen in Europa. Der Umstand, dass Erdem es in dem Kapitel schafft, einen Bogen von feministischer Rechtstheorie bis zu feministisch-antirassistischem Aktivismus zu spannen, macht dieses Kapitel zu einem der lesenswertesten des Sammelbandes. Aktuelle Forderungen nach Verschärfung des Fremdenrechts zum Schutz muslimischer Migrantinnen fasst Erdem dabei als „Politik des Ressentiments“ und als Abkehr grundlegender feministischer Positionen. Die – leider etwas kurz ausgefallenen – Darstellungen zweier aktivistischer Ansätze, die feministische und antirassistische Forderungen als verschränkt erkennen, nutzt Erdem schließlich, um mögliche Alternativen aufzuzeigen.

Im letzten Abschnitt des Buches skizzieren Sandro Mezzadra und Regina Römhild in zwei Kapiteln „europäische Ausblicke“ und besprechen dabei unter anderem den expansiven und sich stets wandelnden Charakter des Projekts Europa, die Flexibilisierung der Grenzregime und Ausdifferenzierung von Bürgerschaftsrechten sowie schließlich die Rolle der Migration in der Kosmopolitisierung europäischer Gesellschaften. Die beiden Artikel nehmen dabei einen merkwürdigen Platz in dem Sammelband ein. Einerseits klingt in ihnen ein Gestus der VordenkerInnen von Gesellschaft an, der den vorhergehenden Texten fern liegt. Andererseits wird diese Perspektivenverschiebung konterkariert durch die Tatsache, dass die AutorInnen (vor allem Römhild) wiederum die „Perspektive der Migration“ einnehmen, um ihre Bestandsaufnahmen und Zukunftsvisionen zu entwickeln und sie gestehen dabei den widerspenstigen Praktiken der Migration eine zentrale gestaltende Rolle zu. So fügen sich die zwei Texte zwar nicht selbstverständlich in das Gesamtkonzept des Sammelbandes ein, bereichern aber dennoch (oder gerade deshalb) das Buch um einige relevante Gesichtspunkte.

Zusammenfassend kann das Buch als wichtiges und notwendiges Korrektiv zu dominanten Integrationsdiskursen eingeschätzt werden. Einige Texte hätten wohl von einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit internationalen Multikulturalismuskritiken2 profitiert. Insgesamt bietet der Sammelband aber eine vielschichtige Analyse der Problematiken des Integrationsbegriffs, wie er heute verhandelt wird. LeserInnen, die sich fragen, welche kritischen Kontrapunkte in diesem Kontext gesetzt werden können, werden hier bestimmt fündig.

Anmerkungen:
1 Vgl. Transit Migration (Hrsg.), Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas, Bielefeld 2007.
2 Vgl. etwa Himani Bannerji, The dark side of the nation. Essays on multiculturalism, nationalism and gender, Toronto 2000.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/