A. Zissos (Hrsg.): Valerius Flaccus' Argonautica, Book 1

Cover
Titel
Valerius Flaccus' Argonautica, Book 1. Edited with introduction, translation, and commentary


Herausgeber
Zissos, Andrew
Erschienen
Anzahl Seiten
LXX, 450 S.
Preis
£ 100,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Habermehl, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Die neue Renaissance der flavischen Dichtung zeigt viele Blüten. Auch zum dritten großen Epos jener Jahre liegen inzwischen repräsentative Editionen (vor allem von Courtney, Ehlers und Liberman) 1, einige Untersuchungen und nicht zuletzt eine stattliche Reihe größerer Kommentare vor – wobei manche Bücher der Argonautica des Valerius Flaccus den Ehrgeiz der Exegeten eher wecken als andere: Drei Kommentare gelten beispielsweise allein Buch 6. Mit jeweils vier Kommentaren zogen freilich Buch 1 und Buch 7 die meiste Aufmerksamkeit auf sich.2 Zissos, der sich bereits mit etlichen Aufsätzen als Flaccus-Kenner etabliert hat, verliert erstaunlich genug kein Wort darüber, warum er ungeachtet dreier Vorgänger allein in diesem Jahrzehnt (Spaltenstein, Kleywegt und Galli) erneut das Einleitungsbuch traktiert, und nicht etwa das vernachlässigte letzte. Allenfalls indirekt liefert er eine Begründung: „the opening book […] is among the most seminal, thematically complex, and intertextually dense of the poem“ (S. V). Dieser Punkt ist unstrittig. Messen lassen muss sich sein Vorhaben freilich an den Ergebnissen.

Als hilfreich (nicht nur für Neulinge in Sachen Valerius Flaccus) erweist sich die Einleitung. Nach Vorbemerkungen zur Person und Epoche des Autors geht Zissos auf den Argonautenmythos und seine poetischen Bearbeitungen seit Hesiod und Mimnermos ein, um in der Folge Valerius Flaccus’ Eigenheiten in der Behandlung des Mythos herauszustreichen. Komposition und Bau des Epos (gerade im Vergleich mit Apollonios’ Argonautica) kommen ebenso zur Sprache wie Valerius Flaccus’ literarische Vorbilder (vor allem Apollonios und Vergil), sein Erzählstil und seine alexandrinisch-barocke ‚Poetik‘ in Metrik, Sprache und Stil. Ein Blick auf die Überlieferungsgeschichte des Textes rundet das Ganze ab.

Auf der Basis der bestehenden Editionen hat Zissos einen eigenen Text samt Apparat erstellt, der Emendationen einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. S. V; hilfreich wäre übrigens eine Liste der Abweichungen von Courtney, Ehlers und Liberman); eigene Emendationen von Zissos finden sich keine.3 Eine willkommene Beigabe ist die Übersetzung, die gerade an schwierigen Stellen rasch Auskunft über das Textverständnis des Herausgebers gibt. Der Kommentar – um so viel gleich vorweg zu nehmen – besticht dank seiner hohen philologischen Qualität und zeigt sich den drei Vorgängern ebenbürtig und nicht selten überlegen. Dass die hierarchische Gliederung des Kommentars gelegentlich zu Redundanzen führt 4, lässt sich ebenso verschmerzen wie der kaum vermeidliche Umstand, dass manche Fragen, die der Text aufwirft, unbeantwortet bleiben.5

Lehrreiche Analysen finden sich auf jeder Seite, etwa zur Ekphrasis des bemalten Rumpfes der Argo (1,130–148). Die beiden Gemälde – Peleus’ Hochzeit mit Thetis und der Kampf der Lapithen und Kentauren (dessen kulturhistorische Dramatik Zissos in den Fußspuren Dumézils ebenso gut herausarbeitet wie das Vorbild Ovids) – spiegeln als Diptychon, auch in ihrem dynamischen Wechsel von ruhigen und wilden Szenen, nicht nur das Unheil der künftigen Verbindung von Jason und Medea – Zissos deutet sie zugleich überzeugend als Metaphern für Valerius’ eigenes poetisches Programm.

Der dramatische Passus von Helles Tod in den Wogen (1,288–293; er allein sollte genügen, um die alte Kritik an Valerius’ angeblich mangelndem poetischen Talent verstummen zu lassen) erfährt eine exquisite Exegese bis hin zu den virtuos eingesetzten metrischen Mitteln. Das Porträt des archetypischen Steuermanns Tiphys (1,481–483) wird auf mehreren Ebenen ausgeleuchtet. Und das grandiose Panoramagemälde des Seesturms (1,574–692) wird auf über 40 Seiten in allen Verästelungen analysiert. Den Anfang macht ein Exkurs zum maritimen Unwetter als epischem Glanzstück seit den Tagen der Odyssee (der lange Katalog einschlägiger Stellen ließe sich leicht über das Epos hinaus erweitern).6 Es geht aber auch um das Wesen der einzelnen (personifizierten) Winde und ihres Herrn Aeolus, um die im Text subtil eingesetzte Metaphorik des Pferderennens oder um das Schreckensbild des unbestatteten Ertrunkenen.

Selten wurden die Argonautica uns so engagiert nahe gebracht wie in dieser verdienstvollen Arbeit. Fehlen wird sie in keiner ernsthaften philologischen Bibliothek.

Anmerkungen:
1 Edward Courtney (Hrsg.), C. Valeri Flacci Argonauticon libri octo, Leipzig 1970; Widu-Wolfgang Ehlers (Hrsg.), Gai Valeri Flacci Setini Balbi Argonauticon libri octo, Stuttgart 1980; Gauthier Liberman (Hrsg.), Valerius Flaccus, Argonautiques, Paris 1997/2002.
2 Chronologisch geordnet: Harm M. Poortvliet, C. Valerius Flaccus, Argonautica, Book II, Amsterdam 1991; Annamaria Taliercio, C. Valerio Flacco, Argonautiche, libro VII, Roma 1992; Hubert Stadler, Valerius Flaccus, Argonautica VII, Hildesheim 1993; Henri Wijsman, Valerius Flaccus, Argonautica, Book V, Leiden 1996; Alessandro Perutelli, C. Valeri Flacii Argonauticon liber VII, Firenze 1997; Henri Wijsman, Valerius Flaccus, Argonautica, Book VI, Leiden 2000; Thomas Baier, Valerius Flaccus, Argonautica, Buch VI, München 2001; François Spaltenstein, Commentaire des Argonautica de Valérius Flaccus, Livres 1 et 2, Bruxelles 2002; François Spaltenstein, Commentaire des Argonautica de Valérius Flaccus, Livres 3, 4 et 5, Bruxelles 2004; Adrianus J. Kleywegt, Valerius Flaccus, Argonautica, Book I, Leiden 2005; François Spaltenstein, Commentaire des Argonautica de Valérius Flaccus, Livres 6, 7 et 8, Bruxelles 2005; Daniela Galli, Valerii Flacci Argonautica I, Berlin 2007.
3 Wie umsichtig Zissos textkritische Probleme diskutiert, belegen etwa seine Ausführungen S. 218f. zu den umstrittenen Versen 1,281–282.
4 Dass z.B. die Szene 1,130ff. klare Anleihen bei Ovids Metamorphosen (11,221–265) macht, lesen wir ebenso zweifach (S. 153f. u. 155) wie die Nachricht, auf welchen Meerestieren bevorzugt Nereiden durch die Wellen gleiten (S. 155 u. 156).
5 Ein kleines Beispiel aus der im Folgenden angeführten Ekphrasis: Warum pflügt ausgerechnet Galatea „erfreut“ (1,134 laetata) durch die Wogen? – Zwei Corrigenda: Bei der Beschreibung der Manuskripte heißt es wiederholt „Codex Sangallenis“ (S. LXVIf.; korrekt in der Liste der ‚Sigla‘ S. 2 „Sangallensis“). S. 10 im Apparat zu 1,95 umbras ist zu lesen „Sabellicus“.
6 Heranziehen ließen sich u.a. die Schilderungen antiker Romane (z.B. Petron, Sat. 114), die meist bewusst an die epische Tradition anknüpfen.

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