H. Thoß (Hrsg.): Europas Eiserner Vorhang

Cover
Titel
Europas Eiserner Vorhang. Die deutsch-deutsche Grenze im Kalten Krieg


Herausgeber
Thoß, Hendrik
Reihe
Chemnitzer Europastudien 9
Erschienen
Anzahl Seiten
274 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Siegfried Prokop, Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg

Der Sammelband enthält Beiträge einer Tagung zum Thema „Die innerdeutsche Grenze im Kalten Krieg“, die am 25. Januar 2007 von der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (HLZ) im Grenzmuseum Point Alpha, Rasdorf, durchgeführt wurde. Der Herausgeber Hendrik Thoß umreißt in einführenden Bemerkungen das Ziel des Bandes dahingehend, dass es um ein perspektivenreiches Bild eng miteinander verbundener Untersuchungsfelder zur Geschichte der deutsch-deutschen Grenze zwischen 1946 und 1989/90 gehe. Dabei würden zugleich vierzig Jahre deutscher und europäischer Geschichte berührt. Der Forschung sollen neue Impulse zur Auseinandersetzung mit einer Vielzahl einschlägiger, noch lange nicht erschöpfend thematisierter Fragestellungen eröffnet werden.

Reiner Pommerin umreißt mit seinem Aufsatz über Mauerbau und Mauerfall die historischen Rahmenbedingungen. Dabei wird verdeutlicht, dass der Mauerbau Ergebnis eines Kompromisses zwischen Moskau und Washington war. Die USA nahmen den Mauerbau hin, weil die Integrität West-Berlins gewährleistet blieb. Pommerin beleuchtet die eigentliche Rolle der viel zitierten Rede von John F. Kennedy am 26. Juni 1963 vor dem Schöneberger Rathaus: „Als Kennedy der versammelten Menge schließlich noch die Worte ‚Ich bin ein Berliner‘ zuruft, ist die passive Haltung der USA vom 13. August 1961 vergessen, und die West-Berliner jubeln ihrem neuen Helden zu.“ (S. 21/22). Durch diese geschickte symbolische Geste gelang es Kennedy, die Enttäuschung der Westberliner und der Westdeutschen zu überwinden.

Auf die im Juni/Juli 1961 präferierte „Luftlösung“ (Berlin-Schönefeld als Zentralflughafen für alle Berliner) und auf das von Franz-Josef Strauß in seinen Memoiren angesprochene atomare Ultimatum1, das Ende Juli/Anfang August 1961 die Entscheidung in Richtung „Landlösung“ (Mauerbau) maßgeblich beeinflusste, wird nicht eingegangen.

Im zweiten Teil behandelt Pommerin das Entstehen eines neuen Interessenzusammenhangs zwischen der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow und der Bundesrepublik:
-den Drei-Milliarden-Kredit vom Oktober 1988,
-das Bündel bilateraler Abkommen und ein Fünf-Milliarden-Kredit vom Juni 1989,
-Gorbatschows Erklärung vor dem Europarat am 7. Juli 1989, dass die Sowjetunion eine Politik der Einmischung in innere Angelegenheiten von Staaten, selbst von Freunden und Verbündeten, für unzulässig hält.

Während Francois Mitterand, Margaret Thatcher, Ruud Lubbers und Giulio Andreotti sich gegen eine deutsche Wiedervereinigung positionieren, wurde diese von den USA unter vier Voraussetzungen aktiv unterstützt: Es soll sich dabei um einen graduell fortzusetzenden, längeren Prozess handeln, die Haltung der DDR-Bevölkerung sei zu respektieren, die bestehenden Grenzen anzuerkennen, Deutschland müsse weiterhin in der NATO verbleiben und dürfe keine Neutralität anstreben. Aus dem Vergleich der Ereignisse des 13. August 1961 und des 9. November 1989 schlussfolgert Pommerin, dass das Ausmaß von gegenseitiger Akzeptanz der jeweiligen Einflusssphäre bzw. die Bereitschaft zur Kooperation zwischen den Führungsmächten USA und Sowjetunion sowohl für den Mauerbau als auch für den Mauerfall ausschlaggebend war.

Unter Einbeziehung von Quellen und Zeitzeugenberichten der DDR behandelt Peter J. Lapp die Entwicklung der Grenzpolizei zur Grenztruppe (1946-1961). Ein Anhang faksimilierter Dokumente ergänzt den Beitrag. Lapp geht auf die Aktion „Ungeziefer“ im Jahre 1952 ein und äußert sich zu den rund 300 Todesopfern der deutschen Teilung, wozu er auch die 25 toten Grenzer (bis 1989) zählt. Als Hauptaufgabe der Grenzpolizei benennt Lapp: „Fluchtverhinderung der eigenen Bürger.“ (S. 55). Alles andere sei dieser Funktion nachgeordnet gewesen.

Herausgeber Thoß steuert zum Thema „Die Grenztruppe als militärischer Verband (1961-1990)“ einen Aufsatz bei, der das Thema von Lapp für die folgenden Jahrzehnte fortsetzt. Am Schluss vermerkt Thoß kritisch, dass es an einem musealen bzw. denkmalpflegerischen Gesamtkonzept all jener Bundesländer fehlt, deren Landesgrenzen entlang der früheren deutsch-deutschen Grenze verlaufen. Ausnahmen wie die Gedenkstätte Bernauer Straße in Berlin werden gewürdigt. Dass sich die nahezu 1400 km lange Grenze zu einem einzigartigen ökologischen Areal entwickelte, hebt Thoß hervor. Das Grüne Band habe sich seither als Markenzeichen für einige der wertvollsten Natur- und Landschaftsschutzgebiete Deutschlands etablieren können. Besonderes Gewicht kommt dem zweiten Aufsatz von Thoß „Grenzsoldaten vor Gericht. Der Rechtsstaat und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze“ zu, denn hier wird ein schier unübersichtliches Terrain tiefgründig analysiert, zusammenfassend dargestellt und mit Augenmaß bewertet. Behandelt werden die „Mauerschützenprozesse“, die Prozesse gegen die politische und militärische Führungsebene und die Politbüroprozesse. Thoß verweist darauf, dass im wiedervereinigten Deutschland gegenüber anderen Wegen der rechtlichen Verarbeitung, die exakt umrissen werden, „ohne Zögern der Weg des Strafrechts“ (S.193) beschritten wurde. Nirgends habe es eine vergleichbar hohe Verfolgungsintensität wie im wiedervereinigten Deutschland gegeben. Die Strafverfolgung wegen Gewalttaten und insbesondere wegen Justizstraftaten des Nationalsozialismus in Deutschland nach 1945 und des Staatssozialismus in der DDR nach 1990 habe sich umgekehrt proportional zur Schwere der begangenen Straftaten verhalten.

Zwei Studien des Kapitäns zur See a.D. Waldemar Jablonski von der Bundesmarine schließen den Band ab. In seinem Beitrag „Die Grenztruppen im System der Landesverteidigung der DDR“ beschreibt er den hoffnungslosen Ansatz, gleichzeitig als effiziente Landesverteidigungsstreitmacht an der Seite der NVA und als effiziente Grenzpolizei im Sinne der Fluchtverhinderung von Ost nach West zu fungieren. Der zweite Beitrag über die Streitkräfte der DDR in den Vereinten Streitkräften der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) berührt nur indirekt das Thema des Bandes. Die dem Beitrag beigefügten Übersichten, darunter ein Prinzipschema der Führung der Vereinten Streitkräfte, sind aufschlussreich. Während die DDR an der Gesamtbevölkerung der WVO-Staaten den vierten Platz inne hatte, waren ihre Grenztruppen die zweitstärksten und ihre Gesamtstreitkräfte (1989 insgesamt 240.500 Mann) die drittstärksten. Von Interesse sind auch die Ausführungen über die Rüstungsindustrie in der DDR. Keine Erwähnung findet allerdings der einseitig in Moskau festgelegte „Sonderkoeffizient“ für die Verrechnung bei Rüstungsgütern und anderem, mit dessen Hilfe die UdSSR die DDR an ihrer Hochrüstungspolitik beteiligte. Über dieses Instrument wird die Forschung noch vollständige Klarheit schaffen müssen. Erst dann wird darüber geurteilt werden können, ob die UdSSR ihren Bündnispartnern „unberechtigt hohe Leistungen abgefordert“ (S.246) habe. Jablonsky allerdings meint schon jetzt, dieser Vorwurf könne nicht erhoben werden.

Hendrik Thoß hat sein Ziel, mit dem Band der weiteren Forschung Impulse zu vermitteln, zweifellos erreicht.

Anmerkung:
1 Vgl. Franz Josef Strauß, Die Erinnerungen, Berlin 1989, S. 388.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension