M. Kaufhold: Rhythmen politischer Reformen

Cover
Titel
Die Rhythmen politischer Reform im späten Mittelalter. Institutioneller Wandel in Deutschland, England und an der Kurie 1198–1400 im Vergleich


Autor(en)
Kaufhold, Martin
Reihe
Mittelalter-Forschungen 23
Erschienen
Ostfildern 2008: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ansgar Frenken, Ulm

Entwicklung und Wandel sind zwei klassische Schlüsselbegriffe historischen Denkens, mit deren Hilfe der Historiograf versucht, kohärente Ereignisse in einen Ordnungsrahmen zu bringen. Inwieweit es dabei auch gelingen kann, eine Rhythmisierung oder gar eine genaue Periodisierung des historischen Prozesses sichtbar werden zu lassen, ist eine interessante Frage, die sich der Augsburger Mediävist Martin Kaufhold in seinem neuesten Buch gestellt hat. Wie bereits die programmatische Überschrift seiner Untersuchung anzeigt, glaubt er, „Rhythmen“ der Entwicklung und des Wandels im institutionellen Bereich zu erkennen und vergleichsweise genau bestimmen zu können. Um sein Vorhaben auf eine möglichst breite Grundlage zu stellen, untersucht er – auf entsprechend hohem Abstraktionsniveau – vergleichbare Entwicklungen in drei unterschiedlichen, jedoch durch viele Berührungen miteinander verbundenen Herrschaftsgebilden, nämlich dem Reich, England und der Kurie im Zeitraum vom ausgehenden 12. Jahrhundert bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts. Ausgangspunkt für seine systematischen Untersuchungen sind grundlegende Verfassungsprobleme, die wiederholt auftreten, jedoch in den drei Herrschaftssystemen keineswegs identisch sind. Kaufhold interessiert nun, wie der politische Umgang mit diesen Krisen verläuft und diese längerfristig aufgearbeitet werden. Parallel analysiert er den Verschriftlichungsprozess, der im Zuge der Krisenbewältigung nach einer bestimmten Zeit einsetzt und der zum Schluss in eine institutionelle Verfestigung und damit in die Lösung des vorliegenden Verfassungskonflikts mündet. Um sein ambitioniertes Ziel der Sichtbarmachung einer Rhythmisierung zu erreichen, beschreibt Kaufhold die von ihm untersuchten Phänomene in diesen drei Herrschaftsgebilden nicht nebeneinander, sondern versucht, die parallelen Erscheinungen in den einzelnen Kapiteln eng miteinander zu verknüpfen. Alles in allem hat der Augsburger Mediävist ein anspruchsvolles und gelehrtes Buch vorgelegt, das indes die Faktenebene als bekannt voraussetzt und nur kursorisch wiedergibt, sich dadurch aber ganz auf den Vergleich und den von ihm angestrebten Nachweis einer Rhythmisierung des institutionellen Wandels konzentrieren kann.

Für die vorliegende Arbeit nimmt sich Kaufhold das Verfahren der deutschen Königswahl, das Bestreben nach einer Herrschaftsbeschränkung des englischen Königs sowie die Entwicklung des Konklaves bei gleichzeitigen Zentralisierungstendenzen des Papsttums als zentrale Untersuchungsobjekte vor. Im Reich steht die Frage nach der Königswahl seit der Doppelwahl von 1198 auf der Tagesordnung und bleibt ein wiederkehrendes Thema in den nachfolgenden Krisen von der Absetzung Friedrichs II. (1245) über die Königswahlen im Interregnum 1257, die Absetzung Adolfs von Nassau 1298, die Wahl des Wittelsbachers Ludwig und seines Habsburger Kontrahenten Friedrich (1314) bis hin zur Absetzung Wenzels (1400) und der Wahl Sigismunds und Jobsts (1410/11). Das Prozedere der Königswahl (Teilnehmer, Vorgehensweise) unterliegt dabei einer zunehmenden Präzisierung, die durch die wachsende Verschriftlichung seit den 1320er- und 1330er-Jahren eine endgültige Gestalt in der Goldenen Bulle von 1356 findet, aber erst 1410/11 mit der Anwendung des festgeschriebenen Mehrheitsprinzips bei der Wahl auch faktisch umgesetzt wird.

Ausgangspunkt für den englischen Untersuchungsschwerpunkt ist die institutionelle Krise unter König Johann, die in der Unterzeichnung der Magna Charta von 1215 gipfelt, in der erstmals die Entscheidungsfreiheit des Herrschers durch die Bindung an Beratungsinstanzen eingeschränkt wird. Diesen Strang verfolgt Kaufhold weiter über die Verfassungskrise in der späten Herrschaftszeit Heinrichs III. (1258–65), die New Ordinances von 1311, die Absetzung und Tötung Edwards II. 1327 bis hin zur Absetzung Richards II. mit Hilfe des Parlaments 1399. Die schriftliche Fixierung des Prozesses ist aufgrund der spärlichen Überlieferung der Magna Charta in der Frühphase nach Kaufholds Ansicht auch hier erst im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts festzumachen.

Ein weiter Bogen spannt sich auch bei seinem dritten Untersuchungsgegenstand von den Anfängen der Konklaveordnung und der wachsenden päpstlichen Herrschaftszentralisation seit dem Pontifikat Innozenz' III. über die Konklaven von 1241/43 und 1268/71 bis hin zu den Absetzungen Gregors XII. und Benedikts XIII. auf dem Pisanum 1409 und dem Constantiense 1415/17. Die Konklavekonstitution Gregors X. auf dem Konzil von Lyon 1274, die von Bonifaz VIII. (1298) und von Clemens V. (1311) in ihrer Geltung festgeschrieben wird, stellt dabei das kuriale Pendant zu den Verschriftlichungen auf weltlicher Ebene dar.

Formal gliedert der Augsburger Mediävist seine Arbeit in insgesamt zehn Kapitel, in denen er in chronologischer Abfolge die drei unterschiedlichen Herrschaftsgebilde unter den vorgegebenen Leitaspekten vielfach verknüpft und vergleicht. Seine Untersuchung setzt ein mit der Doppelwahl im Reich und dem Beginn des Pontifikats Innozenz' III. (Kapitel 1), diesem folgen die Magna Charta und das IV. Laterankonzil als „Ordnungsentwürfe für das 13. Jahrhundert“ (Kapitel 2) und die politischen Krisen des 13. Jahrhunderts (Kapitel 3). In Kapitel 4 untersucht er die Traditionsbildung durch historische Erinnerung, im folgenden Kapitel 5 beschreibt er die institutionelle Verfestigung am Beispiel der Kurie im 13. Jahrhundert. Kapitel 6 befasst sich mit der zunehmenden Verschriftlichung, Kapitel 7 mit den Verfassungskämpfen des 14. Jahrhunderts. Kapitel 8 stellt die politische Entfremdung am Beispiel Rom – Avignon und angevinisches Reich – England in den Mittelpunkt, während es in Kapitel 9 um die institutionellen Krisen infolge der Absetzungen von Königen und Päpsten geht. Das abschließende Kapitel 10 fasst noch einmal die Dynamik des historischen Wandels zusammen.

Um sein Ziel zu erreichen, operiert Kaufhold mit einem für Historiker eher ungewohnten Begriff: Er glaubt, zu Recht „Rhythmen“ der Entwicklung und des Wandels im institutionellen Bereich zu erkennen und darüber hinaus Rhythmen des Tempos, der Pausen und seiner Dynamik nachweisen zu können. Die von ihm dabei angesetzten Zeitspannen der Rhythmisierung wirken allerdings ein wenig gezwungen und sind teilweise auch der von ihm vorgenommenen Auswahl geschuldet: gut anderthalb Jahrzehnte als Maß für eine erste Klärung eines akuten Verfassungskonfliktes, 40 bis 50 Jahre bis zur Wiederholung des Problems, 100 Jahre, bis es dann zu stabilen institutionalisierten Lösungsmodellen kommt. Hinzu kommen weitere Zeitspannen, die er für die unterschiedlichen Formen der Erinnerung und ihre verschiedenen Auswirkungen, etwa das Einsetzen des Verschriftlichungsprozesses, nennt. Auch weist Kaufhold selbst darauf hin, dass die Zeiträume in den drei Herrschaftsgebilden immer wieder unterschiedlich angesetzt werden müssen. All dies wirkt eher irritierend. Letztlich führt dieser Umgang mit dem vorgegebenen engen Rahmen aber dazu, dass der wissenschaftliche Erkenntniswert einer in ein enges Zahlenkorsett gepressten Rhythmisierung des institutionellen Wandels vergleichsweise mager ausfällt. Im Übrigen drängt sich der Eindruck auf, dass Kaufhold von seinem Versuch der Bestimmung bestimmter Rhythmen selbst nicht ganz überzeugt ist. Dies merkt man immer wieder zu Beginn und zu Ende der einzelnen Kapitel, wenn er versucht, sein Vorhaben zu beschreiben und mit dem Begriff des Rhythmus zu verknüpfen. Das klingt mitunter sehr angestrengt, ohne aber im Ergebnis voll überzeugen zu können.

Den kritischen Anmerkungen zum Trotz sollte der Wert des Buches jedoch nicht allzu sehr gemindert werden, zeigt Kaufhold doch Wege auf, verfassungsgeschichtliche Probleme in ihrer unterschiedlichen Weiterentwicklung und ihrer politischen Langzeitwirkung lebendig werden zu lassen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension