Titel
US Defence Strategy from Vietnam to Operation Iraqi Freedom. Military Innovation and the New American Way of War, 1973-2003


Autor(en)
Tomes, Robert R.
Erschienen
London and New York 2007: Routledge
Anzahl Seiten
Preis
€ 76,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Erik Fischer, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

In diesen Tagen wurde in Afghanistan ein neuer Präsident gewählt, und obwohl das Engagement der westlichen Staaten nun schon seit Ende 2001 anhält, ist die Sicherheitslage in dem Land so schlecht wie nie zuvor. Nicht nur amerikanische und britische, auch deutsche Truppen sehen sich mit Attentaten und Überfällen konfrontiert. Wie soll man diesem Land Frieden, Sicherheit und Stabilität geben? Drängende Fragen, denen sich nicht nur die Politik und das Militär, sondern in den letzten Jahren auch verstärkt die geschichts- und politikwissenschaftliche Forschung angenommen hat.

Robert R. Tomes legt dazu eine beachtliche Publikation vor, die bereits im Titel den Gedanken eines der Urväter der amerikanischen Kriegsgeschichte, Russell F. Weigley, wieder aufnimmt und einen „neuen“ Weg des amerikanischen Krieges beschreiben will. 1 Weigleys Darstellung endete mit dem Vietnamkrieg, und genau hier setzt Tomes ein. Er ordnet sich damit in ein breites Forschungsfeld ein, in welchem auch Richard Lock-Pullan und vor allem Stephen Peter Rosen wesentliche Akzente gesetzt haben. 2

Als Autor selbst scheint Robert Tomes prädestiniert für eine solche Darstellung zu sein. Er war unter anderem für die „RAND-Corporation“ tätig, ebenso für das amerikanische Verteidigungsministerium, ist Direktor des „Council for Emerging National Security Affairs“ und außerordentlicher Professor an der George Washington Universität im Fachbereich „Security Policy Studies“. Außerdem legte er bereits eine Publikation zur Haltung der amerikanischen Intellektuellen zum Vietnamkrieg vor. 3

Er untersucht entlang der drei großen Begriffe Innovation, Revolution und Transformation die Entwicklung der amerikanischen Streitkräfte nach dem Vietnamkrieg. Grundlage ist für ihn die Innovationsforschung, die vor allem auf dem Gebiet des Managements zahlreiche Theorien und Modelle hervorgebracht hat, mit denen man Fortschritte, Modernisierungen und Verbesserungen erfassen kann.

Die Frage, die Tomes in diesem Kontext – durchaus im Anschluss an Stephen Peter Rosen – beantworten will, ist, wie und wann es zu Innovationen innerhalb des Militärs kommt? Tomes zeigt eindrücklich, dass es einen permanenten Veränderungs- und Anpassungsdruck in den Streitkräften schon immer gegeben hat, um der Konkurrenz standhalten zu können. Diese Konstellation wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und im Zuge des atomaren Wettrüstens zwischen den Supermächten zu einem gefährlichen Spiel mit der gegenseitigen Vernichtung. Tomes zeigt, wie sich die beiden Supermächte in ihrem gegenseitigen Rüsten bedingten und die Lage immer weiter verschärften. Dies ist für ihn jedoch nicht der eigentliche Dreh- und Angelpunkt seiner Untersuchung. Diese setzt ja erst nach dem Vietnamkrieg, also nach 1973 an. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die USA vor allem auf die Entwicklung ihrer nuklearen Streitmacht konzentriert und technische Innovationen der konventionellen Streitkräfte weitestgehend außer Acht gelassen. Dieser Nachteil zeigte sich deutlich in den 1970er-Jahren, denn die Sowjetunion hatte die Zeit des Vietnamkrieges genutzt, um technisch aufzuholen und das amerikanische Militär sogar zu überholen. Mit einem Schlag wuchs die konventionelle Bedrohung in Europa und vor allem in der sogenannten „Dritten Welt“ durch die Sowjetunion an, und die USA wurden zunehmend von der Angst getrieben, militärisch in einen gefährlichen Rückstand zu verfallen.

Die 1970er- und 1980er-Jahre waren aus diesem Grund eine Zeit verstärkter Aktivität in den USA, um den verlorenen Vorsprung in Strategie und Waffentechnik wettzumachen. Auch natürlich, weil die USA nach dem Ende des Vietnamkrieges zwar ihre außenpolitischen Interventionen zunächst zurückfuhren, aber ihren Anspruch als Supermacht niemals aufgaben. Innovationen fanden genau in diesem Klima statt. Sie waren verbunden einmal mit dem Willen, der Sowjetunion in Europa zu widerstehen, und zum anderen den Einfluss im Rest der Welt, seit Ende der 1970er-Jahre verstärkt am Persischen Golf, aufrechtzuerhalten. Spannend ist, dass Tomes den Zustand der amerikanischen Streitkräfte nach dem für sie verheerenden Vietnamkrieg weniger als Krise, sondern vielmehr als Chance darstellt: Für ihn zeigt sich hier das ideale Feld für Modernisierungen, die er dann auch mit vielen technischen Details ausführlich beschreibt. In diesen äußerst fachspezifischen Passagen wird das Buch fast schon etwas ermüdend. Trotzdem gibt es auch immer wieder spannende Episoden: Etwa wenn Tomes vom Rückstand der Amerikaner im Bereich der Fernaufklärung berichtet und davon, dass den USA aus diesem Grund 1981 für mehrere Wochen Truppenbewegungen der Sowjetunion in Polen entgangen sind (S. 100).

Die Geschichte der militärischen Innovationen in den USA im 20. Jahrhundert ist gleichzeitig auch die Geschichte von Atomwaffen, Abschreckung, Reaktion und der Einsicht, dass eine nukleare Auseinandersetzung zwischen den beiden Weltmächten das Ende der Menschheit hätte bedeuten können. In den 1970er- und 1980er-Jahren versuchten die USA verstärkt, ihre konventionellen Streitkräfte zu modernisieren und an die Bedürfnisse zukünftiger Kriege anzupassen. Von der Konfrontation mit dem Ostblock verlagerte sich die Gefahr nun zunehmend auf den internationalen Terrorismus und die vermeintlich kleinen Kriege in der sogenannten „Dritten Welt“. Die Rückstände, die die USA in diesem Bereich lange Zeit hatten und die auch ihre Schwierigkeiten in Afghanistan und dem Irak mitverschuldeten, werden hier ausführlich diskutiert. Ist die Sicht von Tomes auf sein Thema über weite Strecken die einer Erfolgsgeschichte, äußert er hier wohlüberlegte Kritik (S. 124). Erst mit der Entwicklung hin zu einem echten Konzept von „Joint Warfare“ unter Einbeziehung sämtlicher möglicher Szenarien von Krieg, wie er es in den Entwicklung seit 2000 ausmacht, sieht er die Innovationen in den amerikanischen Streitkräften zu einem sinnvollen Ergebnis gekommen.

Die vielen Stationen der Entwicklung nach Vietnam werden dabei sehr ausführlich besprochen; die Einbettung in ein zu Grunde liegendes Konzept von Innovation, Revolution und Transformation macht durchaus Sinn und erhellt viele Entwicklungen. Tomes schafft es einmal mehr zu zeigen, dass Streitkräfte bzw. allgemeiner das Militär, und zumal das amerikanische, fragile Gebilde im Spannungsfeld zwischen Politik, Gesellschaft und Individuen sind: Je nachdem wie die Parteien bzw. Umstände auf das Militär einwirken, verändert es sich oder sieht sich dem Druck ausgesetzt, sich zu verändern. Die Sowjetunion und neuerdings der Terrorismus waren bzw. sind aus der Sicht von Tomes zwei dieser äußeren Beweggründe für Veränderung.

Tomes ist es gelungen, eine umfassende Darstellung der Entwicklung der amerikanischen Streitkräfte vom Ende des Vietnamkrieges bis zum Einmarsch in den Irak 2003 vorzulegen. Die über weite Strecken recht uneingeschränkt positiv vorgetragene Einstellung zum Militär irritiert dabei stellenweise, doch es scheint Tomes hier nicht um eine historische Aufarbeitung oder gar Beurteilung zu gehen; er will eine Technikgeschichte der Innovationen der amerikanischen Streitkräfte vorlegen. Doch gerade bei einem solchen Thema wäre es angebracht gewesen, die Hintergründe der Entscheidungen im und über das amerikanische Militär kritischer zu hinterfragen und diese stärker in den politischen bzw. historischen Kontext einzubetten. Fehlschläge, die es auch nach Vietnam noch reichlich gab, werden fast vollständig ignoriert. Einzig am Ende werden die Vernachlässigungen von „counterinsurgency“ und Kleinkriegsführung deutlich benannt (S. 153). Dennoch bietet Tomes’ Buch einen gut lesbaren Überblick zur Entwicklung des amerikanischen Militärs nach Vietnam. Positiv hervorzuheben bleibt, dass er an geeigneter Stelle immer wieder den Forschungsstand reflektiert. Und da fällt es auch nur geringfügig negativ auf, dass er den Aufstand der Arbeiter in Berlin von 1953 in den Mai, statt in den Juni datiert (S. 40).

Anmerkungen:
1 Russell F. Weigley, The American Way of War. A History of the United States Military Strategy and Policy, Bloomington, IN 1977.
2 Richard Lock-Pullan, US Intervention Policy and Army Innovation. From Vietnam to Iraq, London 2006; Rosen, Stephen Peter, Winning the Next War. Innovation and the Modern Military, Ithaca, NY 1991.
3 Robert R. Tomes, Apocalypse Then. American Intellectuals and the Vietnam War, 1954-1975, New York 1998.

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