S. Bressler: Schuldknechtschaft und Schuldturm

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Titel
Schuldknechtschaft und Schuldturm. Zur Personalexekution im sächsischen Recht des 13.-16. Jahrhunderts


Autor(en)
Breßler, Steffen
Reihe
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen NF 42
Erschienen
Anzahl Seiten
487 S.
Preis
€ 78,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrike Ludwig, Dresden

Die hier zu besprechende Dissertation von Steffen Breßler zählt zu den Arbeiten, die sich mit viel Gewinn für die historische Forschung (und damit größtenteils für juristische Laien) aus rechtshistorischer Perspektive dem Feld der Kriminalitätsgeschichte nähern. Die Arbeit ist unverkennbar dogmengeschichtlich ausgerichtet, hat also das Recht selbst zum Gegenstand. In der Lesart von Steffen Breßler heißt dies aber zugleich, dass „zwischen der Gesellschaft und ihrem Recht ein Wechselverhältnis besteht“ und sich in der Geschichte von Rechtsnormen und -institutionen immer auch die jeweiligen Gesellschaften und ihre Wandlungen spiegeln (S. 50). Diesem Wechselverhältnis geht die Arbeit am Beispiel der Personalexekution im sächsischen Recht vom Spätmittelalter bis in das 16. Jahrhundert nach. Der Schritt über die Epochengrenze um 1500 hinweg ist sinnvoll, da der inhaltliche Schlusspunkt des Untersuchungsgegenstandes erst mit den Kursächsischen Konstitutionen von 1572 erreicht wird.

Mit dem Schuldrecht wird ein zentrales Feld der vormodernen Gesellschaft untersucht, damit schließt die Arbeit nicht nur eine bestehende Lücke für genuin rechtshistorische Fragen des Kreditwesens und der Schuldhaft, sondern liefert darüber hinaus wichtige Anstöße für die Kriminalitätsforschung, denn hier besteht seit Langem im Bereich des Zivilrechts ein deutlicher Nachholbedarf.

Die Studie gliedert sich in drei Teile: Nach einem einleitenden ersten Abschnitt, in dem sich Breßler dem Forschungsstand, methodischen Problemen und schließlich seinem eigenen Ansatz widmet, folgen zwei Großkapitel, die der zweigeteilten Herangehensweise Breßlers entsprechen: zunächst werden einzelne Quellen untersucht, darauf aufbauend erfolgt dann die Zusammenführung der Quellenstudien.

Das Kapitel zur Quellenexegese ist in drei Abschnitte unterteilt. In jeweils chronologischer Abfolge werden ausgewählte Normen (Sachsenspiegel, verschiedene Stadt- und Landrechte, Kursächsischen Konstitutionen von 1572), Texte der Rechtsliteratur (Buch’sche Glosse, Glosse zur Weichbildvulgata, Gerichtsläufte von Kilian König und Georg von Rotschitz, Differentienliteratur aus der Mitte des 16. Jahrhunderts sowie Texte von Matthias Coler) und schließlich Quellen der Rechtspraxis (Magdeburger Schöffensprüche) betrachtet. Ziel ist es, jeweils in einer quellenkritischen Einzelanalyse die Texte aus ihrer Genese heraus zu untersuchen und so die Hintergründe ihrer jeweiligen Entstehung einzubeziehen (S. 55). Zugleich soll so ein vergleichender Zugriff erleichtert werden. Dies gelingt auch, wenngleich gewisse Redundanzen nicht ausbleiben. Auf die methodisch unterkomplexe Bildinterpretation der Darstellungen in der Heidelberger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels hätte der Autor aber besser verzichtet (S. 68f.).

In einem zweiten Schritt werden dann die in den Einzelanalysen gefundenen Ergebnisse zusammengeführt und in weitere Zusammenhänge eingebettet. Hier betrachtet Breßler zunächst die Bedeutung der Schuldhaft innerhalb des spätmittelalterlichen sächsischen Rechts (wobei er Begriffe, Typen und Funktionen der Haft untersucht sowie die Schuldhaft mit anderen Formen der Haft vergleicht). In einem kurzen Abschnitt geht er anschließend auf die in das Verfahren involvierten bzw. von diesem betroffenen Personen ein (neben den Parteien auch deren Familien und Freunde sowie das Gerichtspersonal). In einer dritten Zusammenführung beschäftigt sich Breßler dann mit den Verfahrensfragen, die die Wege in die Haft begleiteten. Und unter dem Titel „Vergleichende Querschnitte“ werden abschließend nochmals die drei bearbeiteten Quellengruppen zusammengefasst und nach räumlichen Differenzierungen sowie erkennbaren zeitlichen Entwicklungslinien befragt.

Die Studie bietet eine Fülle von Ergebnissen, an dieser Stelle können lediglich einige besonders gewichtige herausgegriffen werden: Breßler arbeitet Schuldknechtschaft und Schuldturm als die beiden zentralen Formen der Personalexekution heraus, macht aber zugleich deutlich, dass die Bezeichnung „Schuldknechtschaft“ in den Quellen keine Grundlage hat, sondern eine Zuschreibung und Behauptung der Forschung des 19. Jahrhunderts ist. Als alternative und sachlich treffendere Bezeichnung schlägt Breßler daher den quellennahen Begriff der „Überantwortung“ vor.

Die Überantwortung selbst war zudem nicht zwangsläufig mit einer Arbeitspflicht des Schuldners verbunden – wie die bis dato gebräuchliche Bezeichnung als Schuldknechtschaft nahe legen mochte. Dies zeigen besonders die von Breßler untersuchten Quellen zur Rechtspraxis, in denen häufig von Privathaft ohne Arbeit und von öffentlicher Haft die Rede war, letztere setzte sich schließlich durch. Aber auch die Arbeit während der Haft diente nicht immer der Abarbeitung der Schuld, sie konnte ebenso als Gegenleistung für die meist vom Kläger zu erbringenden Unterhaltskosten während der Haft gefordert werden. Die Inhaftierung des Schuldners diente also nicht bzw. nicht in erster Linie einer Abarbeitung der Schuld, wie Privathaft ohne Arbeit und öffentliche Haft deutlich zeigen. Die Haft war ebenso wenig Strafe, sondern sie war in erster Linie ein durchaus effektives Verfahrensmittel der Vollstreckung gegen insolvente Schuldner. Ziel der Schuldhaft war es demnach, den Schuldner zur Begleichung der Schuld oder doch zur Stellung neuer, ausreichender Sicherheiten zu ‚motivieren’.

Die körperliche Haftung war dabei immer Folge der Nichterfüllung einer Schuld, wenngleich sie (und dies sollte betont werden) hinter die Vollstreckung beweglicher und unbeweglicher Sachen bzw. hinter die Leistung anderer Sicherheiten (Bürgen) zurücktrat. Dass es dennoch zur Schuldhaft belegener, also über Grundbesitz verfügender Schuldner kam, erklärt Breßler einerseits damit, dass die Überantwortung zuvor vertraglich vereinbart werden konnte und dann auch direkt bei Nichtzahlung einer fälligen Schuld einsetzte. Andererseits kam es durchaus vor, dass auf den Immobilien bereits hohe Hypotheken lasteten, so dass sie bei Zahlungsunfähigkeit nicht mehr vollstreckt werden konnten. Und schließlich ging es gerade bei Schuldverschreibungen von Kaufleuten mitunter um Summen, die den mobilen und immobilen Besitz des Schuldners deutlich überstiegen. Diesem Phänomen geht Breßler am Beispiel der Breslauer (Groß-)Kaufmannschaft vertiefend nach und kann zeigen, dass hier die Übereignung im Zusammenhang mit hohen Schuldsummen durchaus übliche Praxis war (S. 203-285). Damit gewährt die Arbeit neben der Betrachtung der rechtlichen Problemfelder einen lebendigen Einblick in die Formen des Wirtschaftens und die hohe Risikobereitschaft der Kaufmannschaft in dieser Zeit.

Von der Vollstreckungsfunktion der Übereignung unterscheidet Breßler die Sicherungsfunktion, deren Bedeutung sich aus der Begrenzung der Gerichtsmacht auf den Gerichtssprengel und die Zersplitterung der Gerichtsgrenzen erklärt. Vor dem Hintergrund der Kleinteiligkeit weltlicher Gerichtssprengel hebt Breßler zugleich die Bedeutung der geistlichen Gerichtsbarkeit als Alternative hervor, denn deren Zuständigkeit erstreckte sich im Spätmittelalter auch auf alle eidlich bekräftigten Verträge, und sie besaß mit der Exkommunikation ein grenzüberschreitendes Vollstreckungsmittel (S. 319 f.).

Aus beiden – Vollstreckungs- und Sicherungsfunktion – ergibt sich letztlich die Bedeutung der Schuldhaft für Kläger und Obrigkeiten: Denn die Schuldhaft war sowohl ein wirksames Hilfsmittel bei der Rechtsdurchsetzung und als auch eine effektive Alternativen zu gewaltsamen Formen der Selbsthilfe.

Mit Blick auf die Entwicklung der Spruchpraxis des Magdeburger Schöffenstuhls stellt Breßler schließlich heraus, dass die Rechtssprechung über Jahrhunderte von einer außerordentlichen Kontinuität geprägt war. Dies bedeutet zweierlei: Einerseits werden hier früh Ansätze einer ‚Verrechtlichung’ (einheitliche Rechtssprechung, Aktenversendung und damit Trennung von Untersuchungsgericht und Entscheidungsinstanz, systematische Ausdifferenzierung der Materie im ‚geschöpften’ Recht) greifbar, andererseits führte diese Kontinuität, die vom Schöffengremium zum Wert an sich erhoben wurde, mit der Zeit zu einer Abkoppelung der Rechtssprechung von den sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen – konkret von den Bedürfnissen des Kreditwesens und des Geldverkehrs. Damit führten letztlich die starke Tradition des Sachsenspiegels und die überregionale Bedeutung des Magdeburger Schöffenstuhls zu einer ausdifferenzierten und weit entwickelten Rechtssprechung im Feld der Personalexekution aber auch dazu, dass sich im sächsischen Rechtskreis die Überantwortung erheblich länger hielt als in anderen Gegenden, in denen die Verbannung und vor allem die öffentliche Schuldhaft seit dem frühen Spätmittelalter überwogen. Erst mit den Kursächsischen Konstitutionen von 1572 wird das Ende der Überantwortung auch im Gebiet des Sachsenrechts eingeläutet, an ihre Stelle trat nun ebenfalls hier die öffentliche Haft im Schuldturm.

Resümierend ist festzuhalten, dass es Steffen Breßler überzeugend gelingt, den Weg von der Übereignung zur öffentlichen Haft im sächsischen Rechtsraum mit all seinen Brüchen, parallelen Entwicklungen und in seiner regionalen und lokalen Vielgestaltigkeit nachzuzeichnen. Den Erfordernissen einer selektiven Lektüre genügt der Band ebenso, da er mit einem sehr detaillierten Inhaltsverzeichnis und einem umfassenden Personen- und Sachregister ausstattet ist. Dies ermöglicht die gezielte Rezeption ausgewählter Einzelergebnisse, wenngleich bei einem derartigen Zugriff so mancher Aha-Effekt vom Wegesrand der Lektüre ausbleiben dürfte – was angesichts der Qualität der Studie bedauerlich wäre.

Irritierend ist lediglich, dass der Autor die eigene Arbeit im Titel mit dem in der Studie verworfenem Begriff der „Schuldknechtschaft“ markiert, wenngleich er selbst anmerkt, dass dies der thematischen Einordnung und Wiedererkennung durch die Forschung dienen soll. Hier hätte etwas mehr Vertrauen in die eigenen Ergebnisse nicht geschadet.

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