Cover
Titel
Zeitgeschichte.


Autor(en)
Fröhlich, Michael
Reihe
UTB basics 3182
Erschienen
Konstanz 2009: UVK Verlag
Anzahl Seiten
279 S., 42 SW-Abb.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Zierenberg, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

„Don’t judge a book by its cover“ – so haben wir gelernt. Und tatsächlich sollte man sich nicht von Äußerlichkeiten leiten lassen – zumal eingedenk der optischen Ödnis wissenschaftlicher Buchreihen. Im vorliegenden Fall allerdings fällt das schwer: Den Umschlag des Einführungsbandes in die Zeitgeschichte von Michael Fröhlich ziert statt der erwähnten Tristesse ein marktschreierisch buntes, an Pop-Art erinnerndes Arrangement berühmter Personen des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum der Gruppe befindet sich ein streng blickender Lenin, um ihn herum im Uhrzeigersinn Bill Gates, Mutter Theresa, John F. Kennedy, Mahatma Gandhi und – wohl unvermeidlich – Adolf Hitler. Im Wortsinne überstrahlt wird dieses Sextett von einer lasziven Marilyn Monroe. Der Titel des Bandes – „Zeitgeschichte“ – steht genau zwischen Monroe und Hitler. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Dazu heißt es erläuternd im Innern: „Die Abbildung auf dem Einband zeigt stellvertretend für das 20. Jahrhundert einige bedeutende Persönlichkeiten.“

Das Cover wäre nicht weiter erwähnenswert und könnte in seiner anbiedernden Sat.1-haftigkeit getrost der Marketingabteilung des Verlags in die Schuhe geschoben werden – wenn da nicht beim Lesen sehr schnell der Eindruck entstünde, der Potpourri-Charakter des Einbandes träfe sich durchaus mit den Eigenschaften des Textes. In sieben Kapiteln will Fröhlich anhand „exemplarischer Beschreibungen“ dem Studienanfänger das „Selbst- und Fremdverständnis der Zeitgeschichte in Deutschland und Europa“ nahebringen und zur Lektüre „breiterer transnationaler Studien anregen“. Es sollen „Merkmale, Entwicklungen und Einschnitte der Zeitgeschichte“ nachgezeichnet sowie ein „Einblick in spezifische Erinnerungsformen, zeitgenössische Kontroversen und internationale Sicht“ (!) gegeben werden. Schließlich geht es Fröhlich um „Marksteine der internationalen Politik nach 1945“ und – in seinem letzten Kapitel – um „die Frage nach dem Verhältnis von Zeitgeschichte und Globalisierung und nach potentiellen Aufgaben der Zukunft“ (alle Zitate: S. 8).

Es gibt konzise Darstellungen zum Thema, die Studienanfänger auf ähnlich knappem Raum (wenn auch mit einer schlüssigeren Gliederung) auf profunde Weise in wichtige Fragen der Zeitgeschichte, in ihre Probleme und Methoden einführen.1 Fröhlichs Band hingegen gefällt sich in weitschweifigen, bisweilen hochtrabenden, dabei viel zu oft zwischen banal und unpräzise schwankenden Formulierungen, die das jeweilige Thema mehr als einmal bloß umkreisen, statt es zu erschließen.

Einige Beispiele – aus einer Vielzahl, die dem Rezensenten ins Auge sprangen – mögen das verdeutlichen. Beim ersten Lesen verwirrend, beim zweiten Lesen ärgerlich ist schon das – „Grundzüge“ überschriebene – Auftaktkapitel. Ohne nähere Begründung jongliert Fröhlich hier mit den Begriffen Geschichtsbewusstsein, Geschichtskultur und Geschichtsinteresse (S. 11-15), um den zunächst noch geneigten Leser schließlich mit folgenden Sätzen zu konfrontieren: „Die Geschichtswissenschaft setzt Trends, das ist richtig. Aber auch das Geschichtsinteresse sorgt für Aufbruchsstimmung, Abstiegsängste und manchmal für Gerechtigkeitssehnsucht. So kommt es immer zu einem ‚Neustart’ von Geschichtsinteresse und Geschichtsbewusstsein. Diese neuen Weichenstellungen dürfen freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die quantitative Auseinandersetzung keine verlässlichen Rückschlüsse auf ausgesprochene Merkmale der Geschichtskultur zulässt. Es fällt schwer, in diesem Zusammenhang das Wort Qualität zu benutzen. Was ist ein ‚qualitativ’ überzeugendes Geschichtsbewusstsein? Dabei geht es nicht nur um Inhalte und konkurrierende Wertungen. Auch den Forscher leiten beinharte Interessen, die nicht immer mit dem Untersuchungsgegenstand eine harmonische Allianz eingehen.“ (S. 15f.) So geht das immer weiter. Man verzeihe das lange Zitat, das vielleicht einen Eindruck vermittelt von dem Ton, der den Band durchzieht.

Dass die Zeitgeschichtsschreibung eine Profession ist, die im Rückgriff auf wissenschaftliche Kriterien zu beschreiben wäre, erfährt der als Adressat angenommene Studienanfänger erst auf Seite 77, am Anfang des Kapitels „Zugänge“. Im Fröhlich-Sound klingt das dann so: „Ohne Zweifel gibt es einen fachübergreifenden Pool von Denkweisen. Nachprüfbarkeit, Nachvollziehbarkeit, Problemorientierung und Erkenntnisgewinn sind Beispiele, die man unter dem Kriterium Wissenschaftlichkeit zusammenfassen könnte und die alle Forscher für sich und ihre Arbeit in Anspruch nehmen.“ Es sei allerdings „einmalig, dass der Zeithistoriker sowohl Zeitzeuge als auch Wissenschaftler ist“.

Abgesehen davon, dass letzteres so schlichtweg nicht stimmt: Gravierender ist der Umstand, dass der Autor im Plauderton die wichtigste Aufgabe eines Einführungsbandes abhandelt – nämlich in die Methodik der Zeitgeschichte einzuführen –, als handle es sich um Quisquilien. Ein wissenschaftliches Kriterium mehr oder weniger? Wen kümmert das schon, wenn, wie wir ja bereits gelernt haben, den Wissenschaftler immer auch „beinharte Interessen“ leiten? Über den Status von Quellen nur so viel: Fröhlich sieht die „quellenkritische Autorität einer Aussage“ dann als „besonders hoch“ an, „wenn sie sich aus den historischen Überresten genuin ableiten lässt“ (S. 95). Über eine der Hauptaufgaben wissenschaftlichen Arbeitens, das Argumentieren: kein Wort. Von Fröhlich erfährt der Student in Bezug auf geschichtswissenschaftliche Diskussionen hingegen: „Der Grad ihrer fachlichen und intellektuellen Verlässlichkeit wird nur durch die Diskussion geschmiedet, der sich Fachleute intern und extern öffnen. Im Grunde ist es die Offenheit der historischen Forschung, die ihre Qualität ausmacht und ihre Zukunft verbürgt.“ (S. 96) That’s it, mehr darf der geneigte Studiosus nicht erwarten zum Thema Geschichte als Wissenschaft – dafür aber eine Grafik zu den Publikationszahlen historischer Romane in Österreich (S. 93).

Damit wäre zu einem weiteren Manko überzuleiten: Fröhlichs Umgang mit dem Thema Transnationalität. Immerhin, so hat er eingangs ja versichert, will er zur Lektüre von Werken anregen, die die deutsche Nabelschau hinter sich lassen. Sein eigener Umgang mit dem Thema spricht allerdings Bände: hier ein paar Ausführungen zur Zeitgeschichtsschreibung in Spanien und Großbritannien, dort ein paar Romane aus Österreich. Das alles bleibt Stückwerk und wird in seinem Gehalt für eine Darstellung transnationaler Perspektiven der Zeitgeschichtsforschung nicht reflektiert. Da wundert es kaum, dass das Kapitel „Rückblick“, in dem Fröhlich Etappen und Themen der Zeitgeschichte seit 1945 beschreibt, eine deutsch-deutsche Ereignisgeschichte biederster Art ist, der ein bisschen Sputnikschock und Kuba-Krise auch nicht zu internationalem Glanz verhelfen. Auf etwa 80 Seiten Altbekanntes, über das man anderswo besser informiert wird. Immerhin, im Gegensatz zu den Ausführungen zur Geschichte als Wissenschaft, mag man den Schaden hier für begrenzt halten.

Soll man fortfahren und etwa erwähnen, dass (auch in Abbildungen) noch der Dalai Lama und die attackierten Twin Towers auftauchen? Stellen wir zum Schluss lieber eine weitere rhetorische Frage: Ist Fröhlichs Band eine in Betracht zu ziehende Anschaffung – zumal für Studienanfänger? Mitnichten. Er stiftet (vor allem begriffliche) Verwirrung, wo er erklären sollte, und gewinnt so die Grundlage für eine vermeintliche sprachliche Eleganz, die bei Lichte betrachtet nur eine fatal zu nennende Ungenauigkeit ist. Um das zu unterstreichen, ein letztes Zitat. Über Joachim Fest heißt es im Kapitel „Streitfragen“: „Es gibt nur wenige Historiker, über die man schon bei ihrem Tode sagen kann, dass sie das Geschichtsbild ihrer Zeit geprägt haben. Als 2006 Joachim Fest starb, zögerte kein Historiker mit der Feststellung, dass kaum ein anderer die Schreckensgeschichte des ‚Dritten Reichs’ so sehr geprägt hat wie Fest.“ (S. 105) Es sind nicht zuletzt solche Formulierungsfehler, die das Korrigieren von Proseminararbeiten zu einer langwierigen Angelegenheit machen können. Eigentlich in allen Büchern, insbesondere aber in jenen, die Studienanfänger in ein Teilgebiet historischer Wissenschaft einführen sollen, haben sie schlicht nichts zu suchen. Treten sie gehäuft auf, sollte man vom Kauf dringend abraten. Das sei hiermit getan.

Anmerkung:
1 Vgl. Gabriele Metzler, Einführung in das Studium der Zeitgeschichte, Paderborn 2004 (rezensiert von Jan-Holger Kirsch: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-1-011>). Daneben gibt es eine Reihe sehr guter Überblicksartikel. Genannt sei hier nur Axel Schildt, Zeitgeschichte, in: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.), Geschichte. Ein Grundkurs, 3., erweiterte und revidierte Aufl. Reinbek bei Hamburg 2007, S. 370-382.

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