I. Malkin u.a. (Hrsg.): Greek and Roman Networks

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Titel
Greek and Roman Networks in the Mediterranean.


Herausgeber
Malkin, Irad; Constantakopoulou, Christy; Panagopoulou, Katerina
Erschienen
London 2009: Routledge
Anzahl Seiten
321 S.
Preis
£ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Charlotte Schubert, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Das vorliegende Werk hat ein ehrgeiziges Ziel: Nichts weniger als die Begründung und empirische Verifizierung eines neuen Paradigmas. Wie die Herausgeber in der Einleitung deutlich formulieren, geht es darum, einen Perspektivenwechsel zu vollziehen – weg von einer auf Strukturen hinzielenden Analyse zu einer Netzwerktheorie (S. 6: „In fast, shifting from the concept of ‚structures’ to that of ‚networks’ [social and others] not only allows us greater temporal flexibility but also makes it easier for us to understand and to interpret the transmission of information, the transfer of recourses, and, not least, historical transitions.“). Sie weisen natürlich auch daraufhin, dass die Netzwerktheorie heute ein den Sozial- und Naturwissenschaften oft angewandtes Verfahren ist, um die Verbindungen zwischen sozialen Entitäten, deren Mustern und Implikationen zu erforschen. Als Grundlage dient die "Small-World-Theorie" nach der es möglich sein soll, dass man zwei beliebige Personen der Weltbevölkerung über maximal sechs Schritte miteinander verbinden kann. Das berühmte Beispiel des Spiels „Six degrees to Kevin Bacon“ wird zitiert, wonach jeder Hollywood-Schauspieler in einem Maximum von sechs Schritten über andere Bekannte mit dem Schauspieler Kevin Bacon in Verbindung gebracht werden kann.

Die Übertragung auf die Antike beruht auf der Grundannahme von Verbindungen zwischen interagierenden Einheiten: „In other words, small-scale social interaction is regarded as key to the creation and development of networks.“ (S. 4). Die Herausgeber betonen nachdrücklich, dass es nicht darum gehe, „a new term to existing debates“ einzuführen, „but to explore issues that the limits of current paradigms fail to address effectively“ (S. 6). Die Grenzen des eigenen Ansatzes sind den Herausgebern natürlich auch deutlich, da die Quellengattungen heterogen und die Möglichkeiten zu statistischen Auswertungen der antiken Quellen begrenzt sind (so auch Rutherford in seinem Beitrag: Network Theory and Theoric Networks, S. 35 und Collar in ihrer Zusammenfassung der möglichen Potentiale der Netzwerktheorie: Network Theory and Religious Innovation, S. 154). Daher wird auch von vornherein erklärt, dass die Einzelstudien des Bandes sich auf qualitative Aspekte in der Anwendung der Netzwerktheorie beschränken.

Allerdings wird manches an der ‚herkömmlichen‘ Methode sehr überspitzt, um den Nutzwert der eigenen Methode deutlicher herausstreichen zu können: zum Beispiel die Behauptung, dass die Historiker die griechische Polis als Schlüssel zur Einheit der griechischen Welt betrachten und es versäumt hätten, angemessene methodische und analytische Instrumentarien zu entwickeln, die die Vielfalt der griechischen Kulturen, ihre Verbindungen und Interaktionen erschlossen hätten (Vlassopoulos, Beyond and Below the Polis: Networks, Associations and the Writing of Greek History, S. 16,17). Hier liegt eine Auffassung zugrunde, die einer der Herausgeber, Irad Malkin, schon vor längerer Zeit geäußert hat1, indem er gängige Methoden der Altertumswissenschaften mit der Diskussion um den Postkolonialismus in Verbindung brachte. So hat er damals schon die Auffassung vertreten, die griechische Sicht der ‚Barbaren‘ „could provide historical depth to postcolonial critique, which could then contextualize itself not as an ad hoc field of study, bounded by the history of the fifteenth to the twentieth centuries, but as firmly relevant to past millennia and with universal implications for future history.“ (S. 341).

Dies ist eine etwas zu stark vereinfachende Sichtweise dessen, was in den letzten Jahrzehnten zu dieser Frage an Überlegungen vorgetragen wurde. Denn gerade die Beschäftigung mit den diskurs- und kontextanalytischen Zugängen hat sehr deutlich gezeigt, dass Identität und Alterität relationale Größen sind, die sowohl der Abgrenzung als auch der Verschränkung dienen können. Grenzüberschreitungen und Übergänge in den Bezugnahmen auf ‚Nicht-Zugehöriges‘ der Traditionen vom Selbst und vom Fremden zeigen sich in Formen von Koexistenz, Konvivenz, Nebeneinander und Pluralität und sind mindestens ebenso prägend wie die Formen der binären und exkludierenden Ausgrenzung. Obwohl die Antithese vom Gegensatz von Hellenen und Barbaren natürlich eng geknüpft ist an die ethnische Selbstdefinition der Griechen, auch in dem strukturellen Grundzug des Denkens in Polaritäten zu erkennen ist, so ist sie doch nur eine Spielart unter vielen. Gerade in der griechischen Historiographie sind die reflektierte Auseinandersetzung mit dieser Dichotomie und damit auch unterschiedliche Positionen immer wieder zu erkennen.

Gleiches könnte man im Fall der Xenia für den Beitrag von Stamatopoulou (Thessalians abroad, the Case of Pharsalos) anführen.2 Insofern ist die Frontstellung, die im vorliegenden Werk aufgebaut wird, um die Neuheit des eigenen Vorgehens zu begründen, nicht wirklich angebracht. Daher verwundert es auch nicht, wenn in mehreren Beiträgen, entweder die Netzwerk-Theorie gar nicht oder höchst skeptisch betrachtet wird (Hornblower, Did the Delphic Amphiktiony Play a Political Role in the Classical Period?; Davies, Pythios and Pythion: The Spread of a Cult Title; Osborne, What Travelled with Greek Pottery?).

Der eigene Anspruch „In conclusion: the concept of network can help us to write a new kind of Greek history, both below and beyond the polis.“ (Vlassopoulos S. 20) ist sicher bewusst ambitiös formuliert, wenngleich der vorsichtige Satz folgt: „Whether we will be able to benefit from this reciprocal problematique remains to be seen.“ Dieser Vorsicht und vor allem Offenheit im Hinblick auf die Tragfähigkeit des Netzwerk-Konzeptes für andere Epochen als die Gegenwart kann man nur zustimmen. Gleichwohl ist das Buch ein mutiger Versuch, das in anderen Wissenschaften wie den empirischen und theoretischen Sozialwissenschaften, aber auch etwa der Ethnologie bereits seit langem erfolgreich angewandte Netzwerk-Modell in der Alten Geschichte zu etablieren. Dieser Versuch ist, bei aller Mahnung zur Vorsicht, zu begrüßen und es ist zu hoffen, dass er weiterverfolgt und vertieft wird!

Anmerkungen:
1 Irad Malkin, Postcolonial Concepts and Ancient Greek Colonization, Modern Language Quarterly 65.3 (2004), S. 341-364.
2 Vgl. dazu Gabriel Herman, Ritualised Friendship and the Greek City, Cambridge, 1987.

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