C. Germond u.a. (Hrsg.): A History of Franco-German relations in Europe

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Titel
A History of Franco-German Relations in Europe. From "Hereditary Enemies" to Partners


Herausgeber
Germond, Carine; Türk, Henning
Erschienen
Basingstoke 2008: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
£ 47.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Nielsen-Sikora, Universität zu Köln

Vergleichsstudien zur demokratischen und politischen Identität der beiden Staaten wie zu Einzelaspekten ihrer Beziehungen, vom Élysée-Vertrag über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik bis hin zu gemeinsamen europäischen Initiativen und europäischen Wertediskussionen, aber auch Studien zum nationalen Feindbegriff und zum Selbstverständnis der deutsch-französischen Beziehungen seit der Wiedervereinigung sind kaum noch zu überschauen. Doch mit all diesen Vorgängerarbeiten möchte der Sammelband nicht konkurrieren. Es geht ihm vielmehr um eine Einführung in die Beziehungen und bilateralen Entwicklungen seit Beginn des 19. Jahrhunderts. In drei chronologisch arrangierten Sektionen mit insgesamt 21 Beiträgen werden die Beziehungen kenntnisreich dargestellt.

Nicht nur bei Nipperdey, auch bei Germond und Türk steht Napoleon am Anfang. So setzt der erste Teil mit 1815 ein und endet mit dem Ersten Weltkrieg. Er zeigt, dass seit 1815 Grenzdiskurse eine größere Rolle für Deutsche und Franzosen spielten als dies noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts der Fall war. Auch Fragen nach nationaler Identität rückten fortan stärker in den Vordergrund. Die Rheinkrise von 1840 war nicht zuletzt Ausdruck eines solchen Bewusstseinswandels. Doch schon die 48er-Revolution in Deutschland wurde von den Franzosen enthusiastisch aufgenommen, ehe sich alsbald Angst hinsichtlich eines vereinigten Deutschlands breit machte. Auf der anderen Seite waren die Deutschen misstrauisch gegenüber Napoleon III. In der Amtszeit des letzten französischen Kaisers etablierte sich dann auch das politische Konstrukt der „herditary enemies“. Nach dem Ende des deutsch-französischen Kriegs und dem Gang des Kaisers ins britische Exil sorgte Bismarck sowohl durch das Dreikaiserabkommen, einen Konsultativpakt zwischen den drei monarchisch regierten Staaten Russland, Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich, als auch durch das Kissinger Diktat von 1877 für weitere politische Spannungen. Bismarck sah sich durch eine antideutsche Koalition, die „cauchemar des coalitions“, beunruhigt und entwarf daraufhin das Idealbild eines politischen Szenarios, in welchem die übrigen Mächte außer Frankreich dem Deutschen Reich als Bündnispartner bedürften. Wichtiges Ziel der deutschen Außenpolitik in dieser Zeit war nicht zuletzt die Isolation Frankreichs. Das negative Franzosenbild auf politischer Ebene spiegelte sich nach 1871 auch gesellschaftlich in Autobiografien, historischen Abhandlungen und Romanen.

Nach 1877 verbesserten sich die Beziehungen Schritt für Schritt, ehe sie ab 1885 im Nachgang zur Kongokonferenz wiederum abkühlten. Vor allem die anhaltende Debatte über Elsaß-Lothringen trug dazu bei. Das Gebiet wurde mit dem Frieden von Frankfurt dem deutschen Hoheitsbereich, dem neu gegründeten Deutschen Kaiserreich angegliedert und galt seither als Belastungsprobe für die Beziehungen der beiden Staaten.

In einem diesen Zeitraum abschließenden Kapitel stellen Hugo Frey und Stefan Jordan einen freidenkenden wie überaus sachkundigen Vergleich zwischen dem deutschen Historiker Treitschke (1834-1896) und seinem französischen Kollegen Bainville (1879-1936) an.

Der zweite Teil fokussiert die Zwischenkriegszeit bis hin zu den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs. Sylvain Schirmann eröffnet die Diskussion mit der Charakterisierung der ersten Jahre der Zwischenkriegszeit als „Kalter Krieg“ zwischen Deutschland und Frankreich. Dieser „Kalte Krieg“ wurde insbesondere in der Auseinandersetzung um den Status des Ruhrgebiets ausgetragen. Die Zeit zwischen 1925 und 1929 seien durch Annäherungen geprägt, die auf Briand und Stresemann zurückzuführen wären. Sodann folgte, so Schirmann, eine Krisenzeit zwischen 1929 und 1933 sowie eine Zeit der Antagonismen zwischen 1933 und 1940.

Seit Ende der 1940er-Jahre stand dann vor allem Robert Schumans Idee einer europäischen Nachkriegsordnung mit enger Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich im Vordergrund. Sie bedeutete einen Wendepunkt der Beziehungen und langfristig die endgültige Überwindung des deutsch-französischen Antagonismus. In diesem Zusammenhang spielte die Kohle- und Stahl-Politik eine entscheidende Rolle. Die Diskussion hatte ihren Vorläufer in Emil Mayrischs Rolle innerhalb der Arbed (Acieries Réunies Burbach Eich Dudelange) in den 1920er-Jahren. Sie erlaubte Mayrisch nach der Wiederherstellung der deutschen Zollhoheit am 10. Januar 1925 direkte Kontakte zu den führenden Herren der Düsseldorfer Rohstahlgemeinschaft aufzunehmen und das so genannte Privatabkommen auszuhandeln. Diese für die Arbed-Filialen äußerst günstige Abmachung beinhaltete auch reichlich politischen Zündstoff, besonders mit Blick auf Frankreich und die angespannte Lage im Saarland bzw. wegen des lothringisch-luxemburgischen Eisenkontingents. Mayrisch zögerte denn auch nicht lange, die grenzüberschreitende Sonderstellung seines Konzerns auszunutzen, um dem für ihn gefährlichen deutsch-französischen Bilateralismus ein Ende zu bereiten. Mitte 1925 gelang es ihm, ein erstes, echt europäisches Gipfeltreffen der Stahlbarone zu veranstalten und damit den Grundstein für die weitere Verständigung der westlichen Stahlindustrie zu legen. Gleichzeitig schuf er damit, wenige Jahre vor seinem Tod 1928 den Durchbruch zu internationaler Anerkennung und Ruhm mit europäischer Dimension. Die EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) konnte so an das Mayrisch-Modell nach 1945 anknüpfen, um es schließlich neu durchzubuchstabieren.

Hiervon und von den Auswirkungen dieses neuen Modells handelt das dritte Kapitel des Buches. Ulrich Lappenküper fragt gleich zu Beginn, ob Deutschland und Frankreich unterwegs zu Erbfreunden seien. Diese Erbfreundschaft ist durch Adenauer, de Gaulle und die Schaffung der EGKS als dem Grundstein für eine langfristige politische Ehe zumindest früh vorstrukturiert worden. Ronald Granieri ergänzt diesen Gedanken, indem er das Verhältnis der beiden Staatsmänner als „more than a Geriatric Romance“ umschreibt. So fand denn auch zwischen 1950 und 1954 eine deutlich wahrnehmbare Bewusstseinsänderung in Frankreich im Hinblick auf die deutschen Nachbarn statt. Zu keiner anderen Zeit war das Konzept eines föderalen Europa als Bezugsrahmen einer europäischen Nachkriegsordnung so populär. Nach dem Scheitern der Fouchet-Pläne wurde die neue deutsch-französische Freundschaft 1963 durch den Élysée-Vertrag und im Rahmen der fortan institutionalisierten Konsultationen der beiden Staaten auch in den Folgejahrzehnten bekräftigt.

Die beiden abschließenden Beiträge rekurrieren einerseits auf die Rolle der SED und ihren Einfluss auf die deutsch-französischen Beziehungen sowie auf das Weimarer Dreieck, das 1991 durch Krzysztof Skubiszewski, Hans-Dietrich Genscher und Roland Dumas in die Wege geleitet wurde. Es gelte, so Polen, Frankreich und Deutschland damals, „die Netze der Kooperation immer dichter zu knüpfen, die die Völker und Staaten über einst trennende Grenzen hinweg auf allen Ebenen und in der ganzen Breite des Lebens miteinander verbinden. Wir brauchen eine Vielfalt von Beziehungen in Europa und zwischen seinen Regionen. Insbesondere durch grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit wird das Zusammenwachsen Europas für die Bürger erfahrbar. Sie ist zwischen Deutschland und Frankreich selbstverständlich geworden, an der Grenze zwischen Deutschland und Polen ist sie ein Schlüssel für die künftige Gemeinsamkeit der Staaten und ihrer Bürger. Es werden immer mehr gesamteuropäische konföderale Strukturen entstehen.“1

Der Band von Germond und Türk wird den eigenen Ansprüchen voll gerecht. Es geht ihnen nicht um die Vertiefung einer zeitlich begrenzten Epoche, sondern um ein Überblickswerk für die englischsprachige Fachwelt, die sich für die deutsch-französischen Beziehungen der letzten 200 Jahre interessiert. Es eignet sich hervorragend als Studienbuch und Einstiegslektüre in das Thema. Neue Erkenntnisse werden nicht präsentiert. Die Stärke liegt vielmehr in der lückenlosen Zusammenschau der deutsch-französischen Beziehungen, die sich von einer Erbfeindschaft hin zu einer stabilen Partnerschaft, ja Freundschaft entwickelt haben.

Anmerkung:
1 Vgl. die Gemeinsame Erklärung der Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen zur Zukunft Europas, Weimar, den 29. August 1991. Abrufbar unter: <http://www.weimarer-dreieck.eu>.

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