H.-D. Fischer u.a.: Der Pulitzer-Preis

Cover
Titel
Der Pulitzer-Preis. Konkurrenten, Kämpfe, Kontroversen


Autor(en)
Fischer, Heinz-D.; Fischer, Erika J.
Erschienen
Münster 2007: LIT Verlag
Anzahl Seiten
472 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Horst Pöttker, Fakultät für Kulturwissenschaften, Technische Universität Dortmund

Neben Nobel-Preisen und Oscars zählen die Pulitzer-Preise zu den bedeutendsten Auszeichnungen für kulturelle Leistungen. Seit 1917 werden sie in diversen Kategorien journalistischer und künstlerischer Arbeit von der New Yorker Columbia-Universität vergeben, wo auch ein ständiges Büro mit mehreren Mitarbeitern unterhalten wird. Heute gibt es nicht weniger als 21 Preisgruppen von den Verdiensten einer ganzen Zeitung für die Öffentlichkeit über investigative Recherche oder nationale Berichterstattung einzelner Redakteure bis zum historischen Roman, Theaterstück, zu Lyrik und sogar Musik.

Im neunzigsten Jahr ihres Bestehens hat das Bochumer Autorenpaar Fischer den Pulitzer-Preisen ein Buch gewidmet, das knapp und konkret über deren Entwicklung informiert und dabei fast zu einer kleinen Geschichte der USA im 20. Jahrhundert gerät. Im ersten Kapitel wird der Stifter Joseph Pulitzer (1847-1911) vorgestellt, der die prestigeträchtigen Auszeichnungen als Komponente der Journalistenausbildung an Universitäten betrachtete, zu deren Pionieren er gehört. Pulitzer, äußerst erfolgreicher Chefredakteur und Verleger von Zeitungen in St. Louis und New York, die nicht zufällig in den 1880er-Jahren, also während des großen Professionalisierungsschubs im amerikanischen Journalismus, zu Massenblättern avancierten, hat 1903 auch die berühmte Journalistik-Fakultät an der Columbia-Universität gegründet. Sie nahm erst nach dem Tod des Stifters ihre Arbeit auf, ebenso wie die erste Vergabe der Pulitzer-Preise posthum erfolgte. Bereits 1904 hatte Pulitzer allerdings in der „North American Review“ mit einem Aufsatz „The College of Journalism“ seine Pläne begründet. In dem klassischen Text zur Notwendigkeit wissenschaftlicher Journalistenausbildung steht der gewagte Satz: „Noch bevor dieses Jahrhundert zu Ende geht, werden journalistische Institute ebenso zur Hochschulausbildung gehören wie juristische und medizinische Fakultäten.“ (zitiert nach S. 6) Für die angelsächsische Welt, wo Öffentlichkeitsprinzip und Journalismus aufgrund der frühen Pressefreiheit besonders viel gelten, hat Pulitzer damit recht behalten. (Die meisten der heute über 100 Journalistik-Fakultäten in den USA sind in den 1920er-Jahren entstanden.) Für Deutschland mit seinen hinderlichen Traditionen der praxisfernen Wissenschaft und des Gesinnungsjournalismus leider nicht. Hier lassen sich die in den 1970er-und 1980er-Jahren gegründeten universitären Journalistik-Institute an einer Hand abzählen.

Die Preisträger wurden von Anfang an in einem mehrstufigen Verfahren ermittelt. Für jede Preiskategorie gibt es eine besondere Jury, die heute bis zu sechs Experten des jeweiligen Bereichs umfassen kann. Deren Vorschlagslisten gehen an die zweite Instanz, das Komitee des Pulitzer-Preises, das gegenwärtig aus 19 „celebrities“ der US-Medien besteht. „Das Komitee kann die Vorschläge der Jury akzeptieren, abändern oder sogar zu der Erkenntnis gelangen, daß überhaupt keine preiswürdige Arbeit in dieser oder jener Kategorie vorliegt.“ (S. 10) Der Präsident der Columbia-Universität schließlich unterzeichnet die Ehrenurkunden und vergibt die Geldpreise (heute 10.000 US-Dollar). Der Wert für die Preisträger besteht jedoch hauptsächlich im Prestigegewinn, obwohl die alljährlich im Mai stattfindende akademische Vergabefeier nicht im Fernsehen übertragen wird.

In den folgenden zehn Kapiteln gehen Heinz-Dietrich und Erika J. Fischer jeweils auf die zehn Jahrzehnte ein, in denen die Pulitzer-Preise vergeben worden sind.

In den Anfangsjahren stand naturgemäß der Erste Weltkrieg im Zentrum der ausgezeichneten journalistischen Arbeiten. Ein kurz nach Kriegseintritt der USA in einer Provinzzeitung aus Kentucky erschienener Artikel befasste sich zum Beispiel mit der Frage, ob die Pazifismus-Debatte in den USA durch die deutsche Propaganda gelenkt worden sei? Solche Fragen stellen wir uns auch heute, wenn es zum Beispiel um die Beeinflussung der Öffentlichkeit durch große Unternehmen geht. In den 1920er-Jahren spielten Schriftsteller eine wichtige Rolle. Sinclair Lewis, der sich mit dem Pulitzer-Komitee überworfen hatte, lehnte 1926 den Preis für seinen Roman „Arrowsmith“ ab, Thornton Wilder nahm ihn 1928 für „The Bridge of San Luis Rey“ an, ähnlich wie der Lyriker Robert Frost, der sogar vier Mal ausgezeichnet wurde.

Die 1930er-Jahre waren auch in Nordamerika die Zeit der großen Wirtschaftskrise und des – hier aus gewisser Ferne betrachteten – Nationalsozialismus. Anne O’Hare McCormick, die 1937 als Europa-Korrespondentin in die Phalanx der männlichen journalistischen Preisträger einbrach, hatte neben Hitler und Mussolini auch Stalin, Eden, Dollfuß, Schuschnigg und Stresemann interviewt. In den 1940er-Jahren konnte wieder nur der Krieg im öffentlichen Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, der seit jeher für Journalisten ein gefundenes Fressen ist, weil er eine ganze Reihe von Nachrichtenfaktoren wie Schaden, Gewalt, Bedrohlichkeit und Sensation auf einmal bietet. An seinem Ende wurden Karikaturen und Reportagen über die Bombardierungen deutscher und japanischer Städte preisgekrönt, an denen sich eine amerikanische Sicht auf diese Grausamkeiten ablesen lässt. „Empfindet man Mitleid mit den armen Teufeln da unten, die bald sterben werden?“, fragte sich William L. Laurence vor dem Abwurf der Atombombe auf Nagasaki und gab sich selbst in seiner Pulitzer-Reportage die Antwort: „Nicht, wenn man an Pearl Harbor denkt“ (S. 110).

Dass die sozialkritischen Roman-Autoren John Steinbeck und Upton Sinclair während des aufkommenden ideologischen Antikommunismus Preise erhielten, spricht für die Unabhängigkeit der Pulitzer-Gremien. 1957, in einer etwas ruhigeren Zeit und nach Preisen für Berichte und Fotos über den Korea-Krieg, Rassenkonflikte und dramatische Unfälle, erhielt der spätere Präsident John F. Kennedy für seine „Profiles in Courage“ mit Biografien besonders mutiger amerikanischer Politiker die begehrte Auszeichnung. Gerüchte über Zweifel an seiner Autorenschaft sind bis heute nicht verstummt.

Letztere steht bei zwei Preisträgern der 1950er- und 1960er-Jahre außer Frage: Ernest Hemmingway, den der langjährige Präsident der Columbia-Universität, Nicholas M. Butler, nicht mochte, erhielt 1953 für „Der alte Mann und das Meer“ den Preis in der Kategorie Fiction, ähnlich wie 1963 posthum William Faulkner für seinen letzten Roman, beide Autoren im Übrigen auch Nobelpreisträger. In derselben Zeit stand auch ein Nur-Journalist im Zentrum des Interesses der Juroren und des Komitees. Walter Lippmann war im Frühjahr 1961 in die Sowjetunion gereist, um Nikita Chruschtschow zu treffen. Seinen Interviews ist Weitsicht nicht abzusprechen. Dagegen ist der Preis von 1962 kein Beleg für Entsprechendes bei den Pulitzer-Gremien, denn da war die Berliner Mauer bereits gebaut.

Die Weiterentwicklung bis ins erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts lässt sich knapper schildern: die Stationen Vietnam-Krieg (das Massaker von My Lai, Seymour Hersh), Watergate (die „Washington Post“ insgesamt erhielt den Preis, nicht die individuellen Helden Bob Woodward und Carl Bernstein), Saul Bellows Roman „Humboldts Geschenk“ (noch ein Literatur-Nobelpreisträger) am Anfang der Carter-Präsidentschaft, die Pulitzer-Auszeichnung für die 1980 in der „Washington Post“ erschienene Heroin-Story „Jimmy’s World“, die die Autorin Janet Cooke von A bis Z erfunden hatte (ein Flop gehört dazu, selbst beim Pulitzer-Preis), und immer wieder eindringliche Berichte von Kriegen (Palästina, Irak, Ex-Jugoslawien, Afghanistan und wieder Irak), Naturkatastrophen (New Orleans) und Terrorakte (Amokläufe, 11. September 2001) sind uns noch allzu geläufig.

Das Buch ist reich, wenngleich nicht besonders gut bebildert, enthält einen brauchbaren Anhang mit Literaturliste, Namensregister und Listen der Preisträger in den verschiedenen Kategorien von 1917 bis 2006 und ist gespickt mit Zitaten aus vorbildlichen journalistischen und literarischen Werken. Wer Theorie sucht, etwa zu Entwicklungslinien im amerikanischen Journalismus oder zur Kanonbildung in den Öffentlichkeitsberufen, wird nicht fündig werden. Aber als erster, materialreicher und deshalb anschaulicher Einstieg in tiefer schürfende Fragestellungen und Forschungen ist das Buch gut zu gebrauchen. Und nebenbei zeigt es etwas, das in der deutschsprachigen Publizistikwissenschaft und Journalistik, die nicht völlig frei ist von antiamerikanischen Ressentiments, gern übersehen wird: Obwohl Modernisierung im Sinne funktionaler Differenzierung (also auch Professionalisierung des Journalismus), nirgendwo so weit vorangeschritten ist wie in Nordamerika, haben sich Journalismus und Literatur dort niemals völlig voneinander getrennt, sondern sind in enger Beziehung zueinander geblieben. Das spricht ebenso für die Realitätsnähe der amerikanischen Literatur wie für die narrative Qualität des amerikanischen Journalismus. Von beidem könnten die krisengeschüttelten deutschen Printmedien etwas lernen – denn deren Zukunft liegt offenbar nicht in der aktuellen Information, sondern in der gründlichen Recherche, in der differenzierten Analyse, in der Orientierung, mit einem Wort: im literarischen Niveau.

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