F. G. Maier: Nordost-Tor und persische Belagerungsrampe

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Titel
Nordost-Tor und persische Belagerungsrampe in Alt-Paphos.


Autor(en)
Maier, Franz Georg
Reihe
Ausgrabungen in Alt-Paphos auf Cypern 6
Erschienen
Anzahl Seiten
XXVI, 279 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Hülden, Institut für Klassische Archäologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Aufgrund anfänglicher Erfolge des Ionischen Aufstandes schlossen sich bekanntermaßen auch die kyprischen Stadtkönigtümer der Revolte gegen die Perser an (Hdt. 5, 104). Wie die ionischen Griechen konnten sich die Kyprier ebenfalls nur kurze Zeit gegen die Übermacht behaupten, und mussten sich, nachdem ihre Städte 498/497 v.Chr. allesamt durch Belagerung gefallen waren, erneut der persischen Herrschaft unterwerfen. Alt-Paphos war eine der belagerten kyprischen Städte, doch zum Ablauf des Kampfgeschehens vor seinen Mauern existiert keine literarische Überlieferung. Umso bemerkenswerter ist es daher, dass genau jener Teil seiner Stadtbefestigung ausgegraben worden ist, wo die Perser eine Belagerungsrampe errichtet hatten und wo sich die damaligen Vorgänge in erstaunlicher Weise rekonstruieren lassen: das so genannte Nordost-Tor.

Begonnen wurden die planmäßigen Ausgrabungen in Alt-Paphos durch die britische Kouklia Expedition – so benannt nach dem Namen des nahegelegenen modernen griechischen Dorfes – unter der Leitung von J. H. Iliffe im Sommer 1950. F. G. Maier hatte von 1953–1955 die örtliche Grabungsleitung auf dem als site KA bezeichneten Gelände des Nordost-Tores inne und setzte die Arbeiten nach der Zypernkrise und dem Tod Iliffes unter der Ägide des Deutschen Archäologischen Instituts von 1966–1996 fort. Von 1972 an beschränkten sich diese jedoch auf kleinere Nachuntersuchungen. Nachdem 1977 bereits die am Nordost-Tor gefundenen Waffen und Kleinobjekte sowie 1986 die in der Rampe verbauten wichtigen syllabischen Inschriften in je einem Band publiziert worden sind 1, legt Maier nunmehr die Dokumentation und Auswertung des Grabungsbefundes sowie eine umfangreiche Untersuchung zu dessen Baugeschichte vor. Ein letzter Band der Reihe wird sich schließlich mit den gleichermaßen bedeutenden, ebenfalls aus der Aufschüttung der Belagerungsrampe stammenden spätarchaischen Skulpturenfunden befassen, die offensichtlich wie die Inschriften aus einem nahegelegenen, von den Persern zerstörten extraurbanen Heiligtum stammen.

Weil es sich bei Maiers Buch um eine Grabungspublikation handelt, ergibt sich der Aufbau in gewisser Weise von selbst. So ist die Einleitung den einzelnen Etappen der Forschungsgeschichte gewidmet und verknüpft diese schon mit den folgenden Erläuterungen zu den methodischen Vorgehensweisen sowohl bei der Befund- als auch bei der Fundaufnahme und Dokumentation. Die methodischen Vorgaben waren aufgrund des Beginns der Grabungen in den 1950er-Jahren erwartungsgemäß erheblichen Veränderungen ausgesetzt, wobei es Maier nicht nur gelungen ist, selbst den nicht ganz einfachen Überblick zu behalten, sondern diesen jetzt auch den Lesern seiner Endpublikation zu vermitteln. Schon in der Einleitung fällt zudem die ebenso wohldurchdachte wie ansprechende Bebilderung des Buches ins Auge – ein Höhepunkt etwa unter den dramatis personae auf S. 5 Abb. 7: Kurt Bittel beim Besuch der Grabung mit Hut, Sonnenbrille, Schlips und messerscharfen Bügelfalten!

Auf die Einleitung folgt ein als Teil I bezeichnetes Kapitel, das sich mit den architektonischen Überresten und den Grabungsbefunden von der Archaik bis in die Kaiserzeit befasst und das Kernstück des Buches bildet, weshalb die folgenden Ausführungen auch weitgehend auf sie beschränkt sind: Innerhalb des Grabungsplatzes KA ist ein 124 m langer und mit einem Tor sowie einem Turm versehener Abschnitt der Verteidigungsmauer von Alt-Paphos gelegen. Diese Mauer besteht im wesentlichen aus einem Steinsockel und einem Lehmziegelaufbau, wobei sich die Bauweise und das Erscheinungsbild, etwa durch Einfügen quaderartiger Blöcke in den Sockel, aber auch durch das Vorblenden weiterer Mauerschalen, im Laufe der Zeit leicht veränderte. Fünf grundsätzliche, teils weiter differenzierte Bauphasen (I-V) kann Maier stratigraphisch und relativchronologisch voneinander unterscheiden. Drei von ihnen beziehen sich auf den Bau und Ausbau der Mauern selbst in archaischer Zeit (I, II, III A und III B), während die vierte (IV A und IV B) die schon erwähnte persische Belagerung und die fünfte (V A und V B) eine Erneuerung in spätklassischer Zeit betreffen. In Phase III B erhielten die Verteidigungsanlagen ihre vorerst endgültige Gestalt, indem sie, neben einigen Umbaumaßnahmen an den Mauern selbst, zusätzlich mit einem aus Berme, Trockengraben und Außenglacis bestehenden Vorwerk ausgestattet wurden. Auf dieses Befestigungswerk trafen dann zu Beginn des 5. Jahrhunderts v.Chr. die persischen Angreifer. Durch die Auswertung der Scherbenfunde in den entsprechenden Straten gelangt Maier zu einem Baudatum um oder kurz nach 700 v.Chr. für die frühesten Befestigungen (Phase I). Während sich die Phase II lediglich grundsätzlich in das 6. Jahrhundert v.Chr. einfügen lässt, sprechen die Scherben, die der dritten Bauphase zugerechnet werden können und hauptsächlich der Stufe Cypro-Archaisch II entstammen, für eine Einordnung in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts. Maier hält es sogar für denkbar, wenn auch nicht beweisbar, dass die genannten Umbauten und das Vorwerk erst kurz vor den drohenden militärischen Operationen der Perser in Kypern fertiggestellt wurden.

Maiers Darstellung und Einordnung der Baubefunde sind klar nachvollziehbar, was nicht zuletzt an der ausgezeichneten Bebilderung liegt. Im Hinblick auf seine Bewertung der Verteidigungsanlagen von Alt-Paphos erscheint mehrerlei hervorhebenswert: Zunächst einmal ist dem Autor sicherlich zuzustimmen, dass die Art der dortigen Toranlage im griechischen Raum keine Entsprechung besitzt, sondern wohl von orientalischen Vorbildern herzuleiten ist, obgleich „die spätarchaische Stadtbefestigung (…) als Ensemble keine direkte Parallele“ hat (S. 56). Ebenso nennt Maier bezüglich des vorgelagerten Verteidigungsgrabens assyrische Vorbilder und verweist zugleich darauf, dass Gräben bei griechischen Befestigungen der vorhellenistischen Zeit die Ausnahme zu sein scheinen (S. 38). Hier ist vielleicht anzumerken, dass Gräben im griechischen Raum womöglich in vielen Fällen nur nicht nachgewiesen sind bzw. dass zu diesem Phänomen eine systematische Zusammenstellung bislang fehlt. Schließlich streicht Maier zu Recht heraus, welche Bedeutung dem Nordost-Tor von Alt-Paphos „für die Interaktion zwischen dem Stand der Belagerungstaktik und der Entwicklung des Festungsbaus in der archaischen Zeit zukommt“ (S. 56).

Mit dem Zusammenhang zwischen Kriegsführung und Befestigungsarchitektur beschäftigt sich dann auch ein mit dem Titel „Belagerungsoperationen“ überschriebenes Unterkapitel, das zweifellos zu den fesselndsten des gesamten Buches gehört. Das Nordost-Tor war während der Belagerung von 498/497 v.Chr. nämlich heiß umkämpft. Mit einer persischen Sturmrampe und einem System von Gegenminen liegt hier ein nahezu einzigartiger archäologischer Befund vor, der es trotz gewisser Störungen erlaubt, die komplexen Vorgänge einer Belagerung in archaischer Zeit exemplarisch zu rekonstruieren. Im Hinblick auf die Bauweise der Rampe ist vor allem interessant, dass diese offenbar keine Verstärkung durch Baumstämme oder Zweige aufwies 2. Die Verteidiger versuchten auf zweierlei Art, die Rampe zum Einsturz zu bringen: Sie legten insgesamt vier unterirdische Stollen und zwei nach oben durch eine Holzdecke geschützte Laufgräben an, für die Maier vielleicht den nicht ganz passenden neuzeitlichen Begriff Sappen verwendet. In diesen Stollen und Gängen wurden zahlreiche Werkzeuge und Trinkgefässe gefunden, die geradezu als „Mineur-Normalausrüstung“ gelten können (S. 85) und die Versuche der Verteidiger, die persische Rampe zum Einsturz zu bringen, regelrecht handgreiflich machen.

Ebenso eindrückliches Zeugnis geben die weiteren Funde im Bereich des Nordost-Tores auch von den Kampfhandlungen. Neben den Überresten zweier Gefallener fanden sich zwei Helme, zahlreiche eiserne und bronzene Pfeil- und Wurfspeerspitzen, aber auch flache Steingeschosse, die laut Maier von den Verteidigern mit ihren Händen vom Wehrgang auf die Angreifer herabgeschleudert wurden 3. Am Ende der Stollen und Sappen waren zudem Hohlräume angelegt worden, die man mit Holzwerk abgestützt und durch in Bronzekesseln (in situ!) herangeschafftes Öl oder Pech in Brand gesetzt hatte, um die Rampe zu zerstören und das Heranführen von offensichtlich mehreren fahrbaren Rammböcken an das Tor zu verhindern. Ob dies gelang, ist aus dem archäologischen Befund nicht ersichtlich. Sicher ist hingegen, dass die Verteidiger die Perser letztendlich nicht aufhalten konnten. Vielmehr lässt der Befund keine Zweifel daran, dass die persischen Soldaten schließlich die hölzernen Flügel des Nordost-Tores in Brand setzten und unter erbitterter Gegenwehr in den Torhof und danach in die Stadt eindrangen.

Überraschend mag erscheinen, dass das schwer beschädigte Nordost-Tor nach der Belagerung für lange Zeit nicht wieder instand gesetzt wurde. Lediglich einige Aufräumarbeiten sind nachweisbar, bis die Verteidigungsanlagen um die Mitte des 4. Jahrhunderts v.Chr. wiedererrichtet wurden. Die Beseitigung der Rampe erschien dabei offenbar als zu aufwendig, weshalb sie durch eine separate Mauer eingefasst wurde. Gleichzeitig wurde die Außenfront der Stadtmauer zumindest im Sockelbereich mit Spiegelquadern verkleidet, wobei darüber vermutlich wieder ein Lehmziegelaufbau anzunehmen ist. Im Torraum entstanden drei Wachräume, und vor allem aus ihnen stammen die datierenden Funde dieser Erneuerungsphase (V A). Ein Bauopfer aus der Zeit um 300 v.Chr. bezeugt einen letzten Umbau des Tores (Periode V B), wobei die Anlage anscheinend schon kurze Zeit danach, das heißt bereits in frühhellenistischer Zeit, nicht mehr instand gehalten wurde und verfiel. Während Maier im Wiederaufbau des 4. Jahrhunderts v.Chr. „eine Konsequenz der grösseren politischen Bewegungsfreiheit“ erkennen möchte, „die Cyperns Könige in der Spätzeit des Achämenidenreiches gewannen“, erklärt er den Niedergang der Befestigungen plausibel mit einer Verkleinerung und einem Bedeutungsverlust der Stadt in den Wirren der frühen Diadochenzeit (S. 143–144). Die in der Kaiserzeit vorgenommenen und in einem weiteren Abschnitt behandelten Veränderungen (Periode VI) haben dann im Grunde nichts mehr mit der Verteidigungsanlage selbst zu tun. Ein zusammenfassendes Kapitel stellt schließlich die Verbindung zwischen Mauerbau und allgemeiner Stadtentwicklung bzw. historischem Hintergrund her und beendet Teil I des Buches.

Im folgenden Teil II sind zunächst die Funde – im Wesentlichen Keramik – und ihr jeweiliger stratigraphischer Zusammenhang zumeist tabellenartig dokumentiert. Es folgen eine quantitative Analyse des keramischen Materials sowie eine Zusammenstellung bislang nicht publizierter Waffenfunde. Teil III behandelt die Reste einer spätbronzezeitlichen Siedlung und einige Gräber entsprechender Zeitstellung, die ebenfalls im Bereich des Nordost-Tores angetroffen wurden und eine frühere Besiedlung des Ortes bezeugen. In Teil IV sind die zugehörigen spätbronzezeitlichen Keramikfunde katalogartig aufgelistet. Schließlich beschäftigen sich A. M. Snodgrass bzw. A. H. Jackson in zwei als Teil V bezeichneten Anhängen mit jeweils einem Helm von der persischen Belagerungsrampe. Während es sich bei dem einen um ein bronzenes Ganzstück korinthischen Typs mit figürlich verzierten Wangenklappen handelt, ist der andere aus Eisen und nur in Fragmenten erhalten, weshalb sich nur eine vage Typenzuordnung (ionisch/hybrid?) vornehmen lässt.

Maiers Monographie stellt im Wesentlichen eine Materialvorlage dar, weshalb eine breitere Diskussion seiner Ergebnisse im Rahmen einer Rezension schwerlich möglich ist. Seine Publikation des ebenso einzigartigen wie komplexen Grabungsbefundes vom Nordost-Tor in Alt-Paphos ist als mustergültig zu betrachten. Der Autor hat bereits mit seiner Untersuchung zu den griechischen Mauerbauinschriften auf dem Feld des antiken Befestigungswesens Maßstäbe gesetzt, die bis heute der Forschung als Orientierung dienen 4. Mit der jetzt vorliegenden Studie zu einem einzelnen Monument wird er ihr zweifellos einen ebenso nachhaltigen Impuls geben.

Anmerkungen:
1 Elisabeth Erdmann, Nordost-Tor und persische Belagerungsrampe in Alt-Paphos I. Waffen und Kleinfunde (= Ausgrabungen in Alt-Paphos auf Cypern 1), Konstanz 1977; Olivier Masson / Terence B. Mitford, Les inscriptions syllabiques de Kouklia-Paphos (= Ausgrabungen in Alt-Paphos auf Cypern 4), Konstanz 1986.
2 Maier verweist insbesondere auf den sich daraus ergebenden Gegensatz zur römischen Belagerungsrampe von Masada (S. 71, Anm. 212). Naheliegender wäre freilich schon der Hinweis auf die von den Spartanern errichtete, von einem Holzgeflecht eingefasste Rampe bei der Belagerung von Plataia im Sommer 429 v.Chr. gewesen, vgl. Thuk. 2, 75.
3 Damit rückt Maier ohne weitere Erläuterung von seiner früher vertretenen Hypothese ab, es könne sich um Geschosse handeln, die von den Persern mit Hilfe einer einfachen Form des Katapults gegen das Tor geschleudert worden wären. Diese frühere Auffassung ist neben anderen Indizien und dem Fund eines vergleichbaren Steins in einer Brandschicht, die der persischen Belagerung von Phokaia im Jahr 546 v.Chr. zugerechnet wird, zuletzt häufig zum Anlass genommen worden, die durch Diodor (14, 50, 4) bezeugte früheste Verwendung von Katapulten durch den griechischen Tyrannen Dionysios I. bei der Belagerung des punischen Motya anzuzweifeln, siehe etwa die Zusammenfassung bei Nicholas P. Milner, Conclusions and Recent Developments in: Anthony W. McNicoll, Hellenistic Fortifications from the Aegean to the Euphrates, Oxford 1997, 209–210. Trotz Maiers Neuinterpretation der Funde von Alt-Paphos dürfte die Diskussion um eine etwaige Herkunft des Katapults aus dem östlichen Mittelmeerraum jedoch nicht zum Erliegen kommen, wird aber an anderer Stelle zu führen sein.
4 Franz G. Maier, Griechische Mauerbauinschriften I–II (= Vestigia 1–2), Heidelberg 1959 und 1961.

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