B. Fulda: Press and Politics in the Weimar Republic

Cover
Titel
Press and Politics in the Weimar Republic.


Autor(en)
Fulda, Bernhard
Erschienen
Anzahl Seiten
342 S.
Preis
£ 55,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karl Christian Führer, Historisches Seminar, Universität Hamburg

In seiner Untersuchung, die als Dissertation an der University of Cambridge entstanden ist, fragt Bernhard Fulda nach der politischen Rolle der Tagespresse in der Weimarer Republik. Er versteht Tageszeitungen und Journalisten als Akteure, deren Handeln für die „Informiertheit“ der Zeitgenossen von entscheidender Bedeutung war. Es geht in „Press and Politics in the Weimar Republic“ also um „the importance of mass media texts and images for the perception and sense of reality of contemporaries“ (S. 8) und damit dezidiert um einen Beitrag zur Gesellschaftsgeschichte der Weimarer Republik.

Das Buch gliedert sich in sieben Abschnitte. Einleitend beschreibt Fulda die sehr vielgestaltige und politisch hochgradig fragmentierte Berliner Presselandschaft, auf die er sich im Folgenden hauptsächlich bezieht. Die nachfolgenden Kapitel untersuchen in verschiedenen chronologisch aufeinander aufbauenden „case studies“, wie wichtige Berliner Blätter von der kommunistischen „Roten Fahne“ bis hin zur erzkonservativen „Kreuz-Zeitung“ oder dem nationalsozialistischen „Der Angriff“ in den Jahren nach 1918 mit Nachrichten und Kommentaren Politik betrieben haben. Diese Methode erweist sich als gut geeignet, das nahezu uferlos breite Thema zu bearbeiten. Fulda zeigt etwa für die Jahre von 1918 bis 1924 am Beispiel von Matthias Erzberger und Adolf Hitler, wie politisch wirkungsmächtige „Media Personalities“ entstanden. Es folgt eine Analyse der Berichterstattung zu verschiedenen politischen Skandalen (etwa zum sogenannten „Barmat-Skandal“), die 1924/25 in der Berliner Presse viel Aufmerksamkeit fanden. Kapitel Vier öffnet ein neues Untersuchungsfeld: Es beschäftigt sich mit verschiedenen Tageszeitungen in kleinen Provinzstädten im Berliner Umland und mit ihrer Berichterstattung über Reichspräsident Hindenburg. In Kapitel Fünf und Sechs richtet sich der Blick wieder auf die großstädtische Berliner Presse: Der Autor untersucht hier für die Jahre 1928/30 zentral etwa die „press coverage“ für die NSDAP und Adolf Hitler während der Kampagne für das Volksbegehren gegen den Young-Plan sowie für die beiden letzten Jahre der Republik die Berichterstattung über politische Gewalttaten von Kommunisten und Nationalsozialisten. Die Schlussbetrachtung führt alle diese verschiedenen Fallstudien zu einigen zentralen Aussagen zusammen: Fulda findet in der Presse der Weimarer Republik „a strongly antagonistic nature of published political discourse“ (S. 206), der nach seiner Meinung direkte Folgen für das Handeln politischer Entscheidungsträger hatte, weil die politische Klasse die Bedeutung der ‚veröffentlichten Meinung‘ enorm überschätzte. Auch die Weltsicht lokaler und sozialer „opinion leaders“ wurde nach Fuldas Urteil entscheidend von der Presse geprägt. Zumindest bei bestimmten politischen Themen entdeckt der Autor zudem einen Einfluss der Zeitungen auf die ‚einfachen‘ Zeitungsleser: Dies gilt etwa für den Blick auf die Weimarer Justiz, die von Links bis Rechts beständig in der Kritik stand, sowie – wichtiger noch – für die Wahrnehmung kommunistischer Gewalttaten in den Jahren 1931/32, die von der gesamten nicht-kommunistischen Presse unisono zum massiven Problem ‚hochgeschrieben‘ wurden – was die NSDAP stärkte, die sich als innenpolitische Ordnungsmacht präsentierte.

Insgesamt bescheinigt Fulda der Tagespresse der Weimarer Republik, die sich typischerweise als „Weltanschauungspresse“ verstand, einen fatalen Einfluss: „Newspaper readers in Weimar Germany suffered from an excess of partisan information“ (S. 214). Mit ihrer gewollt einseitigen Nachrichtenpolitik habe die Presse die politischen und sozialen Spannungen in der deutschen Gesellschaft intensiviert und gerade in den Krisenjahren ab 1929/30 die Unzufriedenheit mit dem bestehenden politischen System verstärkt, wovon der Nationalsozialismus profitierte.

Mit „Press and Politics in Weimar Germany“ hat Bernhard Fulda ein wichtiges Buch vorgelegt, dessen Lektüre jedem zu empfehlen ist, der sich für die deutsche Geschichte in den Jahren 1918 bis 1932 interessiert. Die Beispiele für absichtsvoll verzerrte Pressedarstellungen und politisch motivierte Skandalisierungen, die er bietet, sind mehrheitlich ebenso eindrucksvoll wie überzeugend. Lediglich in dem Versuch, die Gewalt der KPD in den Jahren 1931/32 als ‚Dramatisierung‘ der Presse zu sehen, scheint mir Fulda zu weit zu gehen: Politischer Terror kennt auch andere Formen als den politischen Mord.

Besonders hervorzuheben ist das Kapitel über die Kleinstadtzeitungen im Berliner Umland. Hier betritt Fulda terra incognita, denn solche Provinzblätter und ihre publizistischen Strategien sind bislang kaum untersucht worden. Fulda zeigt eindringlich, dass diese mehrheitlich nicht eindeutig parteigebundenen Blätter im Wahlkampf für das Amt des Reichspräsidenten im Jahr 1925 dennoch unverblümt Politik trieben: Sie schwiegen den Zentrumspolitiker Wilhelm Marx und seine Wahlkampagne weitgehend tot, während Paul von Hindenburg als politische Lichtgestalt und unbedingt vertrauenswürdiger „Führer“ des deutschen Volkes präsentiert wurde. Durch den Rückgriff auf lokale Wahlergebnisse lässt sich der Einfluss dieser Kampagne genauer bestimmen: Sie war überall dort besonders erfolgreich, wo keine konkurrierende liberale oder sozialdemokratische Lokalzeitung existierte, die das einseitige Bild korrigierte. In einem zweiten Schritt erweitert und differenziert Fulda dieses Resultat. Er zeigt, dass eine vergleichbar einseitige Berichterstattung der konservativen Lokalblätter über das kommunistisch inspirierte Volksbegehren für die entschädigungslose Enteignung der deutschen Fürstenhäuser die Wähler im ländlichen Umland der Reichshauptstadt weniger stark beeinflusste. Das (letztlich erfolglose) Volksbegehren vom 20. Juni 1926 fand auf dem Land teilweise mehr Unterstützung als die Präsidentschaftskandidatur von Hindenburg und auch deutlich mehr Stimmen, als SPD und KPD zusammen bei Reichstagswahlen erringen konnten. Ein Eigensinn der Wähler existierte offensichtlich selbst in Lebenswelten, die von konservativ-republikfeindlichen Medien beherrscht wurden.

Auch Fuldas Untersuchung der Presseberichterstattung über das Volksbegehren gegen den Young-Plan von 1929 kann als besonders verdienstvoll gelten. Er korrigiert hier die oft vertretene These, die bürgerliche Presse habe die NSDAP in dieser Kampagne als ernst zu nehmende politische Kraft ‚entdeckt‘ und popularisiert. Der Dissens zwischen den Nationalsozialisten und der DNVP bestimmte vielmehr gerade auch im Jahr 1929 das mediale Bild der Partei: Hitlers Unterstützung für das Volksbegehren wurde in vielen konservativen Blättern kaum erwähnt. Stattdessen präsentierten sie den DNVP-Vorsitzenden Alfred Hugenberg als dessen Mentor. Das klägliche Scheitern des Volksbegehrens (das kaum ein Fünftel der Unterstützung gewann, den der Gesetzentwurf für die Fürstenenteignung gefunden hatte) erschien in der bürgerlichen Presse mithin zwangsläufig als Hugenbergs persönlicher Misserfolg. Politisch gestärkt wurde die NSDAP also gerade, weil sie sich von den Aktivitäten des Reichsausschusses für das Volksbegehren fern gehalten und ihre eigene Kampagne betrieben hatte.

Anders als bei sehr vielen anderen Dissertationen, die versuchen, ihren wissenschaftlichen Rang durch überbordenden Detailreichtum zu belegen, wünschte man sich gelegentlich, Fuldas Buch wäre etwas länger und damit ausführlicher. Dies gilt insbesondere für das Einleitungskapitel, das die Berliner Presselandschaft im Überblick für die Jahre 1918 bis 1932 vorstellt. Genauere Informationen über die Auswirkungen sowohl der Inflation in den Jahren bis 1923/24 als auch der Weltwirtschaftskrise ab 1929 auf die Zeitungsverlage und ihre Geschäfte sollten trotz des massiven Mangels an Primärquellen möglich sein. In diesem Zusammenhang ist auch zu vermerken, dass Fulda offensichtlich die wichtige Studie von Elizabeth Krauss „Die Familie Mosse“ (München 1999) ignoriert oder übersehen hat. Da der Mosse-Verlag mit verschiedenen Blättern den Berliner Pressemarkt entscheidend prägte, ist diese Lücke recht verblüffend.

Insgesamt wiegen diese Einwände aber gering: Nicht nur als mediengeschichtliche Studie, sondern gerade auch als Beitrag zur Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Weimarer Republik ist Fuldas Untersuchung von großer Bedeutung.

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