W. Fritz: Finanzminister Emil Steinbach

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Titel
Finanzminister Emil Steinbach. Der Sohn des Goldarbeiters


Autor(en)
Fritz, Wolfgang
Reihe
Austria Forschung und Wissenschaft Soziologie 5
Erschienen
Münster 2008: LIT Verlag
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Waltraud Heindl, Institut für Geschichte, Universität Wien

Dem Sohn eines Goldarbeiters, wie der Titel des vorliegenden Buchs besagt, aus einer (zum Katholizismus konvertierten) jüdischen Familie stammend, war eine Karriere bis zum Minister nicht gerade in die Wiege gelegt worden. In einer Welt, wo ein akademisches Studium und die Arbeit im Staatsdienst vorwiegend Söhnen aus bürgerlichem Haus vorbehalten war, repräsentiert das Leben des Emil Steinbach (1846–1907) eine Ausnahme, zeigt aber zugleich die geradezu klassische Möglichkeit des bürgerlichen Aufstiegs, der in der österreichisch - ungarischen Monarchie über Studium und Staatsdienst möglich war. Allerdings musste man dazu besondere Fähigkeiten aufweisen und eine Portion Glück besitzen. Das Glück hatte er in Gestalt seiner Mutter, die alles daran setzte, „ihre Kinder in der bürgerlichen Welt vorwärts zu bringen“ (S. 6) und trotz der engen Grenzen des Familienbudgets für den entsprechenden Unterricht sorgte. Vielseitige Fähigkeiten, vor allem für sein Lieblingsgebiet, die Rechtswissenschaften, die laut zeitgenössischem Urteil „ans Wundersame“ (S. 11) grenzten, brachte er selbst mit.

Wolfgang Fritz, selbst ein Beamter des Finanzministeriums der Zweiten Republik Österreich, skizziert die Karriere des Emil Steinbach genau: seine Ausbildung an Schule und Universität, sein Arbeitsleben als Konzipient in einer Rechtsanwaltskanzlei, als Dozent und Professor an der Wiener Handelsakademie (Handelshochschule), später auch an der Orientalischen Akademie, als junger Konzipist im Justizministerium (1874). Ausführlich beschäftigt sich der Autor mit dem Aufstieg Steinbachs in diesem Ministerium: während der (konservativen) Ära Taaffe 1890 wird er zum Sektionschef, am 2. Februar 1891 als Krönung seiner Laufbahn zum Finanzminister (bis 11. November 1893) bestellt. Danach wird er Höchstrichter: Ende November 1893 Senatspräsident des Obersten Gerichtshofes, 1899 Zweiter Präsident des Obersten Gerichtshofes, 1904 Präsident des Obersten Gerichtshofes. Kaiser Franz Joseph ernannte ihn 1899 zum Mitglied des Herrenhauses. Soweit das arbeitsreiche Leben des Emil Steinbach. Für Privatleben war nicht viel Zeit, Steinbach blieb Junggeselle.

Der Autor setzt den Akzent – mit Recht – auf die theoretischen und praktischen Reformarbeiten Steinbachs, die von einem starken sozialen Engagement getragen waren, wohl geprägt von der finanziellen Dürftigkeit seiner eigenen Familie. Der Vater, eingewandert aus Budapest, wurde bald vom kleinen Gewerbetreibenden zum Arbeiter. Schon im Schulalter sorgte Emil für sich und seine drei Geschwister und unterstützte die Familie durch Nachhilfeunterricht.

Für die Öffentlichkeit der Gründerzeit entwickelte der hohe Beamte ein erstaunliches moralisches Credo: Besitz verpflichte! Er erteilt damit dem Zeitgeist und der entsprechenden Wirtschaftspolitik, die Steinbach zufolge auf „eigennütziger egoistischer Ausartung oder Übertreibung des wirtschaftlichen Selbstinteresses“ beruhe, eine Abfuhr, gleichzeitig setzt er dem menschlichen Egoismus, dem angeblichen „Movens und Agens des Konkurrenzkapitalismus“, andere Motivationen entgegen: Liebe, Pflichtgefühl, Familiensinn, Gemeinsinn und religiöse Anschauung“, die weniger die Gefahren der menschlichen Ausbeutung, so Steinbach, in sich trügen (Vortrag von 1885, S. 62 ff). „Es habe sich gezeigt, dass sich der Glaube an die freie Art des Wettbewerbs – entwickelt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - nicht lange gehalten habe, … die Erfahrung weniger Jahrzehnte reichte hin, um den Beweis zu führen, dass auf diesem Wege nichts weniger erreicht werde als die erhoffte allgemeine Zufriedenheit. Der schrankenlose Wettbewerb der heutigen Wirtschaftsordnung bedroht die Existenz zahlloser und zwar nicht bloß wirtschaftlich ganz schwacher Personen“, so Steinbach in seinem Vortrag „Erwerb und Beruf“ 1896 (S. 190). Der Staat sei dazu verhalten, Eigentum zugunsten anderer, Besitzloser, sogar durch Eindämmung des freien Wettbewerbs zu beschränken (Vortrag 1902, S. 196ff.). Er erachtete eine progressive Einkommenssteuer, die Erhöhung der Sätze der Erbschaftssteuer, die Umlegung einer hohen Börsensteuer sowie entsprechende Abgabegesetze als geeignete Instrumente für staatliche Eingriffe. Kein Wunder, dass Steinbach in sozialer Hinsicht als weit links stehend galt, in die Nähe des so genannten Kathedersozialismus gerückt wurde, obwohl er praktizierender Katholik war (S. 106).

Die Sozialgesetzgebung Bismarcks im Deutschen Reich bot Anregung und Möglichkeit, seine Gesetze bei Regierung und Parlament durchzusetzen. Die katastrophale Lage der Arbeiterschaft, der Steinbachs besonderes Interesse galt – zu niedrige Löhne, Frauen- und Kinderarbeit, mangelnde Unfall-, Kranken- und Invaliditätsversicherung, fehlende Altersversorgung und Arbeitszeitbegrenzung sowie unhygienische Arbeitsverhältnisse (S. 49-59) – boten Gefahren für den Staat.

Auf dem praktischen Arbeitsfeld hatte Steinbach reichlich Gelegenheit seine sozialen Ideen in die Gesetzgebung einzubringen. Er war bereits 1879 Vertreter des Justizministers in der Kommission zur Reform der Gewerbeordnung, die bezüglich der sozialen Gesetzgebung auf drei Ebenen erfolgte: erstens sollten die Anliegen der kleinen Meister befriedigt werden, die durch die liberale Gewerbeordnung von 1859 in Bedrängnis geraten waren, zweitens sollten Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter, wie die Institution der Gewerbeinspektorate, und drittens ein soziales Netz, eine Unfall- und Krankenversicherung, geschaffen werden. Wolfgang Fritz unterzieht die Gesetzesentwürfe Steinbachs und seine Strategien, diese als Referent und Regierungsvertreter im Parlament durchzusetzen sowie auch seine Mitwirkung bei der Reform der Zivilprozessordnung, einer eingehenden Würdigung. Aus der Zeit als Finanzminister werden Steinbachs Leistung bei Erstellung des Budgets, vor allem bei der Steuer- und Valutareform, beschrieben.

Fritz stand als Quelle das Privatarchiv des Emil Steinbach zur Verfügung. Er benützte Steinbachs reichliches Schriftgut (27 Publikationen), Zeitungsartikel und einige (wenige) Dokumente aus Wiener Archiven. Die Persönlichkeit arbeitete er aus zeitgenössischen Beschreibungen heraus. Historiker und Historikerinnen werden sich hin und wieder die genauere Einordnung der Persönlichkeit Steinbachs in den politischen Kontext, manchmal minutiösere Zitate wünschen sowie einige wichtige Werke der Sekundärliteratur für diesen Zeitraum vermissen. Dafür lernen wir viel über die Gesetzgebung und das Rechtsdenken der Zeit. Zu danken ist dem Autor, dass eine imposante Beamten- und Politikerpersönlichkeit der Vergessenheit entrissen wurde. Steinbachs Tätigkeiten, seine fundamentale humanistische Ausbildung und seine sozialen Ideen könnten gerade in heutiger Zeit als Vorbild für verantwortungsvolle Politik dienen. Die Krisen der so genannten Gründerzeit muten heute allzu bekannt an.

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