Cover
Titel
Black Market, Cold War. Everyday Life in Berlin, 1946-1949


Autor(en)
Steege, Paul
Erschienen
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
$ 80.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Zierenberg, Humboldt-Universität zu Berlin

Paul Steege hat mit “Black Market, Cold War” ein Buch geschrieben, das einen neuen Blick auf bekannte Themen verspricht: die Nachkriegsjahre zwischen 1946 und 1949 in Berlin und den beginnenden Kalten Krieg. In seiner gut geschriebenen Studie plädiert Steege für eine neue Perspektive auf das Leben in der Vier-Sektoren-Stadt. Im Kern geht es ihm um eine Analyse der Verschränkung von Alltagspraxen “on the ground” und der “hohen Politik”. Steege will eine Geschichte “from the inside out” schreiben, eine Geschichte, die sich eher “kleinen” Personen und alltäglichen Orten und Handlungen zuwendet, statt sich zum wiederholten Mal der bekannten Topoi einer Berliner Nachkriegsgeschichte zwischen Parteiversammlungen, Außenministerkonferenzen und der Luftbrücke zu widmen. Das klingt zunächst sympathisch und in der Tat steckt Steege in seiner Einleitung einen anregenden Forschungsansatz ab, der mit einer eigenständigen Problemstellung aufwartet und interessante Deutungslinien skizziert.

Steeges einleitende Ausführungen kreisen um die Frage “how everyday life mattered for the way the Cold War worked” (S. 15). Seine Ausgangshypothese kann einerseits – wirft man einen Blick auf die Vielzahl mikrohistorischer Arbeiten, die einen akteursorientierten Ansatz wählen – als gut erprobt gelten: Steege geht davon aus, dass die sich abzeichnenden Konturen des Kalten Krieges nicht nur das Ergebnis von Auseinandersetzungen auf der Ebene “hoher Politik” waren, sondern in einem komplexen Wechselspiel zwischen unterschiedlichen Akteuren und Akteursgruppen ausgehandelt wurden. Steege wendet sich für sein Hauptargument allerdings einer sehr großen Akteursgruppe zu und spannt einen thematisch weiten Bogen. Seine Hypothese lautet: “’everyday Berliners’ became vital shapers of an international Cold War” (S. 15). In den folgenden sechs Kapiteln versucht er den Beweis für diese Behauptung anzutreten und die Wege nachzuzeichnen, die dabei zwischen Oktober 1946 und Juni 1949 beschritten wurden.

Das erste Kapitel wendet sich, nach einigen etwas redundant wirkenden Wiederholungen der Ausgangsthese, den Schwierigkeiten des Nachkriegsalltags in Berlin zu und ruft bekannte Stichworte in Erinnerung: von den Zerstörungen, über das Problem der Flüchtlingsströme bis hin zu den drängenden Versorgungsschwierigkeiten. Im Zusammenhang mit dem Rationierungssystem und der zeittypischen „Economy of Connections“ kommt Steege auf unterschiedliche alternative Formen des „Besorgens” zu sprechen: kleinere Diebstähle, Hamsterfahrten ins Berliner Umland oder auch Tauschgeschäfte aller Art. Steege deutet diese – hier nur in Teilen wiedergegebenen – Praktiken einer zwischen legal und illegal changierenden Alltagsökonomie als Möglichkeitsraum, in dem „die Berliner” ihren eigenen Umgang mit unterschiedlichen Versorgungsstrategien entwickelten. Hilfreich sei dabei gewesen, dass der illegale Handel allmählich seinen illegalen Charakter verloren habe und in Teilen zu einer normalen Praxis geworden sei. Ein Blick auf den Berliner Schwarzmarkt, der auf der Mikroebene nach kreativen Umgehungspraktiken frage, könne diese lesen „as manifestations of [the Berliners] everyday power to shape their world in spite of occupiers‘, municipial authorities‘, and party political leaders‘ various claims to power“ (S. 56). Unterschiedliche Beobachter hätten den Schwarzmarkt und das Alltagsleben in der Stadt immer wieder aufs Neue bewertet und so ein Set von Bedeutungen konstruiert, „that (…) served to define and/or justify the attempt to enact certain relationships of power within Berlin“ (S. 59). Solche behauptenden Sätze ließen sich noch etliche zitieren. Allein, wie genau das aussah und wie weit die Macht einzelner Akteure oder Akteursgruppen reichte, wird nicht recht deutlich.

Im zweiten Kapitel, das Steege unter die Überschrift „Rolling back Soviet Power“ stellt, geht es vor allem um die Niederlage der SED bei den Oktoberwahlen des Jahres 1946, die mit knapp 20 Prozent der Stimmen weit weniger Zustimmung erhielt als SPD und CDU. Steege zeichnet mit Umsicht die Vorgeschichte der Wahl und die mannigfaltigen zeitgenössischen wie historischen Gründe für das schlechte Abschneiden der SED nach. Daneben weist er eindrücklich darauf hin, dass die „unnormalen“ Lebensumstände den alternativen Praktiken der Berlinerinnen und Berliner bei der Bewältigung ihres Alltags Vorschub leisteten und damit im Widerspruch zu den kontrollfixierten Politikvorstellungen der SED-Führung standen; ein „eigensinniges“ permanentes Unterlaufen einer steuerungsorientierten Politik, das einen Niederschlag – so die These – eben auch in der Ablehnung bei den Oktoberwahlen fand. Die Frage, auf welche Weise eine solche Ablehnung bei Wahlen mit den von Steege geschilderten Beispielen für die alltägliche Gestaltungsmacht „der Berliner“ in Beziehung zu setzen wäre, bleibt offen.

In seinem dritten Kapitel, „June 1947: Berlin Politics in the Shadow of the Black Market“ wendet sich Steege einigen Problemen zu, die den engen Zusammenhang zwischen lokalen Entscheidungssituationen und internationaler Politik markieren und seine These von der engmaschigen Verbindung zwischen „Straßenpolitik“ und „hoher Politik“ belegen sollen. Anhand einzelner Beispiele beschreibt er, wie die Versuche, den Hungerwinter 1946/47 zu überstehen und allgemein den Mangel als das omnipräsente Grundproblem in den Griff zu bekommen, nicht nur mit ideologisch motivierter Personalpolitik, sondern auch mit unterschiedlichen Ansätzen für eine neue internationale Ordnung verwoben waren.

Das vierte Kapitel, „March 1948: Berlin and the Struggle for the Soviet Zone“, beginnt mit den politischen Auseinandersetzungen um eine angemessene, auf die zeitgenössischen Umstände bezogene Deutung des 18. März 1848, die das Thema der nationalen Einheit Deutschlands aufgriffen. Steege schildert hier die „verbal clashes“ zwischen den politischen Parteien, aber auch Konflikte, die „unterhalb“ offizieller parteipolitischer Konstellationen bei den konkurrierenden Massenveranstaltungen ausgetragen wurden. Er zeichnet die Bemühungen der SED nach, die nationale Frage zu usurpieren, und beschreibt die Märzauseinandersetzungen im Zusammenhang mit den Versuchen der Ostberliner Führung, Ordnung in das politische Chaos des Berliner Alltags zu bringen. Der März als „opening scene“ des „final collpase of alliied cooperation“ fand, darauf weist Steege nachdrücklich hin, in einem „context of ongoing boundary crossing“ (S. 150) statt, der die Schwäche der vielen Ordnungsversuche illustrierte. Der Schwarzmarkt und die in seinem Umfeld angesiedelten illegalen Praktiken dienten als Argumentationshilfe, um das bereits vor der Blockade implementierte rigide Grenzkontrollregime zu rechtfertigen. Wie Steege aufzeigt, waren diese Maßnahmen jedoch erfolglos, weil das drakonische Vorgehen der Polizei im Ostsektor und an der Grenze zu Brandenburg einerseits Erinnerungen an die noch nicht lange zurückliegenden Gewalterfahrungen der Berliner mit der Roten Armee wach rief und andererseits das Problem einer als ungerecht empfundene Behandlung durch „Schieber“ und korrupte Ordnungshüter nur auf einen anderen Kampfplatz verlagerte.

Die Hauptthese von „Black Market, Cold War“, die Bewohner Berlins seien als machtvolle Akteure im Kontext des beginnenden Kalten Krieges ernst zu nehmen, wird auch im fünften Kapitel wieder aufgegriffen, in dem Steege sich dem Potsdamer Platz als Austragungsort zuwendet, auf dem im August 1948 gewissermaßen ein „battle oft he Cold War“ im Kleinen stattfand. Die Auseinandersetzungen anlässlich zweier Razzien am 19. August, die sowohl eine Konfrontation zwischen Schwarzhändlern und der Polizei als auch zwischen sowjetischen, britischen und amerikanischen Akteuren umfassten, ließen sich, so Steege, als Kampf um ein spezifisches „symbolic coding“ des Platzes analysieren, der in mancher Hinsicht den Kampf um die Bedeutung der Stadt im Kalten Krieg vorwegnehmen sollte. Hier, wie auch in den Abschnitten zur Demonstration am Berliner Stadthaus und der Währungsfrage, sieht Steege die sowjetische und Ostberliner Seite letztlich immer in der Defensive. Und das vor allem, weil sie in allen Fragen einer restriktiven Ordnungspolitik den Vorzug gegeben habe, die sich schlicht nicht umsetzen ließ oder nur gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt werden konnte. Das Ende der Blockade deutet Steege, im sechsten und abschließenden Kapitel, als logisches Scheitern dieser Politik, das schließlich den Weg geöffnet habe für eine den gesamten Kalten Krieg auszeichnende Konstellation des limitierten Konflikts.

Steege hat mit „Black Market, Cold War“ ein gut lesbares Buch geschrieben, das eine vernachlässigte Perspektive auf das Wechselspiel von Mikro- und Makrogeschichte, von Berliner „Straßenpolitik“ von unten und internationaler Politik in die Diskussion um die Anfänge des Kalten Kriegs einführt. Einige Bedenken aber bleiben. Zum einen wird nicht immer hinreichend klar, ob (und wenn ja, woran) Steege eigentlich die Reichweite der „agency“ unterschiedlicher Akteure messen will. Das aber wäre notwendig; und zwar sowohl mit Blick auf unterschiedliche Akteure als auch mit Blick auf unterschiedliche Praktiken. Die Schwäche etwa der sowjetischen Seite und der SED angesichts der anarchisch vor sich hin handelnden und unkontrollierbaren „Berliner“ relativiert sich schnell, wenn man den Blick auf zeitgenössische Erfolge bei der Etablierung einer neuen politischen Ordnung in Ostberlin richtet – von der Folgegeschichte ganz zu schweigen. Oder sollte man die „agency“ der Berliner des Jahres 1949 letztlich nur vor dem Hintergrund von „1989“ lesen und verstehen können?

Letztlich kann Steege kaum plausibel erklären, worin eigentlich der Gestaltungsspielraum der Akteure „on the ground“ dauerhaft zum Ausdruck gekommen sein soll und wie der Bogen zwischen dem Handeln auf der Straße und dem Kalten Krieg als internationalem Ereignis genau zu fassen wäre. Die Gestaltungsspielräume von Akteuren lassen sich zwar nicht exakt vermessen, aber beispielsweise müssten die Unterschiede zwischen der Stimmabgabe bei einer Wahl und (routinierten) illegalen Praktiken problematisiert und ihr Einfluss auf die weitere Entwicklung plausibel gemacht werden.

Zudem fehlt Steeges Darstellung die Kontextualisierung. Das betrifft zwei Themenkomplexe: die Vorgeschichte der internationalen Konfliktsituation und die der Auseinandersetzungen um legales oder illegales Verhalten in Berlin. Indem Steege kaum auf das Jahr 1946 eingeht, unterschlägt er gerade jene Diskussionen und Auseinandersetzungen auf der Ebene „großer Politik“, die zu einem guten Teil den Rahmen für die Geschichten absteckten, die er analysiert. Zudem blendet Steege die seinem Untersuchungszeitraum vorgelagerten Auseinandersetzungen um den Schwarzhandel aus. Die Praktiken, von denen Steege meint, dass sie allmählich zum Alltagshandeln dazugehörten, stehen deshalb seltsam isoliert und ohne Vorgeschichte da.

Insgesamt bleibt damit ein zwiespältiger Eindruck. Steeges Buch eröffnet einerseits einen interessanten Fragehorizont und gibt Hinweise auf eine neue Lesart der Frühphase des Kalten Krieges. Andererseits aber bleibt der Eindruck, dass die immer wieder wiederholte Behauptung von der machtvollen Rolle „der Berliner“ in diesem Zusammenhang nicht wirklich durch die Analyse eingeholt wird.

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