L. Gall u. a. (Hrsg.): Bismarcks Mitarbeiter

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Titel
Bismarcks Mitarbeiter.


Herausgeber
Gall, Lothar; Lappenküper, Ulrich
Reihe
Otto-von-Bismarck-Stiftung, Wissenschaftliche Reihe 10
Erschienen
Paderborn 2009: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
XVI, 205 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hartwin Spenkuch, Akademievorhaben Preußen als Kulturstaat, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

„Der junge Alexander eroberte Indien. Er allein? Caesar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer siegte außer ihm?“ Diese dichterische Fragestellung Bert Brechts gilt natürlich auch für den heroisierten Reichsgründer, dessen außenpolitische Mitarbeiter bereits der Historiker Hans Goldschmidt in den 1930er-Jahren untersuchte. 2007 widmete die Friedrichsruher Bismarck-Stiftung zehn engen persönlichen Mitarbeitern Bismarcks eine Tagung, aus der der vorliegende Band hervorging.

Die Autoren haben meist schon früher über die von ihnen Porträtierten gearbeitet: Konrad Canis über Herbert von Bismarck, Christoph Studt über Lothar Bucher, Florian Tennstedt über Theodor Lohmann, Vera Niehus über Paul von Hatzfeldt, Eberhard Kolb über Moritz Busch, zuletzt Wolfgang Frischbier über Heinrich Abeken und Henning Albrecht über Hermann Wagener. Bezüglich Rudolph (von) Delbrücks stützt sich Rudolf Morsey auf seine bekannte Arbeit zur obersten Reichsverwaltung 1867 bis 1890, und Hans Fenske steuert aus der reichhaltigen Literatur elf Seiten zur Laufbahn Friedrich von Holsteins bis 1890 bei. Umstürzend Neues lernen wir aus all diesen biographischen Skizzen nicht. Jedoch fassen Meister ihres Gebiets wie Florian Tennstedt den Forschungsstand zu ihrem Protagonisten souverän zusammen, benennt Henning Albrecht unzweideutig die antisemitischen bzw. antikatholischen Stränge in Wageners Sozialkonservatismus und rekonstruiert Wolfgang Frischbier die inneren Vorbehalte des protestantischen Theologen Abeken gegen Bismarcks Weg in den Kulturkampf. Insgesamt wird klar: Bismarck – wie die meisten Machtmenschen vor und nach ihm – benutzte seine Mitmenschen für seine aktuellen Zwecke und servierte diese Helfer nach Bedarf bedenkenlos und zuweilen undankbar wieder ab.

In der Einleitung (S. IX) formuliert Ulrich Lappenküper sehr treffend die beiden wichtigen Leitfragen nach dem sozialgeschichtlichen Typus des Mitarbeiters und nach deren Bedeutung für die Konzeptionalisierung bzw. Ausführung von Bismarcks Politik. Die erste Antwort Lappenküpers lautet, dass die Gehilfen keine homogene Einheit bilden, sondern auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Kanzler verknüpft waren, von der Sohnschaft bei Herbert von Bismarck bis zur publizistischen Begleitung aus der Ferne, ja post mortem bei Horst Kohl. Die zweite Frage nach dem Anteil an Bismarcks Politik wird so beantwortet: kaum Mitgestaltung in der Außen-, gewisse Mitentscheidung in der Innenpolitik, aber abhängig vom bürokratischen Rang, wobei Reichskanzlei-Chef Rudolph von Delbrück die Spitze, Pressereferent Moritz Busch das untere Ende markierten. Durch die Beschränkung auf enge persönliche Mitarbeiter bzw. Untergebene – also ohne Zeitgenossen von den Brüdern Gerlach bis zu Ministern und Militärs – wird das erwartbare Spektrum politisch relevanter (Alternativ-)Konzepte freilich sehr begrenzt.

Der Band führt die Anschaulichkeit und Farbigkeit des traditionellen biographischen Ansatzes vor Augen, aber auch dessen Begrenzungen, denn Geschichte geht nicht in Individuen und Intentionen auf. Primär im Wechselspiel oder Widerspruch mit Strukturen und Zeittendenzen werden Individuen zu historischen Größen. Die zentrale grundsätzliche Frage, welche Wirkungen das reale bzw. stilisierte Regierungssystem Bismarcks auf die deutsche politische Kultur ausübte, etwa hinsichtlich der Verehrung der „großen Männer“ und der Ressentiments gegen das parlamentarische System, wird nicht weiter thematisiert. Ohne Resonanz bleibt so Max Webers bekanntes Verdikt, Bismarck „hinterließ eine Nation ohne alle und jede politische Erziehung […], vor allem eine Nation ohne allen und jeden politischen Willen, gewohnt, daß der große Staatsmann an ihrer Spitze für sie die Politik schon besorgen werde. […] Eine politische Tradition dagegen hinterließ der große Staatsmann überhaupt nicht. Innerlich selbständige Köpfe und vollends Charaktere hatte er weder herangezogen, noch auch nur ertragen.“ Eine Problematisierung dieses in der neueren Forschung zuweilen bestrittenen Diktums hätte dem Band wohl eine andere Tiefendimension gegeben.

Überflüssige Nullen bei Datumsangaben in den Anmerkungen (zum Beispiel 03.01.1888) wurden im Sinne der herrschenden Manie der Imitation von Digitalisierung eingefügt; einige falsche Jahreszahlen sind aber unkorrigiert geblieben (S. 65, 86, 187), und ein Personenregister fehlt leider. Ferner sind Detailfehler unterlaufen; so war Immanuel Hegel der Sohn, nicht der Bruder des Staatsphilosophen (S. VIII) und der preußische Minister Friedenthal hieß mit Vornamen Rudolf (S. 151). Vielleicht aus Courtoisie, indes relevante Unterschiede in Ruhegehalt und rechtlichem Status einebnend, werden im Autorenverzeichnis pensionierte bzw. berentete Beiträger als Emeriti tituliert. Der solide, aber konzeptionell etwas bieder-traditionelle Band gehört kaum zu den wissenschaftlich anregenden Publikationen der Bismarck-Stiftung.

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