D. Bald u.a. (Hrsg.): Alternativen zur Wiederbewaffnung

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Titel
Alternativen zur Wiederbewaffnung. Friedenskonzeptionen in Westdeutschland 1945-1955


Herausgeber
Bald, Detlef; Wette, Wolfram
Reihe
Frieden und Krieg - Beiträge zur Historischen Friedensforschung 11
Erschienen
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sören Philipps, Historisches Seminar, Leibniz-Universität Hannover

Aufgrund ihrer politischen und gesellschaftlichen Langzeitfolgen stellte die Wiederbewaffnung eine der wichtigsten und zugleich umstrittensten politischen Richtungsentscheidungen für die junge Bundesrepublik dar. Trotz kontroverser Diskussion über die Frage einer neuen deutschen Armee nach 1945 vollzog sich in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre ein allmählicher, durch wirtschaftlichen Aufschwung und außenpolitische Entwicklungen wie den Beginn des Korea-Krieges maßgeblich induzierter, Einstellungswandel in Politik und Gesellschaft Westdeutschlands.1 Für die anfänglich distanzierte bis ablehnende Haltung der Bevölkerungsmehrheit war eine Vielzahl von Gründen verantwortlich: pazifistische Ideen, die zum Teil aus weltanschaulich-religiösen Motiven gespeist wurden; Vorbehalte hinsichtlich eines wiedererstarkenden Militarismus sowie die Sorge, dass die Wiederbewaffnung die Chancen auf eine rasche Wiederherstellung der deutschen Einheit reduzieren würde.

Die Herausgeber des vorliegenden Bandes, Detlef Bald und Wolfram Wette, haben es sich zur Aufgabe gemacht, das zeitliche Umfeld und die Geschichte der militärischen Westintegration des deutschen Teilstaates aus Sicht ihrer Opponenten zu beschreiben und dabei „Alternativen zur Wiederbewaffnung“ zu skizzieren. Darunter verstehen die Herausgeber „parteipolitische und außerparlamentarische Projekte in Westdeutschland [...], die – zumindest nach dem Selbstverständnis ihrer Protagonisten – politische Alternativen zur Regierungspolitik des Kabinetts Adenauer darstellten“ (S. 9). Es ist dabei ihre erklärte Absicht, einer nachträglichen Legitimierung der Politik des ersten Kanzlers der Bundesrepublik im publizistischen „Mainstream“ entgegenzuwirken und die Offenheit der historischen Entwicklung zu betonen: Es gelte, „die vergessene Geschichte der Unterlegenen“ zu schreiben (ebd.), eben weil „es die damaligen politischen Gegner Adenauers schwer [haben], sich einen angemessenen Platz im Gedächtnis der Nation zu erkämpfen“ (S. 10). Dies sei auch eine Folge der langen Friedenszeit in Deutschland und Europa, die heute oft als nachträgliche Bestätigung der postulierten Alternativlosigkeit von Adenauers Politik militärischer Stärke gesehen werde, „obgleich ein solcher Zusammenhang völlig spekulativ ist“ (ebd.). Dementsprechend dominiert in den einzelnen Beiträgen eine auf die westdeutsche Innenpolitik fokussierende Perspektive.

Detlef Bald betont in seinem Aufsatz über „Handlungsspielräume der Deutschen. Politische Chancen in der Besatzungszeit“ das Vorhandensein politischen Manövrierraumes gegenüber den Westalliierten, der von diesen allerdings zugleich faktisch begrenzt wurde. Die Voraussetzungen für eine Verständigung zwischen Ost und West seien durch einseitigen Verzicht auf ernsthafte Prüfung des sowjetischen Entwurfs eines Friedensvertrages für ein bündnisfreies, wiedervereinigtes Deutschland schon bald nicht mehr gegeben gewesen (womit der Autor auf seine bekannte Position in der zyklisch wiederaufflammenden Debatte um die Stalin-Noten rekurriert). Alexander Gallus richtet den Blick auf „Neutralistische Bestrebungen in Westdeutschland im ersten Nachkriegsjahrzehnt“ und betont die Heterogenität der Unterformen und Spielarten eines „Nationalneutralismus“, deren Gemeinsamkeit die Idee eines vereinten Deutschlands außerhalb militärischer Bündnisse in Ost oder West bildete. Die geringe politische Wirksamkeit dieses Neutralismus könne jedoch nicht allein mit restringierenden außenpolitischen Bedingungen oder der innenpolitischen Bekämpfung mit Hilfe des Kommunismusvorwurfes erklärt werden, sondern im gleichen Maße mit immanenten Faktoren: So lasse sich unter den Vertretern von Neutralitätskonzepten weder ein kollektivbiographisches Muster herausfiltern – gleich ob in generationeller, konfessioneller oder politischer Hinsicht –, noch hätten ihre Ideen eine große Schnittfläche aufgewiesen. Dass Kanzler Adenauer die „Sogwirkung“ der österreichischen Neutralität und den damit verbundenen Aufwind für Neutralitätskonzeptionen durchaus fürchtete, ist damit allerdings noch nicht hinreichend erklärt.2

Auch Knud Andresens Beitrag über „Die widersprüchlichen Potentiale gewerkschaftlicher Friedenspolitik 1950–1955“ betont die Heterogenität der Ziele und Positionen der Wiederbewaffnungsgegner, die bereits innerhalb von Großorganisationen wie dem DGB zum Teil widersprüchlich waren. Andresen legt exemplarisch die Spannung zwischen DGB-Führung und den mehrheitlich wiederbewaffnungskritischen Gewerkschaftsmitgliedern dar, welche ein Hauptgrund für das Fehlen gewerkschaftlicher Alternativkonzepte zur Wiederbewaffnung gewesen sei. Die DGB-Funktionärsebene verschrieb sich bekanntermaßen einem strategisch-taktischen Umgang mit diesem Thema und hegte im Gegenzug die Hoffnung auf politische Zugeständnisse der Regierung bei genuin gewerkschaftlichen Themen wie der betrieblichen Mitbestimmung.3

Die weiteren, biographisch angelegten Aufsätze ähneln sich in ihrer vergleichsweise lockeren Verbindung zur Hauptthematik des Sammelbandes: So gibt Michael Werners Beitrag über „Drei Sozialdemokraten in der Deutschen Friedensgesellschaft“ eher indirekt Auskunft über die Schwierigkeiten der SPD, ein in sich konsistentes Alternativkonzept zur Wiederbewaffnung zu entwickeln. Werner porträtiert August Bangel, Hermann Brill und Fritz Wenzel; diese entwickelten je individuelle, innerhalb ihrer Partei jedoch nicht konsensfähige Kombinationen von in der Öffentlichkeit kursierenden Alternativideen, wobei sie zum Teil auf gewerkschaftsnahe Positionen oder solche der internationalen Friedensbewegung zurückgriffen – etwa die politische „Brückenfunktion“ eines neutralisierten Deutschlands zwischen Ost und West in Kombination mit Appellen zugunsten einer allgemeinen Friedenspädagogik für die Jugend. Reinhold Lütgemeier-Davin stellt mit Wilhelm Elfes einen Mitbegründer des „Hauptausschusses für Volksbefragung gegen Remilitarisierung“ vor, der im November 1951, wohl auf Betreiben Adenauers, aus der CDU ausgeschlossen wurde. Bei Elfes handelte es sich, wie der Autor abschließend urteilt, um „ein[en] Akteur, der die Handlungsfreiheit deutscher Politik im Rahmen des Kalten Krieges überschätzte“ (S. 105). Die Tatsache seiner parteipolitischen Kaltstellung illustriert treffend das innenpolitische Klima der 1950er-Jahre, in dem sich Vertreter von Alternativüberlegungen zur Wiederbewaffnung häufig einem meist haltlosen Kommunismusverdacht ausgesetzt sahen.

Johannes Winter stellt mit Horst Symanowski einen „Nazi-Gegner, Pazifist[en] und Industriepfarrer“ vor, dessen durchaus spannende Biographie allerdings für den Hauptgegenstand des Bandes kaum neue Einsichten liefert, zumal die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) nur en passant Erwähnung findet4 – was insofern erstaunt, als der Autor selbst einräumt, dass es „die EKD, [...] ihre Landeskirchen und die mit ihr verbundenen Organisationen [waren], die ‚am intensivsten und vielleicht am heftigsten’ über die Remilitarisierung diskutierten“ (S. 120). In den folgenden Beiträgen, so auch demjenigen von Jakob Knab über Fritz Hartnagel („Vom Wehrmachtsoffizier zum Ostermarschierer“), wird stärker die persönliche Gegnerschaft der jeweiligen Protagonisten zur Wiederbewaffnung thematisiert, als dass Alternativkonzepte im Sinne der Herausgeber diskutiert würden. Zudem bewegen sich die Ideen dieser Protagonisten im Rahmen derjenigen gesellschaftlichen Gegenpositionen zur Wiederbewaffnung, die von der Zeitgeschichtsforschung bereits früher herausgearbeitet wurden.5

Insgesamt bietet der Sammelband mit seinen überwiegend an Einzelbiographien orientierten, auf die Innenpolitik fokussierenden Beiträgen einen guten Überblick der westdeutschen Gegenpositionen zur Wiederbewaffnung, ohne dass diese sich jedoch zu konsistenten „Friedenskonzeptionen“ verdichten würden. Der Untertitel des Bandes suggeriert eine innere Widerspruchsfreiheit, die so nicht existierte, was in den Einzelbeiträgen auch durchaus deutlich wird. In ihrer Gesamtheit zeichnen diese zwar ein treffendes Bild vom breiten Spektrum an Persönlichkeiten, die sich trotz ihrer unterschiedlichsten ideologischen, politischen und sozialen Herkunft gegen die Wiederbewaffnung engagierten. Die Heterogenität ihrer Vorstellungen minimierte ihre politische Wirksamkeit jedoch erheblich, zumal spätestens mit der Blockkonsolidierung ab Mitte der 1950er-Jahre und dem Eintritt von West- und Ostdeutschland in die konkurrierenden militärischen Bündnissysteme kaum mehr Realisierungschancen bestanden. Obwohl die entscheidende außenpolitische Dimension des Themas unterbelichtet bleibt und die Auswahl der Beiträge nicht in jedem Einzelfall überzeugen kann, ist der Band als Einführung in die innenpolitische Diskussion über „Alternativen zur Wiederbewaffnung“ dennoch zu empfehlen. Die Stärke der an Einzelbiographien orientierten Herangehensweise liegt in den Identifikationsmöglichkeiten, die vor allem Studienanfänger zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dieser umstrittenen Thematik motivieren kann und in didaktischer Hinsicht daher zu begrüßen ist.

Anmerkungen:
1 Vgl. Hyung-Sik Choi, Zur Frage der Rolle des Korea-Krieges bei der westdeutschen Wiederaufrüstungsdebatte und des Einflusses auf die prinzipielle Entscheidung für die Wiederaufrüstung im Kontext der Aktualisierung des Ost-West-Konfliktes, Düsseldorf 1994.
2 Vgl. Dominik Geppert / Udo Wengst (Hrsg.), Neutralität – Chance oder Chimäre? Konzepte des Dritten Weges für Deutschland und die Welt 1945–1990, München 2005.
3 Detailliert dazu Hans-Erich Volkmann, Zur innenpolitischen Diskussion um einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag am Beispiel der Gewerkschaften, 1947 bis 1956, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Entmilitarisierung und Aufrüstung in Mitteleuropa, Herford 1983, S. 144-163.
4 Vgl. Lutz Hoeth, Die Evangelische Kirche und die Wiederbewaffnung Deutschlands in den Jahren 1945–1958, Berlin 2007.
5 Einen Überblick bietet Alexander Fischer, Wiederbewaffnung in Deutschland nach 1945, Berlin 1986.

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