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Titel
Hitlers Edeljude. Das Leben des Armenarztes Eduard Bloch


Autor(en)
Hamann, Brigitte
Erschienen
München 2008: Piper Verlag
Anzahl Seiten
511 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele-Maria Schorn-Stein, Rüsselsheim

Die Wiener Historikerin Brigitte Hamann, die vor allem durch Biographien von Kaiserin Elisabeth und Kronprinz Rudolf, sowie durch zeitgeschichtliche Publikationen, wie „ Der Erste Weltkrieg“ und „Hitlers Wien“, bekannt wurde, widmet sich in ihrem neuesten Werk dem „Edeljuden Hitlers", dem Linzer Armenarzt Dr. Eduard Bloch. Der Anlass, das bewegte und nicht immer einfach verlaufene Leben dieses jüdischen Arztes festzuhalten, liegt bereits über zehn Jahre zurück. Während eines Vortrages in der Österreichischen Botschaft in Washington über das damals noch nicht ins Englische übersetzte Buch „Hitlers Wien“, erwähnte Brigitte Hamann in diesem Zusammenhang den letzten Hausarzt von Hitlers Mutter Klara, der 1940 mit seiner Frau Lilli in die Vereinigten Staaten geflüchtet war (S. 9).

Das Schicksal dieses Mannes, das von dem Historiker Hugo Gold als „Treppenwitz der Weltgeschichte“ bezeichnet wurde, ließ Brigitte Hamann nicht los und sie versuchte daher das Projekt einer Bloch-Biografie in Angriff zu nehmen, auch wenn es anfangs damit nicht zum Besten stand: Blochs Enkel George Kren plante zu diesem Zeitpunkt noch selbst eine Veröffentlichung der Memoiren seines Großvaters, die aber durch seinen Tod nicht mehr zustande kam (S. 9f.). Der Zufall führte Brigitte Hamann im Laufe der Jahre mit den Verwandten Dr. Blochs zusammen, wie etwa dem bekannten amerikanischen Psychoanalytiker Dr. John S. Kafka, der mit seinen persönlichen Erinnerungen an seinen Onkel viele nützliche Informationen beisteuern konnte. Die noch lebende Enkelin Blochs Joanne Harrison und ihr Mann Al konnten Brigitte Hamann für ihre Recherche wertvolle Kopien von persönlichen Schriftstücken und Dokumenten zur Verfügung stellen (S. 12). Die Erinnerungen Blochs, die von der Witwe George Krens ohne Auflagen an das Archiv des Holocaust Museum in Washington übergeben wurden, bilden die wichtigste und für den Leser eindrucksvollste Quelle zu Hamanns Buch.

Hamann versucht in ihrer Studie die einzelnen Lebensstationen Blochs mit den damaligen politischen Ereignissen zu verbinden und so aufzuzeigen, wie es letztendlich möglich war, dass der Jude Bloch unter den persönlichen Schutz Hitlers gestellt wurde. In diesem Sinn kann die Biografie in die Forschungslandschaft der Jüdischen Geschichte eingeordnet werden. Die Autorin setzt sich auch mit der Frage auseinander, wie es möglich war, dass die abenteuerliche, aber viel diskutierte These des amerikanischen „Psychohistorikers“ Rudolph Binion, der jüdische Arzt Bloch sei einer der Auslöser für Hitlers Antisemitismus gewesen, derart an Bedeutung gewinnen konnte (S. 482f.).

Auf 512 Seiten schildert Brigitte Hamann die einzelnen Lebensstationen Dr. Eduard Blochs, der am 30. Januar 1872 in Frauenberg an der Moldau in Südböhmen geboren wurde und aus einer angesehen jüdischen Familie stammte, die lange Jahre in Diensten der Fürstenfamilie Schwarzenberg stand (Kapitel 1, S. 13-23). Nach seiner Matura am 16. Juni 1891 absolviert Eduard Bloch ein Medizin-Studium an der deutschen Karls-Universität zu Prag, das er am 21. Dezember 1899 mit „summa cum laude“ abschließt (Kapitel 2, S. 24 – S. 36). Nach einer Zwischenstation in Dresden wird er Militärarzt in Linz, wo er sich der jüdischen Gemeinde anschließt und später auch seine Frau Lilli Kafka kennenlernt. (Kapitel 3, S. 37–52). Die Hochzeit Blochs mit der aus einer wohlhabenden Fabrikanten- Familie stammenden Lilli Kafka im Sommer 1902 und die Geburt der einzigen Tochter Trude am 3. Mai 1903 lassen das familiäre Glück anfangs noch perfekt erscheinen, was sich aber mit Beginn des Ersten Weltkrieges und den darauffolgenden sich überstürzenden politischen Ereignisse schlagartig ändert (Kapitel 4, S. 53–79).

Aus den insgesamt 16 Kapiteln sind die Kapitel 5 „Klara Hitler“, Kapitel 15 „Krieg und Flucht“ und Kapitel 16 „Familienleben in der Bronx“ besonders hervorzuheben. Im fünften Kapitel wird geschildert, wie Bloch die für ihn folgenreiche, aber gleichzeitig auch positive Bekanntschaft des jungen Adolf Hitler macht, dessen sterbenskranke Mutter Klara Bloch er als Hausarzt betreut. Die Aussage Hitlers nach dem Tode seiner Mutter, dass „ich Ihnen Herr Doktor ewig dankbar sein werde“, wobei er sich vor ihm, dem jüdischen Arzt, verbeugt, wird Hitler während der NS-Diktatur später tatsächlich in die Tat umsetzen – der Diktator persönlich schützt Bloch und seine Familie (S. 91).

Die Kapitel 15 und 16 beschreiben das Schicksal der Blochs ab Beginn des Zweiten Weltkrieges. Trotz des Sonderstatus Dr. Blochs bleibt die Angst bestehen, doch irgendwann von der Gestapo behelligt zu werden und so entschließen sich die Tochter und der Schwiegersohn zu dem schweren Schritt in die USA auszureisen – zunächst ohne ihre Kinder. Für die Enkelkinder Blochs, George und Joanne, bedeutet der Weggang der Eltern und ihre Zeit in England einen tiefen Einschnitt in ihrem jungen Leben. Besonders George Kren hat seinen Eltern, aber vor allem seinem Großvater, die Entscheidung, sie fortzuschicken, zeit seines Lebens nicht verziehen (Kapitel 14, S. 380–395). Auch die zurückgelassenen Großeltern sind sich der Tatsache bewusst, dass sie auf Dauer und trotz der ihnen zugestandenen Privilegien von „ganz oben“ auf Dauer nicht in Österreich bleiben können, weil sich die Lage für Juden immer mehr zuspitzt. Schließlich entscheidet sich das Ehepaar Bloch für die Ausreise in die USA, die es schweren Herzens nach so vielen Jahren in Linz am 19. November 1940 antritt (S. 426).

Die letzten Lebensjahre Dr. Eduard Blochs, der in Linz seine Praxis und alles Geliebte aufgeben musste, gestalten sich sehr eintönig, fühlt er sich doch in seiner neuen, fremden Heimat nicht wohl. Ein im März 1941 geführtes Interview mit der Zeitschrift „Collier’s“, erlaubt ihm, sich die „guten alten Zeiten“ wieder in Erinnerung zu rufen: Er wird darin zu seiner Beziehung zu Hitler befragt. Seine durchaus positiven Aussagen zu Hitler, den er nur als jungen Mann kennengelernt hat und dessen liebevolle Sorge um seine kranke Mutter ihn sehr gerührt hatte, stoßen bei einem Großteil der Leserschaft auf Unverständnis. Obwohl Bloch zwischen dem jungen Hitler und dem jetzigen Diktator zu differenzieren versucht, gelingt es ihm nicht, die Leser zu überzeugen, ebenso wenig seinen Enkel (S. 447 ff.). Bis zu seinem Tod am 1. Juni 1945 fühlt sich Bloch missverstanden (S. 468).

Die These Rudolph Binions, Bloch sei der latente Auslöser für Hitlers Antisemitismus und somit auch indirekt für den Holocaust verantwortlich gewesen, lässt sich nach Hamann eindeutig widerlegen. An mehreren Stellen dieses Buches finden sich Belege, dass sich diese Behauptung wissenschaftlich nicht halten lässt. Beispielsweise hatte sich Hitler bei einem seiner zahlreichen Besuche in Linz bei dem mit Bloch bekannten Hofrat Adolf Eigl nach seinem ehemaligen Hausarzt erkundigt und dazu geäußert: „Ja, wenn alle Juden so wären wie er, dann gäbe es keinen Antisemitismus“ (S. 261).

Brigitte Hamann ist mit dieser Biografie ein Werk gelungen, das ohne viele komplizierte Fachausdrücke auskommt. So gelingt es ihr, auf eine sehr verständliche Art und Weise das Porträt eines Mannes zu zeichnen, der sich aufgrund seiner durch Hitler verliehenen Privilegien für viele seiner Glaubensbrüder und auch für seine eigene Familie einsetzen und sie so zumindest teilweise vor der Verfolgung durch das Nazi-Regime schützen konnte. Eine gewisse Weltfremdheit Eduard Blochs lässt sich dennoch nicht leugnen: Die Privilegien, die seinen Sonderstatus erst möglich machten und ihm schmeichelten, ließen ihn wohl nicht in vollem Umfang erkennen, dass der NS-Diktator nicht mehr der junge Adolf Hitler war, den er einst als Hausarzt kennengelernt hatte.

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