D. Hägermann: Papsttum am Vorabend des Investiturstreits

Cover
Titel
Das Papsttum am Vorabend des Investiturstreits. Stephan IX. (1057-1058), Benedikt X. (1058) und Nikolaus II. (1058-1061)


Autor(en)
Hägermann, Dieter
Reihe
Päpste und Papsttum 36
Erschienen
Stuttgart 2008: Anton Hiersemann
Anzahl Seiten
XII, 247 S.
Preis
€ 138,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jochen Johrendt, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der am 30. März 2006 verstorbene Mediävist Dieter Hägermann galt seit seinen frühen Veröffentlichungen als der Kenner Nikolaus’ II. im deutschen Sprachraum.1 Den Anfängen seines wissenschaftlichen Wirkens wollte er sich im Ruhestand wieder intensiv widmen und in der angesehenen Reihe ‚Päpste und Papsttum‘ eine Gesamtdarstellung der behandelten Pontifikate bieten. Sein unvermittelter Tod hinderte ihn jedoch am Abschluss dieses Projektes, auch wenn das Manuskript bei seinem Tod nach Auskunft seiner Frau „zum größten Teil“ (S. VII) abgeschlossen gewesen war. Die Bearbeitung dieses Manuskripts übernahmen Elke Goez sowie die Tochter des Autors, Melanie Fattler, und der Reihenherausgeber Georg Denzler. Dies muss deutlich hervorgehoben werden, da zum einen posthum erschienene Bücher für Rezensenten nicht leicht zu behandeln sind, da nie so recht klar ist, wo die Feder des Autors aufhört, wo die der Bearbeiter beginnt. Zum anderen ist zu bedenken, dass derartige Bücher eine ganz eigene Genese und Publikationsabsicht haben.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile, das Vorspiel zu Nikolaus II. (S. 1-64) sowie eine Untersuchung zum Pontifikat dieses Papstes (S. 65-217). Das Vorspiel setzt mit dem Tod Viktors II. ein, so dass die Zeit vor dem Tod Heinrichs III. ausgeklammert wird, um die Entwicklung des Papsttums „am Vorabend des Investiturstreits“ zu untersuchen. An eine kurze Skizze der Ausgangslage nach dem Tod Viktors II. schließt sich ein umfangreicheres Kapitel über Stephan IX. an (S. 11-56). Es skizziert den Werdegang des ehemaligen Kanzlers der römischen Kirche und Bruders Herzog Gottfried des Bärtigen bis zu seiner Erhebung auf die Kathedra Petri und beschreibt dessen Pontifikat. Dabei weist ihm Hägermann trotz seines nur achtmonatigen Pontifikats hinsichtlich der „Personalpolitik“ unter den frühen Reformpäpsten eine Schlüsselrolle zu. Auf derselben Gliederungsebene folgt ein Kapitel über den Gegenpapst Benedikt X. (S. 57-64), dessen Ende in Zusammenhang mit der Synode Nikolaus’ II. von 1060 nochmals behandelt wird (S. 165-167).

Das Hauptaugenmerk der Abhandlung liegt auf Nikolaus II. An frühere Ergebnisse des Verfassers anknüpfend nehmen die Ausführungen zum Papstwahldekret, mit dem Nikolaus II. auf der Ostersynode von 1059 den Kreis der Papstwähler exklusiv auf die Kardinäle begrenzte, die weiteren Regelungen der Synode sowie das neue Bündnis des Papstes mit den Normannen eine zentrale Stellung innerhalb der Ausführungen ein. Diese nicht unbekannten Themen werden hier in gebündelter Form behandelt. Dabei wiederholt Hägermann seine Auffassung, dass das Papstwahldekret nicht so sehr „eine nachträgliche Legitimierung der Wahl und Erhebung Papst Nikolaus’ II.“ war (S. 111), als dass es die „juristischen Konsequenzen aus den Anschauungen und Grundsätzen der Kirchenreformer, insbesondere der Kardinalbischöfe mit Pier Damiani an der Spitze“ zog (S. 108). Im Kapitel „Die neue Rolle der Kardinäle“ (S. 120-125) wird der Königswahlparagraph diskutiert, direkt im Anschluss daran die Ostersynode von 1059 mit ihren Beschlüsse behandelt (S. 129-144). Das Buch erweckt beim Leser den Eindruck, dass es 1059 eine Fasten- und eine Ostersynode gegeben hätte, zumal die Synode, auf der das Papstwahldekret verkündet wurde, nicht nur im Text als „Fastensynode“ bezeichnet wird (S. 104 und öfter), sondern selbst in der Überschrift eines Kapitels. Die weiteren Beschlüsse des Frühjahrs 1059 werden hingegen unter der Ostersynode verbucht. Tatsächlich handelte es sich jedoch um eine einzige Synode, um die Ostersynode von 1059. Das zweite herausragende und ebenso in der Literatur mehrfach behandelte Thema ist das Bündnis Nikolaus’ II. mit den Normannen. Auch dieses hatte – wie die Beschlüsse der Ostersynode von 1059 – für die weitere Geschichte des Papsttums eine nachhaltige Wirkung. Hägermann skizziert die Vorstufen, weist auf die Schlüsselfunktion Montecassinos hin und erklärt die Motivation der Normannen zu diesem Bündnis mit deren Bedürfnis, ihre Eroberungen zu legitimieren. Dabei macht Hägermann auch auf die Weihen des Papstes in Süditalien aufmerksam, die Nikolaus II. als Instrument der Einflussnahme nutzte (S. 178-181), ein bisher in der Forschung zu wenig beachtetes päpstliches Instrument der Zentralisierung der Kirche auf Rom. Beim Bündnis mit den Normannen wie auch in anderen Zusammenhängen betont der Autor die starke bis dominierende Rolle Hildebrands, des späteren Gregor VII., der die päpstliche Politik bereits unter Nikolaus II. entscheidend geprägt habe.

Im letzten größeren Kapitel behandelt Hägermann vorrangig anhand der Urkunden des Papstes dessen „Diplomatie und Reformpolitik“ (S. 173-212). Nach einleitenden Bemerkungen wie zur institutionellen Verteilung der Urkunden werden diese nach Ländern sortiert abgehandelt. Frankreich zerfällt dabei in zwei Kapitel, wobei das erste irreführend als „Europäisierung des Papsttums im Spiegel der Urkunden und Legaten Nikolaus’ II.“ tituliert ist, inhaltlich jedoch einen Teil des anschließenden Kapitels „Nikolaus II. und die Francia“ darstellt. Die letzten Seiten sind dem Verhältnis Nikolaus’ II. zum Reich gewidmet (S. 209-217). Ein die Ergebnisse bündelndes Resümee fehlt. Abgeschlossen wird der Band von einem sehr knappen Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 219-233) sowie dankenswerterweise auch einem Personen- und Ortsregister.

Insgesamt wirkt das Buch – und dies ist aufgrund seiner tragischen Genese nicht erstaunlich – unfertig, und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen findet eine kritische Auseinandersetzung mit neueren Forschungsergebnissen selten statt, und Literatur wurde wenig systematisch nachgetragen. Ganze Passagen des Kapitels „Diplomatie und Reformpolitik“ bestehen aus einer Aneinanderreihung von Urkunden nach Migne, die sporadisch und unsystematisch um den Hinweis auf einzelne Artikel im Lexikon des Mittelalters ergänzt wurden. Davon unberührt bleiben die Gedankengänge des Textes, doch würde der Leser an vielen Stellen gerne genauer wissen, worauf die Ausführungen Hägermanns aufbauen, worauf er seine Argumentation stützt. Insgesamt hätte man sich mehr Synthesen gewünscht, zumal wenn es um eine Gesamtschau von Diplomatie und Reformpolitik geht. Unfertig wirkt das Buch auch in seiner Gliederung. Diese entspricht mitunter nicht dem Inhalt der Kapitel, deren Aneinanderreihung ihrerseits manchmal nicht nachzuvollziehen ist; sie wirken bisweilen wie einzelne Versatzstücke. Dem entspricht auch, dass einzelne Kapitel nur zwei Seiten einnehmen (z.B. III. 3. Der Papst in Finanznot, S. 35f.). Der unvermittelte Tod riss Hägermann das Manuskript aus der Hand – auch in der jetzigen Druckfassung bleibt es ein Fragment.

Anmerkung:
1 Dieter Hägermann, Untersuchungen zum Papstwahldekret von 1059, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, kanonistische Abteilung 56 (1970), S. 157-193; ders., Zur Vorgeschichte des Pontifikats Nikolaus’ II., in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 81 (1970), S. 352-361.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension