R. Zagolla: Folter und Hexenprozess

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Titel
Folter und Hexenprozess. Die strafrechtliche Spruchpraxis der Juristenfakultät Rostock im 17. Jahrhundert


Autor(en)
Zagolla, Robert
Reihe
Hexenforschung 11
Erschienen
Anzahl Seiten
527 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter-Michael Hahn, Historisches Institut, Universität Potsdam

Unser Bild vergangener Rechtswirklichkeit wird bis heute in hohem Maße von rechtsgeschichtlichen Untersuchungen bestimmt, deren bevorzugten Ausgangspunkt die damals geltenden Normen bilden. Im Gegensatz dazu möchte der Verfasser mit seiner materialreichen Studie, die sich auf eine systematische und gründliche Auswertung der Rechtsbelehrungen der Rostocker Juristenfakultät zu strafrechtlichen Verfahren in den Jahren von 1595-1610, 1645-1660, 1685-1700 stützt, einen Beitrag zur Gerichtspraxis dieser Epoche leisten. Einleitend werden daher die Zusammensetzung der Juristenfakultät und die von ihr herangezogenen Rechtsquellen, soweit sie in den Belehrungen zitiert wurden, betrachtet. Außerdem wird kursorisch der Kreis der Konsulenten beschrieben und die Prozessgegenstände einer quantitativen Analyse unterzogen. Sehr vorsichtig äußert sich der Verfasser jedoch zur Reichweite seiner Interpretationen zur Gerichtspraxis, die sich immerhin auf über 2000 Verfahrensanweisungen der Rostocker Fakultät gründen. Im Vergleich mit anderen Territorien in dieser Epoche zeigt sich nämlich, dass die generelle Anwendung von Folter erheblichen regionalen und zeitlichen Schwankungen zu unterliegen schien, für die es bislang jedoch keine ausreichende Erklärung gibt.

Im Vordergrund der Ausführungen von Zagolla steht die Anwendung der Folter im Rahmen von Hexenprozessen und deren Begleitumstände. Minutiös wird dies in drei Schritten (vor, bei und nach der Folter) durchgeführt. Ein wesentliches Ergebnis dieser den Gegenstand nach allen Seiten auslotenden Studie ist, dass von der Rostocker Fakultät gelenkte Hexenprozesse im Wesentlichen wie andere Strafverfahren auch durchgeführt wurden. Daher sollte es auch nicht verwundern, dass – wie Zagolla zwingend nachzuweisen vermag – die Folter bei Verdacht auf Hexerei seltener zur Anwendung kam als in Verfahren, bei denen sich die Obrigkeit bemühte, ein eher heimliches Verbrechen wie etwa einen Diebstahl oder einen Kindsmord aufzuklären.

Der Hexenprozess, wie ihn der Autor dem Leser plastisch vor Augen stellt, offenbart einige gravierende Schwachstellen im frühneuzeitlichen Strafverfahren. Bis weit in das 18. Jahrhundert hielt sich ein ungebrochener Glaube an die Leistungsfähigkeit der Folter als ein Verfahren der sicheren Beweisbeschaffung. Im Ergebnis führte dies dazu, dass der Hexerei beschuldigte Personen oftmals mehrfach der Tortur unterworfen wurden, bis sie gestanden. Denn für die Mehrzahl der Richter zählte allein das Geständnis des Angeklagten. Eine gründliche Suche nach Tatumständen gehörte nicht zu den Aufgaben, welche das Gericht zur Aufklärung der Tat anstrebte. Den Rostocker Juristen war denn auch bei ihren Rechtsbelehrungen auf Grund der von den Konsulenten eingereichten Unterlagen nicht selten bewusst, dass diese bei der Anwendung der Folter über das nach der Rechtstheorie gesetzte Maß hinausgingen. Aus diesem Teufelskreis vermochte sich die Rechtsprechung – wie bekannt – erst nach und nach zu lösen, als immer mehr Zweifel an der Realität des Hexenwesens in die Öffentlichkeit drangen. So betrachtet leistet der Autor mit seiner Tübinger Dissertationsschrift nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Entzauberung des Hexenprozesses, sondern seine detaillierten und sorgfältig recherchierten Befunde regen darüber hinaus dazu an, den Prozess der Verstaatung im Sinne einer wachsenden Kontrolle durch Kräfte der fürstlichen Zentralgewalt auch auf dem Gebiet des Gerichtswesens nur mit Zurückhaltung als ein überzeugendes Erklärungsmuster für das 17. Jahrhundert zu verwenden. Eine „Professionalisierung“ der Rechtsprechung durch die Einschaltung von Juristenfakultäten oder die Beschäftigung von juristisch vorgebildeten Richtern bedeutete nicht automatisch, dass sich aus der Sicht der Angeklagten das Verfahren verbesserte. Vor Ort folgte man oft nicht dem Ideal der Strafrechtslehre. Wer hätte diesen Anschauungen zur Geltung verhelfen können?

Zu viele unterschiedlich gelagerte Interessen der am Verfahren beteiligten Personen spielten in die Steuerung dieses komplexen Handlungsablaufes hinein, so dass insbesondere die bei Strafverfahren zumeist betroffenen Mittellosen nur eine geringe Chance hatten, für sich erfolgreich Schutzrechte geltend zu machen.

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