H. Balz: Von Terroristen, Sympathisanten und dem starken Staat

Cover
Titel
Von Terroristen, Sympathisanten und dem starken Staat. Die öffentliche Debatte über die RAF in den 70er Jahren


Autor(en)
Balz, Hanno
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Campus Verlag
Anzahl Seiten
349 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Requate, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Die Auseinandersetzung um die Rote Armee Fraktion hat sich sowohl vom öffentlichen als auch vom wissenschaftlichen Interesse her seit einiger Zeit in zwei Richtungen entwickelt. Auf der einen Seite geht es in der Debatte um die vielen faktischen Unklarheiten, die im Zusammenhang mit den Taten immer noch bestehen. So berechtigt die Fragen danach sind, zeigen gerade Filme wie „Der Baader Meinhof Komplex“, in welchem Maße die Suche nach der „wahren Geschichte der RAF“ selbstreferenziell geworden ist und immer mehr um die gleichen selbst- und fremdentworfenen Bilder und Konstruktionen kreist. Selbst wenn beteiligte Akteure ihr Schweigen brächen, stieße die Wissenschaft hier an Grenzen – solange nicht überraschend ganz neue Dokumente auftauchen. Daher richtet sich das Interesse auf der anderen Seite zunehmend auf die Frage nach den gesellschaftlichen Wahrnehmungen, Interpretationen und Auswirkungen der terroristischen Anschläge. Dieser Ansatz zielt insofern durchaus ins Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus, als dieser direkt auf mediale Wahrnehmung und somit auf „Anschlusskommunikation“ ausgerichtet ist. Zwar liefern Terroristen in Bekennerschreiben oft mehr oder weniger wirre Erklärungen für ihre Taten, doch erst die mediale Kommunikation verleiht den Terrorakten eine Art Sinn und passt sie in Erklärungsschemata ein. Auf diese Weise wird die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus zu einer Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, aus der er hervorgeht.

Die Dissertation von Hanno Balz zur „öffentlichen Debatte über die RAF in den 70er Jahren“ verortet sich klar in diesem zweiten Forschungskontext. Der Autor stützt sich auf die Auswertung der Jahrgänge 1970 bis 1977 von vier für die öffentliche Debatte zentralen Publikationsorganen: „Süddeutsche Zeitung“ und „Spiegel“ für den „liberalen Diskurs“, „Bild“-Zeitung und „Welt“ für den „konservativen Diskurs“. Methodisch-theoretisch orientiert sich Balz – in einem „pragmatisch verstandenen“ Sinne – an der historischen Diskursanalyse. Seine zentrale Frage ergibt sich „aus einer auffälligen Veränderung der öffentlichen Meinung“ gegenüber der RAF (S. 10). Habe es Anfang der 1970er-Jahre noch „gewisse Sympathien“ gegeben, sei die RAF spätestens 1977 zu einem eindeutigen gesellschaftlichen Feindbild avanciert (S. 11). Im Kontext dieser Entwicklung, so die These, sei es zu einer „Formierung der bundesdeutschen Gesellschaft gekommen, die ein plurales Gesellschaftsmodell zumindest für eine bestimmte Zeit in den Hintergrund“ gedrängt habe (ebd.).

In den ersten beiden Kapiteln wendet sich Balz zunächst dem kommunikativen Raum und den von ihm fokussierten kommunikativen Akteuren zu. Er steckt dabei die Begriffe Diskurs, Mediendiskurs und Öffentlichkeit voneinander ab und beschreibt knapp die untersuchten Presseorgane. Bei dem theoretischen Aufwand, den Balz betreibt, ist es ein wenig überraschend, dass er den Zeitungskommentaren für seine Untersuchung eine zentrale Rolle zuweist; wie Balz im Anschluss an Friedhelm Neidhardt schreibt, sei „die Stimme der Medien“ dort besonders offen zu vernehmen (S. 39). Dem ist entgegenzuhalten, dass in Kommentaren gerade nicht „die Medien“ sprechen – sofern sich ihnen im Kollektiv überhaupt eine „Sprecherposition“ zuweisen lässt. Kommentare sind dadurch gekennzeichnet, dass hier einzelne innerhalb eines bestimmten Mediums eine besondere Sprecherposition einnehmen und damit eindeutig als Personen zu identifizieren sind. Bei der Konzentration auf politische Kommentatoren untersucht man letztlich eine politische Debatte. Das ist legitim, steht jedoch in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Anspruch der historischen Diskursanalyse. Das zweite Kapitel wendet sich dem Selbstverständnis und der medialen Strategie der RAF zu und unterstreicht dabei, dass die Gruppe – trotz anfänglicher Versuche, sich verständlich zu machen, wie Balz betont – letztlich selbst für die radikale Linke „ein Medienphänomen“ war, das keine Kommunikation anbot und keine zuließ (S. 56).

In den weiteren Kapiteln des Buches widmet sich Balz den unterschiedlichen Aspekten der Auseinandersetzung mit diesem „Medienphänomen“. Bei einer Vielzahl von Differenzierungen im Einzelnen läuft die Argumentation in ihrem Grundtenor darauf hinaus, dass sich die Wahrnehmung immer mehr vereindeutigt habe. Die Grenzziehung zur RAF und damit zu einer radikalen linken Position insgesamt wurde auf diese Weise bis zur Eskalation von 1977 immer schärfer. Im Sympathisanten-Diskurs, den Balz im dritten Kapitel untersucht, wird dies ebenso deutlich wie in der Wahrnehmung der Anwälte, die Balz im Kontext des „Dispositivs Stammheim“ in den Blick nimmt.

Da die Untersuchung von Zeitungsdiskursen immer wieder Gefahr läuft, einer reinen Nachzeichnung der Diskurse verhaftet zu bleiben, ist Balz bemüht, seine Analyse mit Hilfe von Begriffen und Motiven zu strukturieren, die über reine Beschreibungskategorien hinausgehen. Besonders gut gelingt ihm dies im fünften Kapitel zur „Moral Panic“. Der von den Cultural Studies in die Diskussion gebrachte Begriff versucht eine sich gegenseitig verstärkende öffentliche Beunruhigung und die entsprechende mediale Berichterstattung zu erfassen, wie sie bei diffusen Bedrohungslagen zu beobachten ist. Dieser Ansatz ist insofern wichtig, als er den medialen Diskurs in einen gesamtgesellschaftlichen Kommunikationsprozess einbindet. Zwar ist dieser jenseits der Medien kaum fassbar, doch ist es grundsätzlich wichtig, sich von der Vorstellung zu lösen, „die Medien“ bildeten gewissermaßen einen eigenen „systemischen“ Kommunikationsraum. Die Medien bündelten und verstärkten im Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Kommunikation bestimmte Bilder und prägende Interpretamente etwa vom „bewaffneten Mädchen“ oder der Generation „Hitlers Kinder“, denen sich Balz in den weiteren Kapiteln zuwendet. Auch die Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe oder die Bilder von Helden und Opfern, die im Kontext der „Eskalation 1977“ entstanden, waren Teil eines gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses, an dem die Medien maßgeblich beteiligt waren, der aber weit über sie hinausging.

Mit der Konzentration auf die Springer-Zeitungen „Bild“ und „Welt“ auf der einen, den „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ auf der anderen Seite untersucht Balz zwei besonders profilierte Teildiskurse und kann somit die gesamtgesellschaftliche Kommunikation über die RAF erhellen. Durch den Nachweis, dass vor dem Hintergrund der eskalierenden Entwicklung nach der konservativen auch die liberale Presse zunehmend auf Zwischentöne verzichtete und eine Wendung zum Staat vollzog, wird man davon ausgehen können, dass sich darin ein gesamtgesellschaftlicher Prozess wiederfand. Insofern reicht Balz’ Analyse weit darüber hinaus, lediglich die Sichtweise der untersuchten vier Publikationsorgane über die RAF zu liefern. Vielmehr bietet die Arbeit wichtige Einblicke in die intensiven und weitreichenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die sich an die Bedrohung durch die terroristische Gewalt der 1970er-Jahre anschlossen.

Zur Frage, in welcher Weise das Jahr 1977 oder der Komplex der RAF insgesamt eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik darstellt, verhält sich Balz allerdings ambivalent. Auf der einen Seite warnt er zu Recht davor, die Bedeutung der Debatte um die RAF im Kontext der 1970er-Jahre etwa gegenüber der Ostpolitik, der Ölkrise oder dem Anstieg der Arbeitslosigkeit zu überschätzen. Auf der anderen Seite schreibt er den Ereignissen des „Deutschen Herbstes“ gleichwohl einen erheblichen Beitrag zu einem „Rechtsruck“ und einem „weiteren Ausschluss einer außerparlamentarischen Linken“ zu. Dieses Urteil vermag allerdings nicht in Gänze zu überzeugen. Klaus Weinhauer hat argumentiert, dass in der Reaktion auf den „Deutschen Herbst“ gerade neue Formen linker Politik entwickelt worden seien.1 Die Entstehung der Grünen und damit die „Parlamentarisierung“ eines Teiles der radikalen Linken lässt sich somit eher als deren Versuch verstehen, neue Wege zu gehen und sich aus der Sackgasse wieder herauszumanövrieren, in welche sie die RAF und die Auseinandersetzung um den Linksterrorismus geführt hatte. Nicht zuletzt lässt sich der Bezug auf den Rechtsstaat und die Entdeckung der Bedeutung des Grundgesetzes auf Seiten der Linken klar in diesen Kontext einordnen. Die Frage nach den Folgewirkungen verweist aber ohnehin bereits auf die Zeit nach 1977 und ist insofern auch nicht Gegenstand von Balz’ Untersuchung.

Zu der insgesamt gelungenen und wichtigen Studie sei abschließend ein Punkt noch angemerkt – er betrifft die Auswahl der Medien. Zeitungsanalyse ist aufwändig und verlangt daher eine gewisse Selbstbeschränkung. Der Verzicht auf eine Analyse der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) fällt gleichwohl auf, und die Begründung, die Balz dafür liefert, ist blass: Die „Welt“ sei für diesen Zeitraum wichtiges Leitmedium gewesen. Das ist zwar richtig, gilt aber für die „FAZ“ gewiss nicht weniger. Deren Untersuchung hätte vermutlich dem „konservativen“ Diskurs mehr Facetten und Brechungen verliehen. Ein rechtsstaatliches Unbehagen war bei der „FAZ“, anders als in der Springer-Presse, angesichts des Primats der Exekutive immer wieder erkennbar. Zudem wirft die Untersuchung der Presse unmittelbar die Frage nach der Rolle des Fernsehens auf. Die Forderung, dieses in die Analyse einzubeziehen, lässt sich angesichts des Umfangs und der Schwierigkeiten, an TV-Material heranzukommen, für eine Dissertation kaum erheben. Dennoch fällt die Ausklammerung der gesamten visuellen Ebene auf, und als Leser hätte man sich zumindest ein paar Annahmen darüber gewünscht, was eine Untersuchung des Fernsehens zusätzlich erwarten ließe.

Anmerkung:
1 Klaus Weinhauer, Terrorismus in der Bundesrepublik der Siebzigerjahre. Aspekte einer Sozial- und Kulturgeschichte der Inneren Sicherheit, in: Archiv für Sozialgeschichte 44 (2004), S. 219-242, online unter <http://www.zeitgeschichte-online.de/zol/_rainbow/documents/pdf/raf/weinhauer_as.pdf>, (20.04.2009).

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch