H. Arning: Die Macht des Heils und das Unheil der Macht

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Titel
Die Macht des Heils und das Unheil der Macht. Die Diskurse von Katholizismus und Nationalsozialismus im Jahr 1934 - eine exemplarische Zeitschriftenanalyse


Autor(en)
Arning, Holger
Reihe
Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, Bd. 28
Erschienen
Paderborn 2008: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
467 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Gerster, Department of History and Civilization, European University Institute Florence,

Holger Arnings „Momentaufnahme eines Details“ (S. 10) geht auf 500 Seiten der Frage nach, wie der deutsche „Katholizismus“ während des Jahres 1934 auf die zunehmende gesellschaftliche Dominanz der nationalsozialistischen Weltanschauung reagiert hat. Ins Zentrum rückt die kommunikationswissenschaftliche Dissertation dabei das Verhältnis von „Macht und Widerstand“ (S. 13) – zwei Begriffe, mit denen Arning seinen methodologischen Fixpunkt markiert: Michel Foucault. Kritisch wird hier – ganz im Sinne der Interdisziplinarität des Buches – das Verhältnis der deutschen Geschichtswissenschaft zu Foucault und anderen diskurstheoretischen Ansätzen beleuchtet. Arning beanstandet an dieser Stelle zu Recht, dass jenseits der theoretischen Diskussionen empirisch fundierte Arbeiten noch immer Mangelware sind. Dies gilt umso mehr mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand „Katholizismus“.1

Der „Unhandlichkeit der diskursanalytischen Methode“ (S. 14) ist sich Arning dabei von Anfang an sehr bewusst. Er plädiert deshalb unumwunden für ein eklektizistisches Vorgehen, um „Antworten dort (zu suchen), wo sie geboten werden“ (S. 15). Folgerichtig unternimmt er im ersten Teil seiner Arbeit den Versuch die verschiedenen diskursanalytischen Ansätze untereinander zu verbinden sowie sie durch psychologische, psychoanalytische, anthropologische sowie system- und handlungstheoretische Konzepte zu ergänzen. Dies führt zu einem 80seitigen Galopp durch die wichtigsten Theorie-Ansätze des 20. Jahrhunderts. Neben diskurstheoretischen Überlegungen Michel Foucaults, Siegfried Schmidts und Jürgen Links werden vor allem Niklas Luhmanns Systemtheorie, aber auch die Evolutionstheorie und Richard Dawkins Gen-Mem-Analogie zu Rate gezogen. Dabei werden durchaus wichtige Fragen, wie das Verhältnis von Diskurs und Individuum oder das Zusammengehen von Handlung, Struktur und Semantik aufgeworfen. Die Darstellung bleibt aber letztlich nicht zielführend, da sie zwar die verschiedenen Ansätze aufzeigt, aber sich nicht deutlich genug auf das eigene Vorgehen festlegt.

Für die weitere Untersuchung – und die Lesbarkeit der Arbeit – wäre es dagegen hinreichend gewesen, den theoretischen Vorlauf auf drei wichtigste Punkte zu reduzieren: das Konzept der „diskursiven Strategien“ als strukturgebendes Theorieelement, die Methodik sowie die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes. Aus ihnen geht hervor, worum es Arning im Folgenden geht: den Kampf der katholischen Wochenzeitschrift „Unser Kirchenblatt“ um die „Macht der diskursiven Strategie“ (S. 68) mit dem Nationalsozialismus aus den zugrundeliegenden 33 Ausgaben herauszuarbeiten – vom Ersterscheinen im Dezember 1933 bis zum „diskursiven Ereignis“ des Röhm-Putschs im Juni 1934. Diese „diskursiven Strategien“, gekennzeichnet als „Mechanismen, die die Menschen bereit machen, bestimmte Handlungen zu unternehmen oder zu unterlassen“ (S. 67), sollen mit Hilfe des methodologischen Dreischritts Kontextanalyse, Erstellung des Materialkorpus‘ und Detailanalyse gewonnen werden. Der Anklang an Achim Landwehrs Konzept der historischen Diskursanalyse tritt hier sehr deutlich zutage.2

In der Logik dieses Vorgehens bildet der zweite Teil des Buches eine Kontextanalyse der untersuchten Beiträge und eine Annäherung an die beiden Diskurse „Nationalsozialismus“ und „Katholizismus“ in konzentrischen Kreisen. Dies gelingt durchaus, auch wenn die Darstellung angesichts der immensen Forschungsliteratur manchmal etwas schemenhaft wirkt und anstelle dessen erneut durch theoretische Einwürfe überfrachtet wird. Zunächst wirft Arning einen Blick auf den Nationalsozialismus und seine vielschichtige und uneinheitliche Religionspolitik. Daran anschließend stellt er die zentrale Frage, inwiefern die „katholische Teilgemeinschaft“ (S. 27) – diesen systemtheoretischen Begriff zieht Arning dem weiterverbreitenden Milieukonzept vor – überhaupt zu einem Gegendiskurs zum dominierenden Nationalsozialismus befähigt war. Während er diese Möglichkeit für den religiösen Bereich grundsätzlich für gegeben ansieht, attestiert Arning einen allmählichen katholischen Rückzug aus politischen Konfliktfeldern. Schließlich werden die Rahmenbedingungen skizziert, unter denen es der katholischen Kirchenpresse und insbesondere der Zeitschrift „Unser Kirchenblatt“ möglich war, während der Jahre 1933 und 1934 publizistisch tätig zu sein. Arnings Fazit schließt sich hier dem allgemeinen Forschungsstand an: Unter dem Niedergang der politischen Tageszeitungen gewann die konfessionelle Wochenpresse an Einfluss – und blieb bis mindestens 1934 von der direkten Zensur verschont. Ein Diskurs mit traditionellen katholischen Aussagen sei dementsprechend während der ersten Jahre des Regimes noch möglich gewesen.

Dem Abstecken der „Rahmenbedingungen“ folgt im dritten Teil die eigentliche Diskursanalyse. Die verschiedenen „diskursiven Strategien“ spiegeln sich nach Arning in „Feindbildern“ einerseits und „Mythen“ andererseits. Beides rekurriere auf bereits früher vorhandene „diskursive Strategien“ – insofern sei die nationalsozialistische Ideologie, wie Ian Kershaw herausarbeitet, tatsächlich „parasitär und räuberisch“ (S. 170) gewesen. Zugleich aber müsse der Nationalsozialismus als „Synergie-Effekt“ dieser unterschiedlichen Strategien als etwas Neues begriffen werden: Er hätte gleichzeitig eine einheitliche Weltdeutungsgeschichte geboten und verschiedene emotionale Bedürfnisse abgedeckt. Da die Feindbilder und Mythen auch in „gegnerischen Diskursen“ zu finden gewesen wären, seien sie die „Sprengsätze“ (S. 178) gewesen, aufgrund derer sich diese mit der nationalsozialistischen Ideologie auseinanderzusetzen hatten. Die Reaktionen des „Katholizismus“ auf diese Herausforderung zu untersuchen, unternimmt Arning im Hauptteil seiner diskursanalytischen Arbeit.

Die insgesamt vierzehn Fallstudien zu den unterschiedlichen Mythen und Feindbildern nähern sich den einzelnen Untersuchungsobjekten in anhaltend gleicher Weise: einer Betrachtung der jeweiligen „diskursiven Strategie“ des Nationalsozialismus folgt ein Blick auf den allgemeinen Umgang des „Katholizismus“ mit der Herausforderung und abschließend eine ausführliche Untersuchung der Berichterstattung in „Unser Kirchenblatt“. Arnings Darstellung erweist sich dabei meist als detailreich und ausgewogen, wenn man sich auch an mancher Stelle anstatt der erneuten Theorielastigkeit der Ausführungen eine ausführlichere Kontextualisierung gewünscht hätte. So bleibt beispielsweise die Charakterisierung des Verhältnisses von Kirche und Gewalt mit dem Begriff „widersprüchlich“ (S. 219) sehr nebulös, während gerade neuere Beiträge zum Beispiel von Arnold Angenendt und Ulrich Beck dieser Diskussion breiten Raum einräumen.3

Alles in allem führt die Untersuchung Arnings schließlich zu einer Klassifizierung katholischer Reaktionen auf die nationalsozialistischen Feindbilder und Mythen. Diese reichen von einer emotional und normativ positiven Besetzung der faschistischen Terminologie bis hin zu Widersprüchen und eigenen „diskursiven Strategien“. Die Untersuchung kommt schließlich zu dem Fazit, dass die Redakteure der rechtskonservativen und demokratiekritischen Zeitschrift „Unser Kirchenblatt“, den Katholizismus durchaus als potentiellen Bündnispartner des Nationalsozialismus verstanden. Differenzierter betrachtet: Während man in religiösen Fragen der Transzendenz und des Seelenheils eigene Deutungshoheit beanspruchte und gegebenenfalls zu Gegendiskursen griff, war man im Politischen zu weitgehenden Zugeständnissen bereit.

Insgesamt erweist sich Arnings Arbeit als ambitionierter Versuch, sich mit Hilfe diskursanalytischer Methodik über die kommunikationswissenschaftliche Perspektive der historischen Gemengelage der frühen Jahre des Nationalsozialismus zu nähern. Arning gelingt es dabei detail- und wissensreich, die Reaktionen des „Katholizismus“ auf die ideologischen Vereinnahmungen der Zeit zu verdeutlichen und in häufig metaphernhafter Sprache bisweilen spannend zu schildern. Jedoch verheddert er sich in den – von ihm teilweise selbst reflektierten – Schwierigkeiten der diskursanalytischen Untersuchung: einer fehlenden, klaren Abgrenzung zur Ideengeschichte, einer pragmatischen Einbeziehung von Akteuren und Sozialstrukturen in das Diskursgeschehen und vor allem der Umsetzung der Analyse in eine lesbare Geschichtsnarration. Insofern bleibt nichts anderes übrig als das wirklich erkenntnisreiche Buch selbst als „Steinbruch“ (S. 88) zu Theorie und Empirie der Diskursanalyse und zur Geschichte von Nationalsozialismus und Katholizismus zu nutzen. Dazu liefert es gewinnbringende Erkenntnisse.

Anmerkungen:
1 In jüngster Zeit erschienene Ausnahme ist dabei: Christian Schmidtmann, Katholische Studierende 1945-1973. Eine Studie zur Kultur- und Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Paderborn u.a. 2006.
2 Vgl. Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse, Tübingen 2004.
3 Vgl. Arnold Angenendt, Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Münster 2007, sowie Ulrich Beck, Der eigene Gott. Von der Friedensfähigkeit und dem Gewaltpotential der Religionen, Sinsheim 2008.

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