M. Artigas u.a.: Negotiating Darwin

Cover
Titel
Negotiating Darwin. The Vatican Confronts Evolution 1877–1902


Autor(en)
Artigas, Mariano; Glick, Thomas F.; Martínez, Rafael A.
Reihe
Medicine, Science, and Religion in Historical Context
Erschienen
Anzahl Seiten
326 S.
Preis
$ 50.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Unterburger, Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Charles Darwins Evolutionstheorie hat sich 200 Jahre nach seiner Geburt und 150 Jahre nach Erscheinen seines Hauptwerks The origins of species in der wissenschaftlichen Biologie, was ihre grundlegenden Einsichten angeht, weitgehend durchgesetzt. Dennoch war und ist mit seinem Namen eine der am intensivsten geführten weltanschaulichen Debatten der letzten 150 Jahre verbunden. Eine Aufarbeitung und Analyse der Rezeptionsgeschichte seines Werks ist deshalb eines der dringendsten Postulate, das sich historisch mit seinen Theorien verbindet. Ein zu erwartendes Ergebnis ist dabei die Offenlegung jener Prämissen und Motive, die hinter den metabiologischen Ideologisierungen seiner Einsichten standen und noch immer stehen. Dabei ist der angebliche Gegensatz zwischen jüdisch-christlichem Schöpfungsglauben und Deszendenztheorie einer jener zentralen Dichotomien, die die geistesgeschichtlichen Auseinandersetzungen von Beginn an durchzogen. Diese Geschichte ein Stück weit aufzuarbeiten ist Ziel der anzuzeigenden Studie, die sich auf die katholische Kirche und näherhin auf die hierfür zuständigen zentralen römischen Kongregationen des Hl. Offizium und des Index beschränkt. Deren Tätigkeit der Buchzensur lässt sich schließlich als praktische Applikation der päpstlichen Lehrautorität auf das Wissen der Zeit fassen. Seit der Öffnung des Archivs der Glaubenskongregation für die Forschung 1998 ist diese Praxis der Wissenskontrolle nachvollziehbar geworden. Die Beschränkung auf die Jahre 1877-1902 ermöglicht eine Fokussierung auf jenen Zeitraum, in denen der Umgang der Kirche mit proevolutionistischer Literatur seine entscheidende Formationsphase hatte.

Nun mag es zunächst verwundern, dass weder die Bücher Charles Darwins selbst noch die seiner atheistisch-naturalistischen Interpreten wie etwa des Jenaer Anatomen Ernst Haeckel (1834-1919) in Rom verhandelt wurden. Man glaubte wohl, dass diese Schriften unter die allgemeine Indexregel fielen, nach der Bücher, die Religion und Glauben untergrüben, ohnehin für Katholiken zu lesen verboten seien. Die entscheidende Frage musste aber sein, ob Ansätze, die Glauben und Evolutionslehre miteinander versöhnen wollten, indiziert würden. Denn hier entschied sich, ob man als katholischer Christ die Evolution der natürlichen Arten als Hypothese der Biologie vertreten durfte. Hier konnte die Praxis der kirchlichen Buchzensur Seismograph für die Möglichkeit einer Akzeptanz der Theorien Darwins sein. Eine knappe Einführung behandelt deshalb zunächst grundlegende Fragen der kirchlichen Zensurpraxis im 19. Jahrhundert, dazu die Frage nach dem Vorliegen eines generellen lehramtlichen Verbots. Das Kölner Provinzialkonzil von 1860 hatte die Lehre verurteilt, das erste Menschenpaar sei nicht unmittelbar von Gott erschaffen, sondern habe sich durch spontane Veränderung aus der untermenschlichen Natur heraus entwickelt. Doch kann dieses Verdikt mit den Verfassern (S. 21-23) auch so interpretiert werden, dass nur die atheistische Deutung dieser Entwicklung („spontanea“) vom Tier zum Menschen formell verurteilt wurde, nicht die theistische (Mitwirkung Gottes). Sie möchten noch einen Schritt weitergehen und zeigen, dass es im untersuchten Zeitraum niemals zu einer eindeutigen Verurteilung der Evolutionstheorie durch die katholische Kirche gekommen sei. Grund hierfür sei die Erfahrung mit dem „Fall Galileo Galilei“ gewesen; die römische Kurie wollte – so die Hypothese – eine Grenzüberschreitung auf das Gebiet der Naturwissenschaften nunmehr vermeiden (S. 5 f., 24-31, 281-283). Die Studie möchte zeigen, dass in keinem der sechs wegen „Darwinismus“ in den römischen Kongregationen behandelten Fällen ein öffentliches, präjudizierliches Verbot der Evolutionstheorie zu sehen ist.

1877 wurden die publizierten Vorlesungen des toskanischen Priesters und Naturwissenschaftlers Raffaello Caverni (1831-1900) indiziert, 1891 das Werk des französischen Dominikaners Dalmace Leroy (1828-1905), L’évolution restreinte aux espèces organiques verurteilt und 1896 die Studie Evolution and dogma John A. Zahms (1851-1921). Der Ordenspriester Zahm lehrte Philosophie an der Hochschule Notre Dame und war einer der einflussreichsten katholischen Intellektuellen der Vereinigten Staaten. Im Falle Cavernis konnte man aufgrund des unbestimmten Titels seiner Schrift vor Öffnung der Archive nicht wissen, dass er wegen der Evolutionslehre indiziert worden war (S. 33, 50 f.). Bei den beiden anderen Autoren verzichtete man auf eine Veröffentlichung der Verurteilung, nachdem vorher Druck dahingehend ausgeübt wurde, dass diese jeweils scheinbar von selbst ihre Schriften (mehr oder weniger deutlich) widerriefen (v.a. S. 100-102, 116-123, 194-202). Darwinismus spielte auch in der Verhandlung zweier anderer Autoren eine gewisse Rolle. Der reformkatholisch eingestellte Bischof von Cremona, Geremia Bonomelli (1831-1914), hatte 1898 in seinem Buch Seguiamo la ragione einen proevolutionistischen Standpunkt eingenommen. Er wollte Zahm verteidigen, aber als ihm der befreundete Kardinal Antonio Agliardi (1832-1915) aus der Indexkongregation die Gefahr einer Indizierung andeutete, widerrief er von selbst, um seine Gesinnungsfreunde nicht zu schädigen (S. 214-217). Auch der Bischof von Newport (Wales) John Hedley (1837-1915) rief wegen eines vorsichtig proevolutionistischen Artikels Evolution and Dogma in der Dublin Review eine Kontroverse hervor. Als ein Artikel der römischen Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica erschien, der behauptete, der Hl. Stuhl habe Leroy verurteilt, der wie St. George Jackson Mivart (1827-1900) versucht habe, Glauben und Evolutionslehre zu verbinden, widerrief auch Hedley, freilich gestützt auf diese unzutreffende konditionale Behauptung: Der Hl. Stuhl habe diese Lehren eben nicht offiziell verworfen (S. 227-235). Schließlich muss auf den englischen Konvertiten und Biologen Mivart eingegangen werden. Dieser stand bei Darwin selbst in hohem Ansehen, bis er dessen Theorie von der Selektion als alleinigem Movens der Entwicklung kritisierte. Seine Einwände zwangen Darwin immerhin zu Präzisierungen. Mivart selbst bestritt zwar die exklusive Geltung des Selektionsprinzips, akzeptierte jedoch schon 1871 in seiner Schrift On the Genesis of Species die Tatsache der Evolution der Arten; der biblische Schöpfungsbericht wolle keine naturwissenschaftlichen Wahrheiten lehren. Wegen dieser Theorien wurde Mivart niemals lehramtlich belangt, auch wenn er vor seinem Tod aus anderen Gründen mit der Kirche in Konflikt geriet.

Die Stärke der Studie liegt in der weitestgehend korrekten Rekonstruktion der einzelnen Fälle, die durch die Zusammenfassung der wichtigsten Gutachten und Schriften nachvollziehbar werden. Insofern kann von einem echten Fortschritt in der Erforschung der kirchlichen Buchzensur gesprochen werden. Freilich wird das Gewicht der römischen Verurteilungen doch unterschätzt, auch wenn eine gewisse öffentliche Unsicherheit darüber konzediert werden kann. In den römischen Kongregationen betrachtete man die Evolutionslehre in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als mit dem Christentum eben doch als unvereinbar, was sich an zahlreichen weiteren Zensurfällen, etwa des Philosophen Henri Bergson (1859-1941), nachweisen lässt. Die „Fälle“ Caverni, Leroy und Zahm haben eben doch ein Präjudiz geschaffen. Das Dekret der Bibelkommission über die Interpretation der ersten Kapitel der Genesis von 1909 und die Antimodernismusenzyklika zwei Jahre vorher räumten hier auch nach außen hin die Zweifel aus. Die Frage entschied sich an der Interpretation der Bibel und der Verbindlichkeit der Tradition in dieser Frage, aber auch an der Frage der Verpflichtungskraft des Neuthomismus. Hier übte der römische Neuthomismus um die Civiltà Cattolica entscheidenden Einfluss aus und mit der Evolutionslehre wollte man auch die reformkatholischen Strömungen um die Jahrhundertwende treffen. Zwar ist den Autoren zuzugeben, dass Brian W. Harrison zu einseitig interpretierte 1, wenn er von einem konstanten Gegensatz zwischen Glauben und Evolutionslehre ausgeht, und können sie auch Barry Brundell, der den Einfluss der römischen Jesuiten freilich zu Recht betont hat, in vielen Punkten korrigieren. 2 Von einer „pragmatic policy“ unter „Galileo’s Shadow“ zu sprechen (S. 279, 281) ist dennoch nicht korrekt, ja greift zu kurz. Vielmehr mussten erst fundamentale Weichenstellungen in der Bibelhermeneutik und der Verpflichtung auf den aristotelisch verstandenen Neuthomismus, die Ende des 19. Jahrhunderts in Rom getroffen wurden, durch das II. Vatikanische Konzil korrigiert werden, bevor Katholiken gelassener mit den Lehren Darwins umgehen konnten.

Anmerkungen:
1 Brian W. Harrison, Early Vatican Responses to Evolutionist Theology, in: Living Tradition 93 (Mai 2001), unter: <http://www.rtforum.org/lt/lt93.html> (14.04.2009).
2 Barry Brundell, Catholic Church Politics and Evolution Theory, 1894-1902, in: British Journal for the History of Science 34 (2001), S. 81-95.

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