L. Kaganovsky: How the Soviet Man Was Unmade

Cover
Titel
How the Soviet Man Was Unmade. Cultural Fantasy and Male Subjectivity Under Stalin


Autor(en)
Kaganovsky, Lilya
Reihe
Pitt Series in Russian and East European Studies
Erschienen
Anzahl Seiten
226 S.
Preis
$ 25,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexandra Oberländer, Forschungsstelle Osteuropa, Universität Bremen

Der Stalinismus herrschte seinen Untertanen so einiges auf. Dass aber Männlichkeit als durchgesetztes und erstrebenwertes Ideal des Neuen Sowjetischen Menschen eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, weil zutiefst widersprüchlich war, dies ist die Kernaussage dieser psychoanalytisch inspirierten Geschichte, die nahezu ausschließlich mit Film- und literarischen Quellen aus der frühen Sowjetunion arbeitet.

Männlichkeit im Stalinismus hatte laut Kaganovsky zwei Seiten. Der Abenteurer oder der mit Orden behängte Pilot, der vor Gesundheit und Kraft strotzte, repräsentierte einen Typus. Das Paradebeispiel eines solchen Helden im sozialistischen Realismus der 1930er-Jahre ist Pawka Kortschagin aus Nikolai Ostrowskis Roman 'Wie der Stahl gehärtet wurde'. Am Beispiel des Kriegshelden Kortschagin entwickelt Kaganovsky in ihrem ersten Kapitel den Grundwiderspruch der stalinistischen Männlichkeit, den sie dann in allen folgenden Kapiteln an immer neuen Beispielen vorführt. Das leuchtende Vorbild Kortschagin endet als verkrüppelter Invalide, als „lebende Mumie“ (S. 40), und wandelt sich somit in den zweiten von Kaganovsky ausgemachten Typus. Die körperlichen Entbehrungen, die Kortschagin und andere Verkrüppelte während ihres Dienstes für die Sowjetunion durchmachen, sind der Preis, um den Status des sowjetischen Helden zu erlangen. Nahezu jede Verkrüppelung komme einer Ent-Männlichung – oder wie Kaganovsky immer wieder betont: der Kastration des Mannes – gleich und bilde ein grundlegendes Element des Stalinismus. Der ideale Mann sei stark auch ohne Gliedmaßen; der sowjetischen Sache ergeben, aber unfähig, ob seiner Verkrüppelung, entsprechend zu agieren.

Mit ihrer Vorstellung des Helden als Invaliden richtet sich Kaganovsky gegen traditionelle Vorstellungen in der Forschung zu sowjetischer Männlichkeit. Denn die übersehe mit ihrem Fokus auf muskulöse Körper sowie ihrer Verhaftung in heteronormativen Annahmen das eigentlich stalinistische. Kaganovsky betont dagegen, dass die homoerotischen Beziehungen zwischen Männern in der sowjetischen Kulturproduktion sehr auffällig seien. Anders als Eve Kosofsky Sedgwick und der von ihr ausgemachten homosexuellen Panik entdeckt Kaganovsky in der Sowjetunion das glatte Gegenteil: eine heterosexuelle Panik.1 Bestätigt sieht sie ihre These in den vielen Heldinnen des sowjetischen Films und der sowjetischen Literatur, die nicht mit den klassischen weiblichen Attributen, sondern qua ihrer jungenhaften Qualitäten zu positiven Beispielen wurden. Frauen wie Dascha in Fjodor Gladkows Roman 'Zement' sind nicht „füllig“, sondern muskulös oder aber mager und schmal wie ein Junge. Nur solche maskulinen Frauen waren es, die von Männern wie Aljoscha und Jusuf in Boris Barnets Spielfilm 'Am blauen, blauen Meer' (1935) überhaupt akzeptiert wurden und damit jedoch gleichzeitig eine Männerfreundschaft bedrohten. An mehreren Filmen und Romanen aus den 1930er- und 1940er-Jahren demonstriert Kaganovsky, wie schlussendlich die Männerfreundschaft und nicht die heterosexuelle Zweierbeziehung das dauerhaftere Band waren, das dem sowjetischen Helden zur Ehre gereichte.

Kaganovskys Interpretation der Männerfreundschaften und Liebesdreiecke (zwei Männer und eine Frau) als Akt heterosexueller Panik ist allerdings nur wenig überzeugend. Zwar trifft ihre Beobachtung zu, dass privates Lebensglück als eine Gefahr für die Hingabe an die kollektive, sowjetische Sache verstanden wurde – doch ist die Umkehrung keine, die nur auf die Sowjetunion zuträfe. Auch in westlichen Kulturprodukten scheitern männliche Helden regelmäßig am Widerspruch von Aufopferung im Job und Liebesglück zuhause. Die Gleichzeitigkeit homosexueller Panik und des homosozialen 'male-bonding' scheint in der Sowjetunion keine grundlegend andere als in westlichen Kontexten zu sein. Zumindest liefert Kaganovsky in ihrer anregenden Untersuchung dazu keine überzeugenden Argumente.
Ebenso wenig ist die Misogynie eine ausschließlich sowjetische Errungenschaft. Für Kaganovsky jedoch scheint die Misogynie als Folge der heterosexuellen Panik immer (erst) dann auf, wenn in der Sowjetkultur wieder eine Männerfreundschaft die Liebesbeziehung mit einer Frau überdauert, an der beide Männer zunächst ein latentes Interesse hatten. „It is not enough to be friends, fighter pilots, comrades – to sustain homosociality, the three friends must also be misogynists.” (S. 105) Kaganovsky behauptet, Misogynie in der Sowjetunion sei ein utopischer und damit erstrebenswerter Zustand gewesen und weniger eine übliche Eigenheit patriarchaler Gesellschaften. Auch hier scheint die Interpretation zu weit zu gehen beziehungsweise unscharf zu sein. Wie genau sich der utopische Zustand vom klassischen Patriarchat unterscheiden soll, behandelt sie nämlich nicht. Somit bleibt unklar, worin die eigentliche von Kaganovsky behauptete genderpolitische Differenz der Sowjetunion zum Rest der Welt gelegen haben soll.

Die weibliche Heldin erstarrt bei Kaganovsky in einer sehr passiven Rolle; selbst männliche Frauen blieben bloße Erfüllungsgehilfen in einer von Männern dominierten Welt. Obwohl Frauen durch ihre Anerkennung (die zumeist lediglich aus Pflege bestand) den verkrüppelten, verzweifelten Männern erst den Subjektstatus zurückgaben, änderte dies für Kaganovsky nichts an ihrem nachrangigen Status und geringeren Potenzial zum Subjekt überhaupt.
Kaganovsky beeindruckt mit ihrem theoretischen Fundus aus Althusser, Lacan und Freud. Allerdings bleibt in ihrer Besprechung weiblicher Subjektivität von Frauen als agierendem Subjekt nur sehr wenig übrig. Stattdessen reduziert sie Frauen auf die Statistinnenrolle, den Männern zu ihrer Männlichkeit zu verhelfen. Dass Frauen als Teil der russischen Streitkräfte nicht nur als Krankenschwestern dienten, sondern auch als Pilotinnen und Heckenschützinnen am Zweiten Weltkrieg teilnahmen 2, verblasst bei Kaganovsky vor der immer wieder betonten heterosexuellen Panik. Hier hätte man sich weniger pauschale psychoanalytische Theorien als vielmehr die Kenntnis einschlägiger historischer Forschungsarbeiten gewünscht.

Gleichwohl ist Kaganovskys Buch, von dem große Teile bereits in Artikelform veröffentlicht vorliegen, durchaus lesenswert. Die intensive Beschreibung einzelner Filme wie etwa Iwan Pyrews 'Das Parteibuch' (1936) oder Michail Tschiaurelis 'Der Fall von Berlin' (1949) mag zwar gelegentlich ermüden; für Leser, die des Russischen nicht mächtig sind, erschließt sich dadurch aber eine Welt von Filmen, die auf dem europäischen Markt selbst in Programmkinos kaum anzutreffen ist. Trotz der Flut von Publikationen zu 'gender' und stalinistischem Subjekt in den vergangenen Jahren, eröffnen ihre durchaus streitbaren Thesen zu diesen Themen neue Felder historischer Forschung. Ihre psychoanalytisch informierte Lesart von sowjetischen Filmen und Büchern entdeckt zwar noch in jeder Verstümmelung eine Kastration; doch selbst wenn man dieser Interpretation nicht immer folgen will, so ist doch ihre These vom stalinistischen Subjekt als stark und verkrüppelt zugleich eine, an der sich weiterzudenken lohnt.

Anmerkungen:
1 Eve Kosofsky Sedgwick, Between Men: English Literature and Male Homosocial Desire, New York 1985; Eve Kosofsky Sedgwick, Epistemology of the Closet, Berkeley 1990.
2 Anna Krylova, Stalinist Identity from the Viewpoint of Gender: Rearing a Generation of Professionally Violent Women Soldiers in 1930s Stalinist Russia, in: Gender and History 16 (2004), S. 626-653.

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