J. Lee: A Greek army on the march

Cover
Titel
A Greek Army on the March. Soldiers and Survival in Xenophon's Anabasis


Autor(en)
Lee, John W. I.
Erschienen
Cambridge u.a. 2007: Cambridge University Press
Anzahl Seiten
XII, 323 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Nadig, Alte Geschichte, Historisches Institut, Universität Mannheim

Das vorliegende Buch von John W. I. Lee ist eine sehr lesbare und ebenso spannende Sozial- und Kulturgeschichte der Kyreer, der griechischen Söldnertruppen des jüngeren Kyros. Bei dem Versuch den Prätendenten auf den persischen Thron zu bringen, legten sie in den Jahren 401 bis 399 v.Chr. tausende von Kilometern zurück. Sie kämpften nur in der Schlacht bei Kunaxa, bei der ihr Auftraggeber fiel und in deren Folge ihre Befehlshaber von den Siegern getötet wurden. Der Augenzeuge Xenophon setzte diesem Feldzug in seiner „Anabasis“ ein literarisches Denkmal, wobei er seine eigene Rolle etwas übertrieb, als er nach Kunaxa in eine Kommandoposition aufstieg.

Xenophon schrieb sein Werk erst circa 30 Jahre nach den Ereignissen, was bekanntermaßen zu einigen Ungenauigkeiten beitrug. Ungeachtet dessen ist die „Anabasis“ eine sehr wichtige, fast singuläre Quelle, weil sie den Alltag einer griechischen Expeditionsarmee aus eigener Beobachtung und Erinnerung recht genau schildert. Viele aufschlussreiche Details lassen sich aus dieser Schrift erschließen bzw. rekonstruieren. In der Vergangenheit hat man die Kyreer oft als eine einzelne politische Einheit gesehen, doch Lee beabsichtigt hier eine differenziertere Analyse. So weist er unter anderem nach, dass sich die Soldaten tatsächlich durch verschiedene kleinere Gruppen definierten.

In elf Kapiteln werden die diversen militärischen Teilaspekte dieser Expedition erörtert. Das erste Kapitel beinhaltet eine Einführung in das Thema. Der Schwerpunkt dieser militärgeschichtlichen Studie gilt der Kriegserfahrung aus der Perspektive des einfachen Soldaten - ein Ansatz, der seit John Keegans „The Face of Battle“ auch von der althistorischen Forschung zunächst für die klassische griechische Zeit und die späte römische Republik übernommen wurde.1 Allerdings geht es Lee nicht um das Schlachterlebnis als vielmehr um die sozialen und logistischen Fragestellungen. Tatsächlich wird das eigentliche Schlachtgeschehen nicht thematisiert. Ebenfalls ausgeklammert sind die persischen Aushebungen des Kyros, die bis Kunaxa dabei waren und auf 20.000 Fußsoldaten und 3.000 Reiter (S. 41, S. 43) geschätzt werden. Auf finanzielle Aspekte des Zuges geht Lee nur sehr sporadisch ein, zumal die wenigen Belege bei Xenophon eine umfassendere Auswertung kaum zulassen.2

Die Einleitung enthält einige zusammenfassende Bemerkungen zur Logistik, Gliederung des Buches, Quellen und Methodik. Grundlegend ist der Forschungsüberblick zur gemeinschaftlichen Organisation der Kyreer, die in der Vergangenheit mitunter als eine „marching democracy“ bzw. „moving polis“ oder „Greek colonizing expedition“ angesehen wurde (S. 9f.). In Kapitel 1 wird nach Regionen geordnet die ungefähre Marschroute des Kyros-Zuges besprochen. Hier wird besonders auf die unterschiedliche Topografie und die je nach Jahres- und Tageszeit abweichenden klimatischen Verhältnisse eingegangen. Die Etappen der Kampagne werden im zweiten Kapitel unter geografischen Aspekten zusammengefasst und anhand einer detaillierten Karte (S. 20-21) illustriert. Dem folgt ein ausführliches Kapitel über die Zusammensetzung der Armee, ihrer einzelnen Kontingente und Befehlshaber unter Berücksichtigung der verschiedenen Loyalitätsverhältnisse und ethnischen Unterschiede unter den Söldnern. Lee stellt dabei unter anderem fest, dass wohl allein acht Prozent der arkadischen Bevölkerung an dieser Expedition teilnahmen.

Kapitel 4 (S. 80-108) beinhaltet die Organisationsstrukturen und Gemeinschaften der Armee. Die Armee der Kyreer war in Lochoi eingeteilt, deren Gesamtzahl wie auch einzelne Größe nur geschätzt werden kann, da Xenophon hierzu keine Angaben liefert. Lee vermutet hier zu Recht deutlich kleinere Einheiten als in spartanischen Lochoi, die 600 Mann stark waren, und vermutet etwa über 100 Mann pro Einheit bei 100 Lochoi. Ferner geht er den taktischen und administrativen sowie sozialen Funktionen der Lochoi nach. Die Lochitai bildeten eine kohäsive Einheit ihres Lochos, das wiederum in viele kleine Einheiten, den Suskeniai eingeteilt war. Eine Suskenia bezeichnet die kleinste geschlossene Einheit des Lochos, praktisch eine „Zeltgemeinschaft“, die durch gezielte Arbeitsteilung zusammenhielt, ihre Mahlzeiten gemeinsam organisierte und einnahm sowie zusammen campierte. Lee zeigt hier auf, dass ein Suskenos sich zunächst seinen Suskenioi und erst dann seinem Lochos verpflichtet fühlte (wobei Kontakte und Freundschaften mit Mitgliedern aus anderen Zeltgemeinschaften und Lochoi keineswegs auszuschließen sind). Die griechische Armee des Kyros wurde praktisch durch diese einzelnen Suskeniai gestützt.

Was der einzelne Kyreer tragen bzw. transportieren musste, untersucht der Verfasser im fünften Kapitel „The things they carried“ (S. 109-139). Neben den militärischen Grundelementen (Waffen und Rüstung) kamen zusätzlich Kleidung, Schuhwerk, Kochgeschirr, Werkzeuge, Geräte, Zelte, Beute und anderes Gepäck hinzu. Lee betont hier die veränderten Transportkapazitäten im Verlauf der Expedition. Nicht alle Lochoi hatten ausreichend Packtiere und manche Suskeniai mussten ihren Transportanteil mit größerem Aufwand bewältigen als andere. Die Last eines einzelnen Hopliten – einschließlich Kleidung und Bewaffnung - wird auf circa 31 Kilogramm veranschlagt.

Dem eigentlichen Marsch gilt das nächste Kapitel (S. 140-171). Die Kyreer mussten allein schon aus organisatorischen Gründen „marschieren“, was zugleich an schematischen Diagrammen veranschaulicht wird. Hier, wie auch in fast allen anderen Kapiteln des Buches, geht der Autor in seiner Erörterung chronologisch vor. Die Veränderungen in der Armee werden dabei deutlich: unter Kyros lernen die Söldner z.B. in Mesopotamien die Vorzüge des nächtlichen Marschierens, was nach Kunaxa ihnen von Nutzen war. Nach diesem Ereignis änderte sich die gesamte Marschformation aus Sicherheitsgründen zu einem Quadrat bzw. im Rechteck (Plaision), in dessen Mitte der Tross und die Nichtkombattanten marschierten. Ein weiterer Aspekt beim Rückmarsch durch Anatolien war die Schiffspassage nach Herakleia bzw. Kalpe, die nach der Ankunft in Trapezus organisiert wurde und von Kotyra aus erfolgte. In Kapitel 7 (S. 173-207) setzt sich Lee mit dem Lager der Soldaten – ob für eine Nacht oder eine längere Dauer – auseinander. Auch hier werden die sich verändernden Bedingungen des Marsches skizziert: Biwak im Zelt, Übernachtung im Freien (besonders nachdem fast alle Zelte nach Kunaxa aus Ballastgründen aufgegeben wurden), Einquartierung in Gebäuden oder in unterirdischen Dörfern in Armenien. Zudem werden der genaue Aufbau eines Feldlagers erörtert und die Aktivitäten einer Suskenia im Lager – vor und nach Kyros – verglichen.

Dem „Essen und Trinken“ der Kyreer wendet sich Kapitel 8 zu. Bevor Lee die einzelnen Nahrungsmittel kommentiert, geht er auf die Lagerfeuer und Brennstoffversorgung ein. Cerealien bildeten das Grundnahrungsmittel, das bis Kunaxa – oft im gemahlenen Zustand – auf den Märkten erworben werden konnte. Andere Abschnitte behandeln die diversen Koch- und Zubereitungsarten, den Fleischbedarf, Wein und Wasser sowie die soziale und bindende Komponente der Mahlzeiten: „Foraging, cooking, and eating were central acts of Cyrean life“ (S. 230). Der „Körper des Soldaten“ wird im Folgekapitel einer Auswertung unterzogen. Hier geht es um die Gesundheit und Kondition der Kämpfer unter jeweils sich verändernden Bedingungen, aber auch die sanitären und hygienischen Herausforderungen sowie körperliche Versehrtheit, Verwundung, Krankheiten, Begräbnis und Totenehrung.

Den Nichtkombattanten im Kyros-Zug ist das zehnte Kapitel gewidmet (S. 255-275), nämlich den Gehilfen bzw. Sklaven einzelner Söldner, Gefangenen und auch Frauen. Ein eigener Abschnitt konzentriert sich daher auf „Captives and companions“, wozu auch Kriegsgefangene und Geiseln gehörten, die zum Teil eine enge Bindung mit einzelnen Hopliten eingingen und so von diesen geschützt wurden. Darunter waren viele Knaben (nach Lee „many dozens rather than hundreds“) in päderastischen Beziehungen. Ein kurzes Fazit beschließt den Textteil, in dem die Suskenia dem aristokratischen Symposium gegenüber gestellt werden. Diese militärische Zeltgemeinschaft prägte jedoch das Leben ihrer Angehörigen aufgrund des ständigen Zusammenseins wesentlich intensiver und beeinflusste die spätere antike Militärgeschichte. Durch Heranziehung auch der anderen Werke Xenophons, besonders der Hellenika und Kyropaedie, aber auch anderer Quellen, schafft es Lee sehr instruktiv die Informationen aus der Anabasis zu einem einheitlichen Bild zu rekonstruieren. Ergänzend greift er auf Parallelen aus der römischen Geschichte und späterer Epochen bis in die Gegenwart zurück. Lee ist sich bewusst, dass seine Auswertung nicht immer Zuspruch finden wird und regt daher weitere Forschungen an; betont aber zugleich, man müsse Xenophon zwischen den Zeilen lesen, um so zu einem genauen Verständnis des Alltagslebens der Kyreer und somit von Hopliten im Krieg zu gelangen.

Eine Tabelle zur Chronologie der „Anabasis“, eine ausführliche Bibliografie und ein Index beschließen das Buch. Leider fehlt dieser sehr quellenreichen Studie ein Stellenregister, was den Zugang sicher verbessert hätte. Griechische Begriffe werden meist nur in Transliteration wiedergegeben, während Textzitate in griechischem Original kaum vorhanden sind. Dieses Vorgehen mag von Verlagsvorgaben bestimmt sein. Ungeachtet dieser Einwände ist „A Greek Army on the March“ eines der wichtigsten Bücher nicht nur zur xenophontischen Anabasis, sondern auch zur spätklassischen Militärgeschichte. Jeder Leser, ob Fachmann, Student oder interessierte Laie wird Lee mit großem Gewinn benutzen.

Anmerkungen:
1 John Keenan, The Face of Battle, New York 1976.
2 In der „Anabasis“ finden sich etwa 26 Belege mit eindeutigem finanziellem Hintergrund; vgl. die Datenbank des Projekts „Antike Kriegskosten“, URL: <http://www2.uni-erfurt.de/kriegskosten/index.php> (29.03.2009).

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