Titel
Dark Side of the Moon. The Magnificent Madness of the American Lunar Quest


Autor(en)
Degroot, Gerard J.
Erschienen
Anzahl Seiten
xx, 300 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sönke Kunkel, Jacobs University, Bremen

Besucher der Lyndon B. Johnson Library in Austin, Texas, werden dieser Tage mit einer besonderen Ausstellung begrüßt. Zwischen Flash Gordon Comic-Heften, weißen Weltraumanzügen, Flugsimulatoren, einer Mercury-Raumkapsel und den unvermeidlichen Fernsehschnipseln wird hier die Geschichte der US-amerikanischen Raumfahrt erzählt – Zeitgeschichte, die zwar nicht mehr qualmt, zumindest jedoch bunt daher kommt.

Die Ausstellung zeigt: Amerikas Mondmission ist fest in der nationalen Erinnerungskultur verankert. Das ist durchaus kein Zufall, argumentiert Gerard Degroots Kulturgeschichte der bemannten Raumfahrt. Denn technische Entwicklungen und populärkulturelle Weltraumphantasien verschmolzen in den USA schon bevor der erste Astronaut 1969 seinen Fuß auf den Mond setzte – eine Fusion, die, wie Degroot meint, auch den Vermarktungsmechanismen umtriebiger NASA-Strategen geschuldet war. Degroots Ziel ist es entsprechend “to cut through the myths carefully constructed by the Kennedy and Johnson administrations and sustained by NASA ever since” (S. xii). Die Mondmission gilt ihm als “a brilliant deception, a glorious swindle” (S. xiv), wahlweise auch als eine “great tragedy” (S. 258), die nur im Kontext des Kalten Krieges mitsamt seinem systemischen Zwang zu Prestigeprojekten und symbolischen Propagandaerfolgen denkbar war, objektiv betrachtet aber weder finanziell noch wissenschaftlich Sinn machte.

Die ersten sechs Kapitel schildern die ersten Raketenexperimente und zeitgenössischen Vorstellungswelten zwischen dem 17. Jahrhundert und den späten 1950er-Jahren. Drei Pioniere der Raketentechnik stehen zunächst im Vordergrund und werden mit ihren Erfindungen, Eigenheiten und biografischen Schattenseiten beschrieben: Robert H. Goddard, Wernher von Braun und Sergei Korolev. Degroot zeigt außerdem, dass sich parallel zu deren Erfindungen im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts eine spezifische populärkulturelle amerikanische Weltraumfantasie herausbildete, die etwa in Ausstellungen wie “A Trip to the Moon” (Buffalo, New York 1901), in Orson Welles’ “War of the Worlds” (1938) oder der gleichzeitig rollenden Science-Ficition-Welle ihren Niederschlag fand. Als wichtigen Wendepunkt in der kulturellen Vermarktung des Weltraums identifiziert Degroot eine achtteilige Serie des Collier-Magazins von 1952, welche durch einen Gastbeitrag Wernher von Brauns eingeleitet wurde – hier griffen erstmals direkt die Interessen eines Wissenschaftlers mit den eskapistischen Sehnsüchten der amerikanischen Gesellschaft ineinander, ein Muster, das sich in Fernsehsendungen wie ABCs “Man in Space” bis hin zur Vermarktung der Mondmissionen wiederholen sollte. Kein Wunder also, dass der Sputnik-”Schock” – welcher nach Degroot erst durch mediale Dramatisierungen zu einem solchen stilisiert wurde – weiter die Gewichte in Richtung eines amerikanischen Raumfahrtprogramms verschob.

Mit der Gründung der NASA konkretisierte sich das amerikanische Raumfahrtprogramm. Ein langfristiger Plan der NASA fasste 1959 erste Mondumrundungen für die Jahre 1965-67 ins Auge und eine Mondlandung im Jahre 1970. Neben den symbolischen Cold War Imperatives sorgten nunmehr auch Budgetsorgen dafür, dass die Vermarktung des Raumfahrtprogramms immer wichtiger wurde, Astronauten nach ihrer “marketability” (S. 106) ausgewählt, ein exklusiver Vertrag mit dem LIFE-Magazine geschlossen und Raumflüge sorgfältig als epische Heldengeschichten inszeniert wurden. Degroot beschreibt ausführlich die unterschiedlichen Motivlagen verschiedener Akteure und die skurrilen Zwischenstadien des Wettlaufs zum Mond von den ersten Tierflügen über die Gagarin- und Glenn-Flüge bis hin zu Rendezvous-Spektakeln im All. Das alles ist bekannt, wie auch die weiteren Phasen des amerikanischen Raumfahrtprogramms, namentlich die Gemini- und schließlich die Apollo-Phase, welche in den letzten Kapiteln beschrieben werden. Überhaupt verlagert sich nach der erfolgreichen Dekonstruktion der vermeintlichen NASA-Mythen der Schwerpunkt auf die bloße Beschreibung weiterer Raumflüge mitsamt ihren jeweiligen kulturellen Begleiterscheinungen wie etwa Liedern, Filmen oder “Space Food Sticks” (S. 186), ohne dass wesentliche Neuerkenntnisse oder Quellenfunde hinzukommen. Die konkrete Logik von Inszenierungen und Symbolen wird nicht erklärt, ebenso bleibt die internationale Dimension ein Desiderat.

Dennoch erweist sich “Dark Side of the Moon” insgesamt als lesenswerter Überblick. Die Stärken sind zweifellos eher auf der Ebene allgemein-übergreifender Beschreibungen angesiedelt denn im analytischen Detail, aber es gelingt Degroot, die Muster und mehrfachen Verschränkungen biografischer, kultureller und politischer Entwicklungslinien nachzuzeichnen. Nicht nur den Besuchern der Lyndon B. Johnson Library sei dieses kritische Buch zur Lektüre empfohlen.

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