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Titel
Unter dem Kruckenkreuz. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen in Österreich 1934-1938


Autor(en)
Pasteur, Paul
Erschienen
Innsbruck 2008: StudienVerlag
Anzahl Seiten
255 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele-Maria Schorn-Stein, Rüsselsheim

Die Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung in den Jahren 1934 bis 1938 fand bislang in der Geschichtsforschung wenig Aufmerksamkeit, sieht man einmal von den bemerkenswerten Veröffentlichungen von Karl Stubenvoll, Walter Göhring und Brigitte Pellar ab.1 Ein Problem der bisher veröffentlichten Studien über dieses Forschungsgebiet ist allerdings die oftmals praktizierte „Heldenverehrung“ einzelner Protagonisten der damaligen Zeit; das Fehlen von allgemein orientierten Arbeiten über die Gewerkschaften und ihre Aktivitäten in der Ersten Republik war bislang als Desiderat zu konstatieren. Die „Stiftung Bruno Kreisky Archiv“ hat nun sechs Jahre nach Veröffentlichung der französischen Originalausgabe eine Studie des französischen Historikers Paul Pasteur (Universität Rouen) in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Unter dem Kruckenkreuz. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen in Österreich 1934-1938“ vorgelegt.2 Der Verfasser, der als ausgewiesener Kenner der österreichischen Zeitgeschichte gilt, widmet sich darin einem bislang vernachlässigten Aspekt des christlich-autoritären ständischen Regimes: der Rolle der Gewerkschaften innerhalb dieses Systems.3

Gleich zu Beginn der Studie wird Pasteurs Motivation, sich mit der Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung auseinander zu setzen, deutlich: Die im Januar 2000 aus der Österreichischen Volkspartei und der Freiheitlichen Partei Österreichs gebildete Koalition war für Pasteur ausschlaggebend, die Beziehungen zwischen den einzelnen politischen Lagern im ständischen System aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Hier galt es vor allem die mit den Parteien stark verzahnten gewerkschaftlichen Organisationen zu analysieren (S. 7-8). Pasteur verweist an mehreren Stellen seiner Studie auf die schwierige Aktenlage, die eine noch präzisere Untersuchung unmöglich gemacht hat. Dennoch unternimmt er den Versuch, die Konfliktlinien zwischen dem offiziellen Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten und den illegalen Gewerkschaften herauszuarbeiten. Diese hatten sich dem Verbot der Arbeiterorganisation im Februar 1934 entgegengestellt und den Weg in den Untergrund gewählt (S. 7).

Das 255 Seiten starke Werk ist das Ergebnis jahrelanger intensiver Forschungsarbeit. Der Autor stützt sich in hohem Maße auf die Unterlagen Otto Leichters, die im International Instituut voor Sociale Geschiedenis (IISG) in Amsterdam verwahrt sind, ebenso auf die gleichfalls dort befindlichen Aussendungen des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Trotz manch widriger Umstände, wie etwa mangelnder Finanzierung von Forschungsreisen, konnte Pasteur auf persönliche Erinnerungen der Protagonisten, die während der letzten Jahrzehnte veröffentlicht wurden, zurückgreifen. Hilfreich für ihn waren insbesondere die in den 1980er-Jahren geführten Interviews mit namhaften Persönlichkeiten der österreichischen Gewerkschaftsbewegung: Unter anderem Rosa Jochmann und Manfred Ackermann, die dementsprechend innerhalb seiner Arbeit einen besonderen Stellenwert einnehmen (S.10-11). Pasteur geht in seiner Studie über die österreichische Gewerkschaftsbewegung mehreren Fragestellungen nach, wobei eine Frage ganz deutlich im Zentrum steht: Wie war es möglich, dass zwei politische Lager, das sozialdemokratische und das christlichsoziale, die einander im Februar 1934 noch mit Waffen in der Hand gegenüber standen, nach 1945 die Demokratie in Österreich wieder aufbauen und fünfzig Jahre lang zusammenarbeiten konnten (S. 7).

Die sieben Kapitel umfassende Untersuchung beschreibt die Entwicklung der österreichischen Gewerkschaftsorganisationen mit Beginn der Februarkämpfe im Jahre 1934 bis zum „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938. Im Vordergrund stehen dabei die Haltung der offiziellen und illegalen Gewerkschaften zum christlich-autoritären Ständestaat und ihr Verhältnis zum nationalsozialistischen Regime. In diesem Zusammenhang verweist Pasteur auf die Problematik, wie der von Engelbert Dollfuß errichtete Staat zu charakterisieren ist (S. 8). In der Literatur zum Dollfuß-Schuschnigg-Regime tauchen immer wieder die Begriffe „Austrofaschismus“, „faschistisch“, „klerikofaschistisch“ oder „Regierungsdiktatur“ auf, die Pasteur für zu vereinfachend hält (S. 8). Um aber dem Leser die Vieldeutigkeit dieses politischen Gebildes näherzubringen, verzichtet er auf die gängigen Definitionen und gebraucht stattdessen die in seinen Augen ein wenig sperrige Bezeichnung „christlich-autoritärer ständischer Staat“ (S. 8).

Besonders positiv hervorzuheben sind vor allem die Kapitel drei „Der Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten“ und Kapitel vier „Die illegalen Gewerkschaften“ (S. 71-107 und S. 109-147): Hier gelingt es Pasteur hervorragend, beide Themenkomplexe miteinander zu verbinden und ausführlich das Verhältnis zwischen den österreichischen Arbeitern und Angestellten und den illegalen Gewerkschaftern im Untergrund zu beleuchten. Der im Zusammenhang mit der Geschichte des österreichischen Ständestaates immer wieder auftauchenden Frage des Korporativismus räumt Pasteur in Kapitel 1.4 besondere Bedeutung ein (S. 28-31). Dem Autor gelingt es hier eine Lücke in der historischen Untersuchung des Korporativismus zu schließen, wobei er darauf hinweist, dass der Korporativismus und das christlichsoziale Gedankengut des Ständestaates sogar bis in die 1980er-Jahre des 20. Jahrhunderts weiterwirkten, wie das von ihm angeführte Beispiel einer Bildungsbroschüre des Österreichischen Gewerkschaftsbundes deutlich belegt (S. 28).

Der Österreichische Gewerkschaftsbund wurde 1945 mit dem Ziel gegründet, dass dort alle politischen Denkrichtungen vertreten sein sollten und die Unabhängigkeit von den Parteien gewahrt werden sollte (S. 134). Der Ständestaat, so Pasteur in seinen Ausführungen, hatte zwar die Autonomie der einzelnen gewerkschaftlichen Organisationen anerkannt, diese aber durch die Gründung einer Einheitsgewerkschaft mehr als deutlich beschnitten (S. 31).

Paul Pasteur kommt in seiner Darstellung über die österreichischen Gewerkschaften in den Jahren 1934 bis 1938 zu dem Schluss, dass in den bisher veröffentlichten Studien über diese Thematik wesentliche Punkte, wie beispielsweise die Entwicklung der einzelnen gewerkschaftlichen Organisationen, außer Acht gelassen wurden. Dies trifft besonders auf die Haltung der Sozialdemokraten und Christlichsozialen zu, die in der Zweiten Republik eine durchaus beschönigende Geschichtsschreibung über die damaligen Ereignisse betrieben haben (S. 228). Sie ließen gerne ihre einflussreiche Rolle bei den legalen Gewerkschaften aus und überließen das negative Image, das der Unterwanderungspolitik anhaftete, allein den Kommunisten. Auch die Rolle der Nationalsozialisten, hier im Besonderen die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO), hält Pasteur für erwähnenswert. Sie nahmen in der österreichischen Gesellschaft immerhin soviel Raum ein, dass weder die offiziellen noch die illegalen Gewerkschafter sie ignorieren konnten (S. 227).

Paul Pasteurs Werk besticht durch seine klare Sprache, wenn auch an einigen Stellen die Übersetzung kleinere Schwächen aufweist. Besonders hervorzuheben ist der sehr umfangreiche Fußnotentext, der wertvolle Hintergrundinformationen zu den Biografien der einzelnen GewerkschafterInnen liefert.

Mit seiner Studie ist es Pasteur gelungen, nicht nur eine Forschungslücke im Bereich des Korporativismus zu schließen, sondern auch die innere Zerrissenheit der illegalen Gewerkschaften dem Leser nahezubringen. Auf der einen Seite stand ihr Kampf gegen das ständische System, auf der anderen aber auch das Ziel, Österreichs Unabhängigkeit gegenüber Nazideutschland zu bewahren.

Anmerkungen:
1 Zur Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung siehe allgemein: Karl Stubenvoll, Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1918 bis 1933. Organisation, Politik, Ideologie, Wien, 1982; Walter Göhring / Brigitte Pellar, Anpassung und Widerstand. Arbeiterkammer und Gewerkschaften im österreichischen Ständestaat. Wien, 2002.
2 Die Originalausgabe ist unter dem Titel „Être syndiqué(e) à l’ombre de la croix potencée. Corporatisme, Syndicalisme, résistance en Autriche, 1934-1938“ (Êtudes Autrichiennes N 11.) bei Publications de l’université de Rouen, 2002 © Paul Pasteur erschienen.
3 Zur Geschichte des christlich-ständischen autoritären Regimes siehe: Günter Bischof u.a. (Hrsg.), The Dollfuss/Schuschnigg Era in Austria. A Reassessment (Contemporary Austrian Studies, Volume Eleven), New Brunswick-London 2003; Lucian O. Meysels, Der Austrofaschismus. Das Ende der ersten Republik und ihr letzter Kanzler, Wien 1992.

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