U. Nieß u.a.: Geschichte der Stadt Mannheim 1607-1801

Cover
Titel
Geschichte der Stadt Mannheim, Bd.1: 1607-1801.


Autor(en)
Nieß, Ulrich; Caroli, Michael
Erschienen
Ubstadt - Weiher 2007: Verlag Regionalkultur
Anzahl Seiten
671 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Poggel, Lehrstuhl für Mittlere / Neuere Geschichte, Universität Siegen

Mannheim hat(te) (eine) Geschichte. Dieses Faktum war den stadt- und regionalgeschichtlich interessierten Historikern und Laien spätestens seit der 1907 zum 300-jährigen Jubiläum der Stadtgründung erschienen zweibändigen Stadtgeschichte von Friedrich Walter bekannt, die bis heute noch als Grundlagenwerk gilt.1 Nun gibt es eine zweite umfangreiche Geschichte der Stadt Mannheim, die 100 Jahre nach Walters Werk unter Federführung des Stadtarchivs - Institut für Stadtgeschichte Mannheim erschienen ist.2 Der vorliegende erste Band befasst sich mit Mannheim in der Frühen Neuzeit; mit einem Zeitraum also, der sich von der systematischen und planmäßigen Gründung der Stadt 1606/1607 bis hin zu den Umbruchsjahren der Französischen Revolution 1789/1801 erstreckt.

Ulrich Nieß kontextualisiert in seinen beiden Beiträgen die systematische „Gründung“, den Bau der Stadt und somit auch der Festung Mannheim im größeren Rahmen und legt hierbei die Beweggründe und den europäischen politischen Kontext klar dar. „Mannheim war für die Lenker der kurzpfälzischen Politik als ein protestantisches Bollwerk gedacht, genauer als ein calvinistisches.“ (S. 96) Die Geschichte des Dorfes Mannheim integriert Nieß überblicksartig. Franz Maier schildert die Situation(en) Mannheims im Dreißigjährigen Krieg mit Eroberung, Rekatholisierungsversuchen in der Pfalz, Besetzungen durch Schweden und Franzosen, Hunger, Seuchen und schließlich der systematischen Zerstörung durch die Bayern, dies alles mit verheerenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen. „Bei der Übergabe an den pfälzischen Kurfürsten Karl Ludwig im Jahr 1649 stand Mannheim vor einem Neuanfang.“ (S. 149) Beginnend mit der Nachkriegssituation stellt Udo Wennemuth diesen Kurfürsten in den Mittelpunk seiner Darstellung. Die Privilegien für die Stadt von 1652 werden als Basis eines "'multinationalen' Experiments, bei dem ein in jeder Hinsicht modernes und zukunftorientiertes Gemeinwesen errichtet werden sollte“ (S. 156) dargestellt. Mannheim wurde in dieser Ära bis 1685 zum Sinnbild einer offenen und durch Zuwanderung geprägten Stadt. Zunächst französisch und niederländisch orientiert, entstanden zunehmend Probleme im Zusammenleben der Konfessionen. Alltag, Wirtschaft und Politik waren stark beeinflusst durch die experimentelle Stadtverfassung. Krieg und Pest kamen hinzu. Ein Gemeinschaftsgefühl, eine Identität der Mannheimer, bildete sich noch nicht heraus. Die Stadt unter Karl Ludwig, das waren Modellversuche und Experimente, die ihrer Zeit voraus waren. Zwischen „Krise und Krieg“ (S. 232) schildert Roland Vetter die Jahre 1685-1689. Kurfürst Karl II. starb kinderlos, die Kurpfalz kam an die katholische Linie Pfalz-Neuburg. Katholiken und Lutheraner wurden erstmals gleichgestellt, jedoch war „die Bevorzugung der katholischen Kirche“ (S. 234) unübersehbar. Im Pfälzischen Erbfolgekrieg wurde die Stadt belagert und erobert. 1689 wurden die Festung Friedrichsburg und die Stadt Mannheim schließlich durch die Franzosen in ein „Trümmerfeld“ (S. 265) verwandelt. Die dritte Gründung der Stadt und den neuen Aufbau Mannheims schildert Harald Stockert. Kurfürst Philipp Wilhelm stellte die Flüchtlinge unter „seinen besonderen Schutz“ (S. 270) und erteilte Mannheim Privilegien. Sein Nachfolger Johann Wilhelm bestätigt diese erneut und gestand Mannheim weitergehende (auch konfessionelle) Freiheiten zu. Stadt und Festung wurden nach langen Diskussionen vereint. Innerstädtische Strukturen werden ebenso betrachtet, wie die Sozialordnung, wie Handel, Gewerbe und die zentrale Rolle der Juden für die ökonomische Situation. Zahlreiche militärische und politische Konflikte prägten die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts in der Kurpfalz und somit auch in Mannheim, zumeist auf Grund „der nachhaltigen Stärkung des katholischen Faktors“ (S. 320). Dennoch prosperierten Ökonomie und Alltagskultur. Hermann Wiegand beleuchtet den Weg zur Residenzstadt. 1720 verlegte Kurfürst Karl Philipp seinen Regierungssitz von Heidelberg nach Mannheim. Dieses sollte zu einer katholisch, stark jesuitisch geprägten Residenzmetropole werden. Das Schloss wurde 1720 bis 1731 gebaut. „Mit der Übersiedlung des Hofs […] ändert sich die Sozialstruktur der Stadt grundlegend“ (S. 342). Stefan Mörz widmet sich in seinem umfassenden ersten Beitrag dem „Glanz der Residenz zur Karl-Theodor-Zeit“ (S. 372). Kurfürst Karl Theodor, das bedeutete zum einen „Öffnung gegenüber dem Gedankengut der Aufklärung“ und Reformwille, zum anderen aber auch „konservativer Katholizismus und traditionelle absolutistische Staatsräson“ (S. 379). Für Mannheim war dies in jeder Hinsicht eine florierende und bewegende Zeit. Das „Neckar-Athen, das pfälzische Florenz“ (S. 385) wird eine „recht große Stadt“ (S. 401); architektonisch wie auch kulturell. Verschiedene Lebenswelten vereinten sich in diesem „Kultur- und Verwaltungszentrum[...]“ (S. 443). Bärbel Pelker legt die Diskrepanz zwischen dem „Musikzentrum“ (S. 500) und der Vernachlässigung der höheren Bildung dar. Mannheim in den Jahren vor der Französischen Revolution, als „Hauptstadt ohne Kurfürst“ (S. 529) steht im Zentrum des zweiten Beitrages von Mörz. 1778 zogen Karl Theodor und der Hof nach München – ein „Aderlass“ (S. 535) für die Stadt, doch die „geistige Nahrung“ (S. 548) gedieh weiter; Buchhandlungen, Verlage, das Nationaltheater (unter anderem mit der Erstaufführung von Schillers „Räubern“) prägten das Bild. Den Jahren der Französischen Revolution widmet sich Susanne Schlösser im abschließenden Aufsatz dieses Bandes. Mannheim erschien „als Spielball zwischen Österreich und Frankreich“ (S. 610). Krieg und Katastrophe prägten die Jahre 1794 und 1795. Karl Theodor starb 1801, Mannheim verlor seinen Status als Festung, „doch zeichneten sich auch neue Wege ab, die in die Zukunft führen sollten“ (S. 644).

Insgesamt wird dieser Band dem Anspruch der Herausgeber vollständig gerecht. Walters Arbeit wird nicht nur durch die stadtgeschichtlichen Forschungen der letzten 100 Jahre ergänzt, sondern gewissermaßen neu geschrieben. Neben den großen politischen Linien und wirtschaftsgeschichtlichen Episoden integrieren die Autoren auch sozial- und alltagsgeschichtliche Ansätze der jüngeren (Stadt-)Geschichtsforschung, Themen wie „Versorgung“ (S. 207), „Soldaten“ (S. 417) das Leben „am Rande der Gesellschaft“ (S. 429) und vieles mehr, in ihre Darstellungen.

Die zwanzig Themenkästen, in denen fachlich versierte Autoren unterschiedliche Ereignisse, Personen und Rahmenbedingungen vorstellen, und der flüssige Stil aller Autoren erleichtern dem Leser das Verständnis. Die opulente Ausstattung und der angemessene Preis lassen hoffen, dass der Band Verbreitung auch über Mannheim und die Pfalz hinaus finden wird. Hervorzuheben sind schließlich die vorzüglichen Illustrationen (insgesamt mehr als 400 Abbildungen), die ein breites Spektrum von Portraitgemälden, über Planungsskizzen bis hin zu schriftlichem Archivgut abdecken. Hierbei sind die Herausgeber und Verfasser augenscheinlich deutlich darauf bedacht gewesen, neben bekannten, auch selten publizierte Abbildungen zu verwenden.3

Anmerkungen:
1 Friedrich Walter, Mannheim in Vergangenheit und Gegenwart, 2 Bde., Mannheim 1907. Der dritte, später hinzu gefügte Ergänzungsband ist für den vorliegenden Zeitraum nicht relevant.
2 Michael Caroli / Ulrich Nieß (Hrsg.), Geschichte der Stadt Mannheim, 3 Bde., Heidelberg 2007/08.
3 Ähnlich umfassende, mehrbändige Beispiele: Ulrich Wagner (Hrsg.), Geschichte der Stadt Würzburg, 3 Bde., Stuttgart 2001-2007; Frank Göttmann / Karl Hüsser / Jörg Jarnut (Hrsg.), Paderborn, Geschichte der Stadt in ihrer Region, 3 Bde., Paderborn 1999.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension