A. Corbea-Hoişie u.a.(Hrsg.): Deutschsprachige Öffentlichkeit und Presse

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Titel
Deutschsprachige Öffentlichkeit und Presse in Mittelost- und Südosteuropa (1848-1948).


Herausgeber
Corbea-Hoişie, Andrei; Lihaciu, Ion; Rubel, Alexander
Reihe
Jassyer Beiträge zur Germanistik 12
Erschienen
Anzahl Seiten
597 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hedvig Ujvári, Péter-Pázmány-Universität, Piliscsaba, Ungarn

Dank der gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen Orientierung des Faches Germanistik werden die deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften der mittel- und südosteuropäischen Region vielfältigen Untersuchungen unterzogen. In den letzten Jahren vermehrten sich die internationalen Fachtagungen, die entlang der Stichworte „Multikulturalität“, „Grenzdiskurse“, „polyethnischer Kulturraum“, „Kulturtransfer“ etc. ausgerichtet wurden.1 Auch der vorliegende Sammelband geht auf eine solche Tagung zurück, die im November 2006 in Jassy (Rumänien) stattfand. Allerdings kann die im Vorwort festgehaltene Zielsetzung der Tagung, nämlich „die Erschließung und Erforschung der deutschsprachigen Presse in Mittelost- und Südosteuropa, die einen noch kaum ermittelten Kernbereich der Mitteleuropastudien darstellt“, auf alle derartigen Tagungen mit regionalem Schwerpunkt bezogen werden. Im Rahmen dieser konkreten Konferenz wurde aber auch darüber in einer eigenständigen Sektion referiert, welche systematischen Untersuchungen noch infolge der vertikalen und horizontalen Ausdehnung der deutschsprachigen Periodika ausstehen und inwiefern grenzüberschreitende Forschungskollektive dies zu bewältigen versuchen.

Den Auftakt des Bandes liefert das Einführungsreferat von Michael Nagel, in dem eine Übersicht der Entwicklungen, Perspektiven und Forschungsansätze der deutschsprachigen Presse außerhalb des deutschen Sprachraumes geboten wird. Neben der begrifflichen Eingrenzung des Begriffs erfolgt eine skizzenhafte chronologische Darstellung von der Aufklärung bis hin zum frühen 20. Jahrhundert. Einen weiteren groß angelegten Beitrag der Einleitung stellt die Studie von Walter Schmitz dar, der sich mit der deutschsprachigen Zeitschriftenlandschaft in Prag um 1900 befasst. Das Phänomen Zeitschrift betrachtet er als Teil der urbanen Kultur, der Moderne, sowie als delokalisierten Medienraum.

Teil II des Bandes umfasst Fallstudien aus Mitteleuropa. Das Spektrum reicht von den ersten deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften in Osteuropa zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis hin zum rumänischen Minderheitenblatt Neuer Weg aus dem Jahre 1949. Die Zeitschriftenlandschaft in den slawischen Ländern der Habsburgermonarchie vor 1848 wird von Gertraud Marinelli-König behandelt. Peter Vodopivec erläutert die deutsche Presse in der Untersteiermark und in Krain zwischen 1861 und 1941, exemplarisch werden das erste Laibacher belletristische Journal Carniola (1838-1844) sowie das Organ Blätter aus Krain (1857-1865) dargestellt (Zalaznik, Birk). Zum kroatischen Pressewesen finden sich Beiträge, die das Organ "Der Pilger" behandeln (Baric), bzw. kroatische Theatergeschichte aus dem Blickwinkel der zeitgenössischen Publizistik deuten (Bobinac). Regionale Zeitungen dienen als Quellenmaterial für die Untersuchungen von Vlado Obad, der die deutschen Wanderbühnen von dieser Quellenbasis aus unter die Lupe nimmt. Die Revolutionsjahre in Ungarn 1848/49 bilden Gegenstand des Beitrags von András Balogh. Das Bild des habsburgischen Herrscherhauses wird in einem Fortsetzungsroman der Südmährischen Rundschau von Pavličková nachgezeichnet. Victor Neumann geht der Frage nach, welche Verknüpfungspunkte zwischen der Temeswarer Zeitung und der Verbreitung des Bürgersinnes in Kakanien bestehen. Die pressehistorische Verortung der in Hermannstadt edierten Zeitschrift "Frühling" (1920) unternimmt Bianca Bican, des Bukarester Organs Kulturnachrichten aus Rumänien Peter Motzan. Der Frage, welchen Aspekte des politischen Diskurses in der Zeitung "Neuer Weg" im ersten Jahr ihres Erscheinens (1949) Platz eingeräumt wurde, geht Ioana Crǎcium-Fischer nach, welche Bedeutung der jüdisch-nationalen Wochenschrift Selbstwehr im Prozess der Anerkennung der jüdischen Nationalität in der Tschechoslowakei zukommt, erläutert Vassogne.

Der dritte Teil des Bandes widmet sich dem Komplex der deutschsprachigen Presse in Czernowitz.2 Als Adressat einer ganzen Anzahl vor allem deutschsprachiger Zeitungen ist das Judentum der Stadt anzusehen. Die Zeitungen gelten als wichtige Quellen zur historischen Rekonstruktion der Lebenswelt ihrer Leserschicht, ihres Alltags, ihrer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aktivitäten etc. Den Auftakt dieses Abschnittes liefert George Gutu, der den Prozess, wie nach dem Untergang des multiethnischen Czernowitz seine Verwandlung in einen „mitteleuropäischen“ Mythos erfolgte, nachzeichnet. Die weiteren elf Beiträge befassen sich mit bestimmten Aspekten des Zeitungswesens bzw. des Alltags: Zensur, Schulwesen, Vereinswesen, Sprachgebrauch oder eben Nationalismus und Antisemitismus werden im Spiegel der Presse einer Analyse unterzogen. Auch zeitmäßig wird eine breite Spannweite erfasst: Angefangen mit der Zeitung Bukowina in den 1860er-Jahren über das expressionistische Organ "Der Nerv" bis hin zum Czernowitzer Morgenblatt.

Im letzten Quartal des Bandes wird über laufende Projekte berichtet, die sich der Digitalisierung der ostmitteleuropäischen Presse widmen. Zoltán Szendi berichtet über ein groß angelegtes Projekt zur deutschsprachigen Presse in Mitteleuropa im Zeitraum 1860-1914, unter anderem mit Fallbeispielen aus Pécs und dem Komitat Baranya. Christa Müller skizziert eine Zeitungs-Massendigitalisierungsinitiative der Österreichischen Nationalbibliothek: Von den Qualitäten des Online-Zugriffs auf ANNO (= AustriaN Newspapers Online) kann man sich von jedem PC mit Internetanschluss aus überzeugen. Hans Otto Horch und Kay Heiligenhaus präsentieren eine Internetedition am Beispiel der „Frankfurter Digitalen Bibliothek des Judentums“, anhand derer auch eine digitale Bibliothek der Bukowina entworfen werden könnte. Die weiteren Beträge sind informative Studien zu den Beständen der Zeitungssammlung der Staatsbibliothek zu Berlin, weiterhin zu den deutschsprachigen Pressebeständen der Bibliothek der Rumänischen Akademie sowie der Universitätsbibliothek von Jassy.

Der Mittelost- und südosteuropäischer Kommunikationsraum ist infolge des Zusammenlebens der verschiedenen Nationalitäten und Sprachgemeinschaften, der daraus resultierenden mehrfachen Überlappungen und Überschneidungen zu einem wichtigen Terrain der historischen Kommunikationsforschung, im Sinne der Interdisziplinarität sogar zu einer Herausforderung für kulturwissenschaftliche Annäherungen geworden: Alle periodischen Organe, in denen eine Minorität sich über ihre Umgebung informiert und über die sie sich verständigt, tragen zur Integration, gegebenenfalls auch zur Identitätsbildung bei.

Anmerkungen:
1 Beispielsweise seien erwähnt: Deutschsprachige Zeitungen in Mittel- und Osteuropa (Gießen 2003); Deutschsprachige Presse und Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert (Strunjan/Slowenien 2004); Zentraleuropa. Ein hybrider Kommunikationsraum (Wien 2005); Grenzdiskurse: Kulturelle Selbstverortung und Kulturtransfer in der Tagespresse deutschsprachiger Minderheiten in Mitteleuropa (Lemberg/Ukraine 2007); Benachrichtigen und vermitteln. Deutschsprachige Presse und Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert (Slowenien 2007), oder jüngst: Presselandschaft in der Bukowina und den Nachbarregionen: Akteure – Inhalte – Ziele /1900–1945/ (Czernowitz 2008).
2 Siehe dazu auch: „... zwischen dem Osten und dem Westen Europas“. Deutschsprachige Presse in Chernowitz bis zum Zweiten Weltkrieg, Susanne Marten-Finnis / Walter Schmitz (Hrsg), Dresden 2005 (= Mitteleuropa-Studien Band 11).

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